Gab es »pietistisches Reisen« im 18. Jahrhundert und wenn ja, wie kann man diese Reiseform kennzeichnen? Begleitend zur Jahresausstellung »Durch die Welt im Auftrag des Herrn« veranstalten die Franckeschen Stiftungen einen öffentlichen Workshop unter dem Titel »Was ist pietistisch am pietistischen Reisen? Forschungen zur Reisepraxis im Pietismus im 18. Jahrhundert: Ansätze Thesen – Perspektiven«, der vielfältige Reisebeispiele auf diese Fragestellung hin untersucht. Die teilnehmenden WissenschaftlerInnen aus Halle, Magdeburg, Mainz und Gotha stellen REISEARTEN in der Vormoderne (zu Land und zu Wasser, allein und in Begleitung, zu Fuß, per Schiff, mit der Postkutsche), REISEZIELE (in Deutschland, Europa, Amerika und Indien), REISEZWECKE der oft langen, mühsamen und äußerst gefährlichen Reisen (Bildung, Mission, Handel) vor.
Viele junge Nachwuchswissenschaftler konnten in den vergangenen Jahren von Prof. Dr. Holger Zaunstöck, Leiter der Stabsstelle Forschung der Franckeschen Stiftungen, für Forschungsthemen aus den vielfältigen Themenfeldern des Halleschen Pietismus gewonnen werden. Einige von ihnen stellen ihre wissenschaftlichen Arbeiten im Workshop vor: Daniel Haas, Doktorand am Orientalischen Institut der Martin-Luther-Universität im Fach Islamwissenschaft, wird die Reiseberichte der Orientreise in den Jahren 17521756 von Stephan Schultz (17141776) vergleichen, um die Abhängigkeiten der Berichte untereinander sowie ihre Unterschiede, die Entstehungsgeschichten und die unterschiedlichen Zielgruppen zu analysieren. Nikolas Schröder, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Studienzentrum der Nationalen Akademie Leopoldina, wertet die in der Zeitung »Hallische Correspondentz« abgedruckten Reiseberichte Hallescher Pietisten aus und vergleicht sie mit den Briefquellen im Archiv der Franckeschen Stiftungen. Findet sich hier ein spezifisch pietistisches Medium? Dr. Björn Schmalz, Archivrat am Landesarchiv in Magdeburg, wird die Untersuchungen seiner Dissertation zur adligen Kavalierstour Friedrich Heinrich von Seckendorfs (16731763) im Jahr 1693 durch die Niederlande präsentieren. Person und Reiseziel die Niederlande zählten in der Zeit zu den fortschrittlichsten Staaten Europas, hier hatte bereits im 17. Jahrhundert Friedrich Breckling (16291711) frühpietistische Netzwerke ausgebildet versprechen spannendes Forschungsmaterial zur Beantwortung der Frage, ob sich anhand des Reisetagebuchs eine religiöse Reisemotivation und typisch pietistische Reisepraktiken nachweisen lassen.
Alle Interessierten sind eingeladen, am zweitägigen Workshop mit vielen spannenden Forschungsbeiträgen als Zuhörer und Diskutierende teilzunehmen.
Die Organisation des Workshops liegt bei der Stabsstelle Forschung unter der Leitung von Thomas Grunewald und Holger Zaunstöck.
PROGRAMM
Donnerstag, 26. April 2018
13.30 Uhr | Begrüßung und Einführung
Neubauer in den Niederlanden
Holger Zaunstöck, Halle
13.40 Uhr | Panel 1 | Der reisende Pietist
Ein Sonderfall? August Hermann Franckes Reise ins Reich
Holger Trauzettel, Halle
Religiös motiviertes Reisen? Kritische Analyse des Tagebuchs Le Voyage en Pays-Bas von Friedrich Heinrich von Seckendorff über seine Kavalierstour im Jahr 1693
Björn Schmalz , Magdeburg
Reisen im Reich Gottes? Rekonstruktion der Kavalierstour Heinrich Ernst zu Stolberg-Wernigerodes anhand der Quellen im Archiv der Franckeschen Stiftungen
Thomas Grunewald, Halle
16.00 Uhr | Panel II | Unterwegs in der Alten Welt
Reisen in der Herrnhuter Diasporamission
Wolfgang Breul, Mainz
Die Berichte über Stephan Schultz’ Reise durch das Osmanische Reich. Diarium – Berichte des Institutum Judaicum et Muhammedicum Lebensbeschreibung
Daniel Haas, Halle
Mit Gottes Führung reisen – für das eigene Netzwerk unterwegs
Anne Schröder-Kahnt, Halle
FREITAG, 27. April 2018
9.30 Uhr | Panel III | Über Reisen schreiben
Reisen und Reiseberichte in der Halleschen Correspondentz
Nikolas Schröder, Halle
Reisetagebücher im Archiv der Franckeschen Stiftungen. Überlieferung, Form, Terminologie
Britta Klosterberg, Halle
Arzeneyen in weit entlegenen Ländern zu vertreiben. Die Medikamenten-Expedition der Franckeschen Stiftungen
Claus Veltmann, Halle
Panel IV | Unterwegs in der Neuen Welt
Sobald meine Frau entweder abscheidet oder besser wird, will ich, wenn lebe, meine Reise fortsetzen. Familie Mühlenbergs Reise nach Ebenezer, Georgia, Juli bis November 1774
Jan-Hendrik Evers, Halle
Meereserfahrung als Gotteserfahrung. Der Pietismus auf See
Julia Schmidt-Funke, Gotha