Ist Pflege systemrelevant? Nur, wenn sie gut aufgestellt ist!

von 11. Mai 2020

Ein am Anfang der Pandemie richtiger Schritt, um alte Menschen und Menschen mit schweren Erkrankungen vor einer Ansteckung zu schützen, der nun im Mai nach und nach gelockert wird. Es waren plötzlich allein die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege und Betreuung, die die alten Menschen mit allem Notwendigen versorgen. Sie sind es, die Gespräche und Gemeinschaft, Ermutigung und soziales Miteinander ermöglichen. Der 12. Mai ist der „Tag der Pflege“, der die Anerkennung für diesen besonderen Dienst am Menschen fördern soll.

Es ist gut, dass die vielen Frauen und Männer, die in Pflege und Betreuung arbeiten, derzeit verstärkt öffentliche Anerkennung erfahren. Ihnen wird vom Balkon applaudiert. Politisch soll mit einer Prämie gedankt werden. „Aber die grundlegenden Probleme der Pflege sind seit Jahren gut bekannt. An erster Stelle ist es die Arbeitsbelastung, da zu wenige Pflegekräfte zu viele Menschen versorgen müssen.“, sagt Oberkirchenrat Christoph Stolte, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland.

Die immer neue Erfahrung, die Arbeit mit und für Patientinnen und Bewohner nicht mit ausreichender Zeit, innere Ruhe, Empathie und Zuwendung tun zu können, zermürbt viele Pflegekräfte. Denn die Pflegeberufe sind nicht grundsätzlich unattraktiv. Sie bieten eine interessante und sinnstiftende Tätigkeit. Viele junge Menschen wollen mit anderen Menschen arbeiten. Wenn aber die eigenen Qualitätsvorstellungen nicht umgesetzt werden können, wenn sich das Gefühl einschleicht, dem anderen nicht gerecht geworden zu sein, dann wächst die Demotivation. Zu viele Pflegekräfte kehren schon nach wenigen Jahren ihrem Beruf den Rücken. Die Arbeitszeiten im Schichtdienst sind eine Belastung. Häufig ist nur eine Teilzeitanstellung möglich. Und die Bezahlung in der Pflege ist oftmals nicht angemessen. Das gilt besonders dann, wenn keine Tarifverträge und Arbeitsvertragsrichtlinien die Rahmenbedingungen verlässlich regeln.

Christoph Stolte: „Das ist alles hinlänglich diskutiert worden. Auch die Fehlkonstruktion der Pflegeversicherung, durch die den Bewohnern der Pflegeheime, deren Angehörigen oder dem Sozialamt steigende Kosten durch eigentlich angemessene Gehälter aufgebürdet werden.“

Die Corona-Krise zeigt, warum Pflege gut aufgestellt sein muss. „Jetzt besteht die Chance mit Mut und weitreichenden Entscheidungen, die von vielen Menschen akzeptiert werden, die Grundprobleme der Pflege in Deutschland zu lösen. Wir brauchen mehr Geld im System, spürbar bessere Personalschlüssel, verlässlich höhere Vergütungen und eine nachhaltig höhere gesellschaftliche Anerkennung, besonders für die Altenpflege. Wenn damit die Zukunft in der Pflege gestaltet wird, haben wir gemeinsam viel erreicht.“, sagt Stolte.

In einem Gesundheits- oder Sozialberuf fachlich gut qualifiziert arbeiten zu können, ist auch zukünftig für viele Menschen attraktiv. Das gilt für junge Menschen aber auch für lebenserfahrene Frauen und Männer, denen durch gut ausfinanzierte berufsbegleitende Ausbildungsgänge ein späterer Einstieg in einen Pflegeberuf ermöglicht werden sollte.

Stolte: „Systemrelevant? Ja, aber dann bitte auch die entsprechenden politischen und gesellschaftlichen Anstrengungen dafür. Der Tage der Pflege weist im Corona-Jahr 2020 mit großer Dringlichkeit auf notwendiges Handeln hin.“

     
PP