„Ich weiß, dass sich das Blatt schnell wenden kann“

von 24. März 2021

Luise, in wenigen Tagen gehst Du wieder an den Start. Wie gut bist Du momentan in Form?

Luise: Ein Formgefühl hat man als Judoka eher nicht. Auch, weil es eine Sportart ist, wo man im Training keine Weiten oder Geschwindigkeiten messen kann. Natürlich merke ich schon, wenn es mir im Randori (Trainingskampf) besonders leicht fällt. Aber so wirklich verbindlich ist das nicht. Du kannst früh aufstehen und denken: Oh, ich bin topfit und kann Bäume ausreißen! Und dann kommt der Moment, wo Du es vermasselst. Und ich kenne es auch umgekehrt, wo man total platt vom Training ist und dann im Wettkampf alles erreicht.

Apropos Wettkampf. Wie laufen Deine Vorbereitungen zu Corona-Zeiten?

Luise: Seit Monaten können wir am Bundestützpunkt in Berlin nur in festen Kleingruppen trainieren. Das heißt, wir sind an immer dieselben Trainingspartner gebunden. Corona hat vieles verändert, auch unser Gefühlsleben. In den letzten Wochen hab ich schon mal zu den Mädels gesagt: ,Ich habe Euch richtig gern, aber ich kann euch nicht mehr sehen. (lacht)‘ Deswegen sind wir über jedes Trainingscamp – national und international – das stattfindet echt dankbar. Auch, weil wir dann mit anderen Leuten wieder neue sportliche Erfahrungen sammeln können.

Dir fehlt also die Abwechslung im Training?

Luise: Ja, genau. Beim Judotraining geht es immer auch um eine gute Mischung von Trainingspartnern. Man kämpft spontan mal mit den Jungs oder mit Judokas aus anderen Gewichtsklassen. Das lockert nicht nur das Training auf, sondern hat auch großen Einfluss auf die Trainingsqualität.

Das heißt, die Fertigkeiten im Judosport hängen von der Vielseitigkeit der Trainingspartner ab?

Luise: Natürlich. Um sich weiterzuentwickeln, zu verbessern, brauchst Du nicht nur einen, sondern viele Trainingspartner, die dich stets neu fordern, die unbequem sind, dich überraschen oder den Kampfstil anderer Gegner gut imitieren können. Fakt ist: Keine Kampf-Situation ist präzise vergleichbar. Auch technisch versierte Judoka können nur einen kleinen Bestandteil dessen, was überhaupt in unserer Sportart möglich ist.

Wie oft trainierst Du momentan?

In der momentanen Wettkampfphase absolviere ich zehn Trainingseinheiten pro Woche. In der Aufbauphase waren es sogar zwölf.

Du warst im Februar mit Rang 5 beim Grand Slam in Israel bitter enttäuscht. Wie geht es Dir jetzt?

Luise: Ich kann das relativ gut verarbeiten, wegstecken und schöpfe dann schnell auch wieder Kraft und Motivation, um mich neuen Herausforderungen zu stellen. Deswegen liegt mein Fokus jetzt klar auf den Wettkämpfen in Georgien und Antalya. Ich weiß, dass sich das Blatt schnell wenden kann. Von daher versuche ich mich auf die Wettkämpfe so gut wie möglich vorzubereiten – ohne dabei Druck aufzubauen.

Da ist leichter gesagt oder?

Luise: Das stimmt. Nach all den Jahren würde ich sagen, dass man den Kopf am besten frei bekommt, wenn man den Spaß an der Sache nicht verliert. Und ich habe Spaß.

Die Wettkämpfe laufen wie in anderen Sportarten ohne Publikum. Beim Fußball fehlen die Fans zur Unterstützung. Wie ist das bei Euren Grand Slams?

Luise: Natürlich wirken die leeren Zuschauerränge schon befremdlich, wenn nicht gespenstisch. Darunter leidet der Spirit einer solchen Meisterschaft. Das ist schade. Doch im Kampf selbst registriert man es dann nicht mehr. Es gibt zumindest einen Vorteil: Du verstehst deutlich besser, was der Trainer dir im Kampf zuruft. Das war sonst, durch das laute Publikum, überhaupt nicht möglich.

Judo ist oft Glückssache was den Gegner angeht. Gibt es Wunschkandidaten?

Luise: Ich schaue mir nie die gemeldeten Teilnehmer an. Aber natürlich gibt es Gegner, die einem besser liegen als andere. Wenn ich zurückblicke, komme ich eher mit den Topathletinnen aus Großbritannien klar, als mit denen aus Frankreich. Wenn es um die Auslage geht, liegen mir eher die Linkskämpfer.

Apropos Gegner. Hast Du Lampenfieber?

Luise: Natürlich, immer vor dem ersten Kampf. Da ist es auch wirklich egal, wer mir gegenüber steht. Das kann der größte Larry sein und ich wäre trotzdem total aufgeregt. (lacht) Doch dann fällt die Anspannung immer schnell ab, und ich bin voll konzentriert bei der Sache.

Gibt es einen Plan B für Olympia?

Luise: Nein, überhaupt nicht. Ich habe irgendwann aufgehört, Punkte zu zählen, die Weltrangliste zu beobachten, das zermürbt eher. Ganz ehrlich: Mir ist das egal, auch, weil ich den Kopf frei haben und unbefangen an die Wettkämpfe herangehen möchte. Das schließt nicht aus, dass ich mit vollem Einsatz dabei bin und natürlich auch gewinnen will.

Wie groß wäre die Freude, wenn Du tatsächlich noch an das Olympia-Ticket kommst?

Luise: Darüber habe ich echt noch nicht nachgedacht. Aber ich denke, ich würde dann eine kleine Party mit Freunden schmeißen – sobald das wieder möglich wäre.

Wir wünschen Dir, dass diese Party möglich wird.