Das tierische Geheimnis der Pflanzen

von 6. September 2012

„Befruchtete Eizellen können selbst zwischen nah verwandten Arten sehr unterschiedlich sein,dann werden die sich entwickelnden Embryonen ähnlicher und ähnlicher, bis sie irgendwann fastununterscheidbar sind. Und dann platzt aus ihnen die Biodiversität hervor, die wir auf unseremPlaneten vorfinden.” So beschreibt MLU-Bioinformatik-Professor Ivo Große das Sanduhr-Prinzip.

„Was da auf molekularer Ebene passiert, wissen wir allerdings erst seit knapp zwei Jahren durchdie Arbeiten zweier Gruppen aus Dresden und Plön. In der Phase der Ähnlichkeit werden diewichtigen Organe angelegt, weswegen aktive Gene in dieser Phase besonders anfällig fürMutationen und damit eventuelle Missbildungen sind. Im Embryo wird das kompensiert durch dieAktivierung von evolutionär alten Genen, die zwischen Arten hochkonserviert sind. DieEmbryonen gleichen sich demzufolge eine Zeit lang in Form und Struktur.”

Ivo Großes langjähriger Kooperationspartner Dr. Marcel Quint, Biologe am IPB, hatte die Idee,das Ganze auch bei Pflanzen zu untersuchen. „Die Evolution hat zweimal unabhängig voneinanderEmbryogenese entwickelt”, sagt Quint. „Das Ziel ist jeweils das gleiche: die Koordination derEntwicklung von der Eizelle bis hin zum komplexen Organismus. Aber dieGrundvoraussetzungen sind unterschiedlich. Pflanzenzellen haben zum Beispiel Zellwände,tierische Zellen nicht. Wir fragten uns: Gibt es dennoch Gemeinsamkeiten? Muster, die für Tiereund Pflanzen essentiell sind, damit ein Individuum durch die Embryogenese kommt?”

Die Antwort lautet ganz klar: Ja. Große und Quint haben gemeinsam mit zwei Doktoranden undzwei Bachelor-Studenten den molekularen Beweis erbracht, anhand von Gensequenzen derAckerschmalwand (Arabidopsis thaliana). Durch Sequenzvergleiche konnten sie jedem der rund28.000 Gene dieser Modellpflanze ein evolutionäres Alter zuweisen. Und im vergangenenFrühjahr wurden Daten verfügbar, die die Aktivität aller Gene in den verschiedenen Stadien derEmbryogenese beschreiben. Eine echte Herausforderung für die Bioinformatiker der MLU: Mehrals 200 Milliarden Sequenzvergleiche waren nötig, um die entscheidenden Zusammenhängenachweisen zu können.

Nun steht also fest: Tierische und pflanzliche Embryonen müssen, wenn ihr jeweiliger Bauplanangelegt wird, durch ein und dasselbe Nadelöhr schlüpfen – und sie tun das auf ein und dieselbeArt und Weise. Wie es dazu kommt, bleibt vorerst das gemeinsame Geheimnis von Tieren undPflanzen. „Das ist unsere Herausforderung für die Zukunft: den Mechanismus zu entschlüsseln, derdafür sorgt, dass in der entscheidenden Phase die jungen Gene weitgehend abgeschaltet und diealten aktiv sind”, erklärt Marcel Quint. „Wobei uns klar ist, dass sich viele Wissenschaftlicherweltweit dieser Herausforderung stellen werden”, ergänzt Ivo Große. „Nicht nurEntwicklungsbiologen werden das Geheimnis lüften wollen. Auch für Wissenschaftler, die dieEntstehung von Biodiversität erforschen, damit wir Menschen sie besser schützen können, ist dasein heißes Thema.”