“UNVERSEHRTHEIT VON MENSCHEN IST VON MILITANTEN LINKSEXTREMISTISCHEN AUTONOMEN BEDROHT“

von 4. April 2016

„Die öffentliche Sicherheit in der Messestadt, das friedliche Zusammenleben der Menschen, aber auch die körperliche Unversehrtheit von Menschen sind von militanten linksextremistischen Autonomen bedroht“, warnt Gordian Meyer-Plath, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen im neusten Interview mit uns. Außerdem sprechen wir mit demVerfassungsschutzchef unter anderem über die Anschläge in Heidenau sowie Clausnitz.

Keven Nau:Heidenau, Clausnitz und Co. Insgesamt wurden nach offiziellen Angaben 198 Übergriffe (davon 31 Brandanschläge) 2015 in Sachsen registriert. Im bundesweiten Vergleich ereignete sich jeder siebente Anschlag in Sachsen. Herr Meyer-Plath, weshalb werden nach Ihrer Einschätzung so viele Anschläge im Freistaat verübt? Zweite Frage: Hat Ihre Behörde die Sicherheitslange nicht mehr unter Kontrolle?

Gordian Meyer-Plath:Die Hemmschwelle ist generell gesunken, gegen Flüchtlingsunterkünfte vorzugehen. Hier beteiligen sich auch Menschen, die wir bislang nicht als Extremisten wahrgenommen haben. Der sächsische Verfassungsschutz hat wiederholt – so auch im Verfassungsschutzbericht 2014 nachzulesen – darauf hingewiesen, dass künftig mit vermehrten Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte zu rechnen sein wird. Ich hatte mir zwar immer gewünscht, dass wir mit dieser Prognose falsch liegen würden, aber leider hat sie sich bestätigt. Aktuell haben die Sicherheitsbehörden dadurch ein großes Problem, dass bei Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte durch die Polizei festgestellte Tatverdächtige bei Verfassungsschutz und Strafverfolgungsbehörden in diesem Straftatenbereich überwiegend unbekannte Ersttäter sind und somit bislang nicht auf dem „Radarschirm“ waren. Die aktuelle Lage verdeutlicht einmal mehr, dass nur ein konzentriertes Zusammenwirken von Behörden und Gesellschaft zielführend bei der Verhinderung von Straftaten gegen Flüchtlinge und Asylsuchende sein kann.

Keven Nau:Der linksextremistischen Szene in Leipzig werden rund 200 gewaltbereite Personen zugeordnet. Dazu kommt das die „Leipziger Szene“ im bundesweiten Vergleich „herausragend, was Anzahl und Schwere ihrer Straftaten“ betrifft ist. Das Thema Rechtsextremismus ist Ihrer Behörde wichtig – vernachlässigen Sie den Linksextremismus in Sachsen?

Gordian Meyer-Plath:Nein. Die öffentliche Sicherheit in der Messestadt, das friedliche Zusammenleben der Menschen, aber auch die körperliche Unversehrtheit von Menschen sind von militanten linksextremistischen Autonomen bedroht. Dies wurde vor allem in Jahren 2014/2015 in Leipzig deutlich, als immer wieder Einzelpersonen und auch privatwirtschaftliche und staatliche Einrichtungen (einschließlich der Polizei) Opfer massiver linksextremistischer Gewalt waren. Auch über solche linksextremistischen Auswüchse berichtet der sächsische Verfassungsschutz im Rahmen des gesetzlich Möglichen regelmäßig: Wie die sächsischen Verfassungsschutzberichte belegen, mindestens seit Mitte der 1990er Jahre auch über das Schwerpunktgebiet Leipzig (Connewitz). Gerade hierzu stehen wir in einem guten Kontakt zu den Verantwortungsträgern in Leipzig und analysieren zugleich die „Positionspapiere“ der Linksextremisten, mit denen sie ihr „revolutionäres Handeln“, das meist eine Spur der Verwüstung und verängstigte Menschen zurücklässt, rechtfertigen.

Keven Nau:In Deutschland wird viel über die große Zahl der Flüchtlinge die bundesweit aufgenommen werden diskutiert. Welchen Einfluss hat der Flüchtlingsstrom auf die innere Sicherheit Sachsens?

Gordian Meyer-Plath:Die Aufklärung zum politischen Extremismus ist ein Teilaspekt der inneren Sicherheit – und nur zu diesem kann ich mich äußern. Sicherlich kommen mit dem Flüchtlingsstrom auch Menschen, denen unsere freiheitliche, auf Gleichberechtigung und Teilhabe fußende Verfassungsordnung fremd ist. Doch: Muss das so bleiben? Auch hier kann der Verfassungsschutz – gemeinsam mit anderen – wertvolle Aufklärungsarbeit leisten und durch das Aufzeigen von extremistischen Gefahren das aufzeigen, was uns wichtig ist: das friedliche Zusammenleben gleichberechtigter Menschen.

Keven Nau:Die Sicherheitsbehörden gehen Hinweisen nach wonach radikale Flüchtlinge durch den IS nach Deutschland eingeschleust wurden. Zudem gab es in sächsischen Flüchtlingsheimen „Ansprechversuche“ von Salafisten. Wie geht Ihre Behörde mit der drohenden Radikalisierung von Flüchtlingen um und haben Sie Hinweise auf eingeschleuste IS-Kämpfer?

Gordian Meyer-Plath:Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sensibilisieren jene Menschen, die mit „radikalen Flüchtlingen“ Kontakt haben könnten, um rechtzeitig in Abstimmung mit anderen Behörden präventive Maßnahmen zu ergreifen. Sobald wir Hinweise auf Personen haben, die gefährlich sein könnten, gehen wir diesen Hinweisen im Verbund der Verfassungsschutzbehörden und in enger Zusammenarbeit mit der Polizei im erforderlichen Umfang nach.

Keven Nau:Bundesjustizminister Heiko Maas fordert von den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern die AFD überwachen zu lassen. Teilen Sie die Auffassung des Ministers – wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Gordian Meyer-Plath:Die AfD ist in Sachsen kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Aus gutem Grund hat der Gesetzgeber hohe Hürden vor einer Beobachtung durch den sächsischen Verfassungsschutz errichtet. Voraussetzung für eine Beobachtung ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen konkret aufgeführte Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Grundrechte, Gewaltenteilungsgrundsatz, Unabhängigkeit der Gerichte, Ablösbarkeit der Regierung, Mehrparteienprinzip). Zugleich muss eine Beobachtung dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Voraussetzung für ein – meist arbeits- und zeitintensives – Prüffallverfahren sind einzig und allein Maßstäbe des Gesetzes und der hierzu ergangenen Rechtsprechung, nicht jedoch Meinungsäußerungen aus dem politischen Raum. Diese Voraussetzungen sind auch nachvollziehbar, weil der Staat grundsätzlich (partei-) politisch neutral zu sein hat und nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen – Stichwort: wehrhafte Demokratie – in den offenen politischen Meinungsbildungsprozess dort eingreifen darf, wo konkrete Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung bestehen.

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