Kritische Blicke auf den Zustand von Rechtsstaat und Demokratie

Kritische Blicke auf den Zustand von Rechtsstaat und Demokratie
v.l.n.r. Gierhake, Guerot, Seibert, Andrick, Kruse
von 23. Oktober 2023 0 Kommentare

Die letzten Jahre hätten klare Brüche im Rechtsfundament salonfähig gemacht, sagte Professor Dr. Katrin Gierhake, LL.M., in ihrem Vortrag auf dem Symposium „Rechtsstaat und Demokratie in der Krise – Analysen und Ausblick“. Veranstaltet wurde das Symposium von dem Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA) am Samstag, dem 21. Oktober 2023 in Halle (Saale).

 

Gierhake, die an der Universität Regensburg Strafrecht und Rechtsphilosophie lehrt, analysierte den Begriff des Ausnahmezustands und stellte fest, in den Jahren der „Corona-Krise“ habe es einen „verdeckten Ausnahmezustand“ gegeben, der zu einer „Rechtsentkernung“ geführt habe. Sie kam in ihrem Vortrag zu dem Schluss, dass Recht nicht beliebig sein dürfe, sondern richtig sein müsse. Als Maßstab hierfür führte sie den Begriff der Freiheit an: Diese sei Grund und Ziel des Rechts. Als Referentin war Gierhake ganz kurzfristig für den unmittelbar vor der Veranstaltung ausgefallenen Professor Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler von der Universität Oldenburg eingesprungen. Und: Sie begeisterte sie das Publikum. Die über 400 Teilnehmer am Symposium in Großen Saal des Volksparkes spendeten regelmäßig Szenenapplaus.

Rechtsanwalt Philipp Kruse, LL.M., aus Zürich konstatierte in seinem Vortrag unter dem Titel „Die WHO-Reformprojekte zur Pandemiebekämpfung: Dauerhafte Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Grundordnung der Mitgliedstaaten“, dass der stattgefundene staatliche Machtmissbrauch der letzten Jahre nicht aufgearbeitet werde. Vielmehr werde dieser legitimiert und in die Zukunft fortgeführt. „Wir haben es mit einem Großereignis von Grundrechtsverletzungen zu tun.“ Die geplanten Reformen der Weltgesundheitsorganisation, die zu unmittelbar geltenden WHO-Rechtsnormen führen können, würden den „Chaosbonus“ aus Pandemiezeiten fortführen und zu einem Notrecht auf Dauer führen. „Der Willkür sind hier Tür und Tor geöffnet.“ Dass ein „Ausnahmezustand“ überhaupt drei Jahre und drei Monate angedauert habe, sei nicht hinnehmbar. Zukünftig drohe er überdies in weiteren Bereichen, nämlich für „One Health“ – was sehr weitreichend sei. Kruse kritisierte die Beanspruchung eines Informations- und Regelungsmonopols und führte gegen verbindliche Vorgaben vonseiten der WHO auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker an.

Demokratie werde mit ihren eigenen Mitteln gekapert, meinte sodann Professor Dr. Ulrike Guérot in ihrem Vortrag „Simulative Demokratie – über die Aushöhlung rechtsstaatlicher Verfahren“. Es handele sich um eine strukturelle kapitalistische Entkernung von Demokratie; nur deren Oberfläche bleibe, so Guérot. Eine Lösung sei dagegen nicht in der Etablierung von Bürgerräten zu finden, sofern diese nicht wirklich unabhängig und frei agieren könnten. Anderenfalls handele es sich um „neue Sandmännchen“, ein „Sedativ“ für besorgte Bürger. Ein zentraler Begriff für Guérot war der Begriff der Republik, die sie als „Juwel der europäischen Geistesgeschichte“ bezeichnete und als Herrschaft des Rechts definierte. Nach einer Gegenüberstellung von „illiberalen Demokratien“ (Beispiele „Putin, Erdogan, Orban“) und undemokratischem Liberalismus (EU) mahne Guérot, mehr über die Republik nachzudenken als über Demokratie. Mit ihrer Betonung der „Égalité“ war ein offenbarer Gegenpol gesetzt zu dem primär auf Freiheit orientieren gründenden Ansatz Gierhakes, die dies in der anschließenden Fragerunde sofort aufgriff.

Anknüpfen an den Begriff des Nachdenkens konnte in seinem Vortrag der Philosoph Dr. Michael Andrick. Alles Nachdenken sei Vergleichen, stellte er zunächst fest. In Deutschland bestehe das Problem, dass der Totalitarismus-Begriff verbrannt sei, sogar noch glühe und drohe, alle zu versengen, die ihn aufgriffen. Andrick tat es in seinem Vortrag „Der Totalitarismus baut sich seinen Staat“ dennoch. Als notwendige Voraussetzung totalitärer Systeme nannte Andrick die Ideologie. Moralisierung und Demagogie würden zu einem geschädigten Gesellschaftsklima führen, kritisierte er. Scharf griff er das Phänomen des „Fakten-Checking“ an. Fakten ergäben sich durch zwei Faktoren, nämlich ein Geschehnis und dessen Beurteilung. Auf beiden Seiten sei dies grundsätzlich angreifbar. Nur einen engen Bestand an Unbestreitbarem gebe es, als Beispiel führte er den Einfall des Deutschen Reichs in Belgien im Zweiten Weltkrieg an, wogegen für einen Einfall Belgiens in Deutschland keinerlei Evidenz bestehe. Der intelligente und zugleich unterhaltsame Vortrag, der das Publikum regelmäßig zum Lachen brachte, soll – wie alle Vorträge – demnächst auf den Internetseiten des Netzwerkes KRiStA abrufbar sein.

Wir sollten zurück dazu kommen, über die gemeinsam zu betreibende Sache und nicht über moralische Belehrungen zu diskutieren, führte Andrick in der an die Vorträge anschließenden Podiumsdiskussion an. Diese wurde moderiert von „KRiStAner“ Thomas-Michael Seibert, pensionierter Richter am Landgericht und derzeitiger Honorarprofessor an der Universität Frankfurt am Main. Gegen Ende der Podiumsdiskussion fasste Kruse zusammen: „Die Qualität eines Rechtsstaates besteht darin, dass man sich nach so einem Kollateralschaden hinsetzt und guckt: Was müssen wir tun, damit das nicht nochmal passiert?“

So schloss sich eine informationsreiche und zum Nachdenken anregende Tagung, die KRiStA-Vorstandsmitglied Dr. Pieter Schleiter mit zwei Zitaten zu Demokratie und Rechtsstaat bzw. Obrigkeit eingeleitet hatte: „Demokratie erfordert objektive Bildung und aktive Beteiligung an den Angelegenheiten der Regierung“ (John F. Kennedy) und „Blinder Respekt gegenüber Autoritäten ist der größte Feind der Wahrheit“ (Albert Einstein).

 

 

         

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