Genetische Ursachen der Schizophrenie: Internationales Forscherteam entdeckt in der bislang größten Untersuchung 83 neue Verdachtsregionen

von 22. Juli 2014

Rund ein Prozent der Menschen erkrankt im Lauf des Lebens an einer Schizophrenie. Zu den Symptomen zählen unter anderem Denkstörungen und Sinnestäuschungen – so bilden sich manche Betroffene ein, Stimmen zu hören. Studien belegen, dass die Erkrankung in hohem Maß auch von genetischen Faktoren bestimmt wird. „Wir gehen davon aus, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Genen zusammen mit Umwelteinflüssen zum Erkrankungsrisiko beitragen“, sagt Prof. Dr. Markus Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn.

Ein internationales Forscherteam aus mehr als 300 Autoren hat nun in der bislang größten Studie die Aufklärung der biologischen Ursachen der Schizophrenie einen großen Schritt vorangebracht. „Bei den Ergebnissen des Forscherkonsortiums handelt es sich um einen Meilenstein“, sagt Prof. Nöthen. An der Publikation waren auch sieben Wissenschaftler der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn beteiligt: Vom Institut für Humangenetik, von der Abteilung Genomics des Life [&] Brain Zentrums, von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und von der Genomischen Mathematik und Bioinformatik.

Forscher entdecken insgesamt 83 neue Verdachtsregionen

Die Schizophrenie-Arbeitsgruppe des Psychiatric Genomics Consortium (PGC) fügte alle verfügbaren Gen-Daten sowohl aus bislang unveröffentlichten als auch bereits publizierten Studien zusammen und wertete sie in einer einzigen Datenbank mit 36.989 Patienten aus. Beim Abgleich der Erbinformationen mit einer Kontrollgruppe von 113.075 Personen, entdeckten die Wissenschaftler insgesamt 108 Verdachtsregionen, die mit der Entstehung der Schizophrenie in Zusammenhang stehen. 83 dieser Genregionen waren bislang unbekannt.

Das Immunsystem spielt bei Schizophrenien eine Rolle

„Mit den nun identifizierten Genregionen wird erstmals eine systematische Kartierung der biologischen Stoffwechselwege möglich, die zur Entstehung der Schizophrenie beitragen“, sagt Prof. Dr. Marcella Rietschel vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, die mit ihrer Arbeitsgruppe ebenfalls einen größeren Beitrag zur Studie geleistet hat. Die Resultate weisen darauf hin, dass zu den Hauptbeteiligten Signalübertragungswege zählen, die die Informationsübermittlung zwischen Gehirnzellen über die Botenstoffe Glutamat und Dopamin gewährleisten. Darüber hinaus haben bei den Schizophrenie-Patienten die genetischen Faktoren Einfluss auf Kalziumkanäle in den Nervenzellen und Proteine, die je nach Aufgabe die Funktion der Synapsen verändern. Die Wissenschaftler fanden zudem deutliche Hinweise, dass das Immunsystem – insbesondere die über B-Lymphozyten vermittelten Mechanismen erworbener Immunität – tatsächlich eine Rolle bei der Entstehung von Schizophrenien spielt.

Grundlagenforschung ist Voraussetzung für bessere Therapien

„Die wenigsten der identifizierten genetischen Varianten greifen in den Bauplan für wichtige Proteine ein, die den Stoffwechsel regulieren“, sagt Prof. Nöthen. „Meistens erfolgen die Effekte über Veränderungen der Genregulation.“ Dabei bleibt die „Blaupause“ in der Erbinformation unangetastet. Es wird vielmehr die Produktionsmenge des Proteins beeinflusst, für das das Gen den Bauplan liefert. „Die Identifizierung der Ursachen der Schizophrenie ist eine wichtige Voraussetzung für die Verbesserung von Therapien. Veränderungen der Genregulation erscheinen dabei als ein erfolgversprechender Ansatz“, sagt Prof. Dr. Dan Rujescu vom Universitätsklinikum Halle, dessen Arbeitsgruppe ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert den deutschen PGC-Beitrag im Rahmen des e:Med Programms zur Systemmedizin (IntegraMent Verbund). Ziel des Vorhabens ist es, ausgehend von genetischen Befunden die Rolle der beteiligten Stoffwechselwege bei der Entwicklung psychiatrischer Krankheiten genauer aufzuklären. Dabei sollen unter anderem bioinformatische Methoden, Bildgebungsverfahren zur Sichtbarmachung spezifischer Gehirnfunktionen sowie stammzellbasierte molekularbiologische Untersuchungen zur Anwendung kommen. Koordiniert wird der IntegraMent Verbund, an dem zehn Forschungseinrichtungen in Deutschland beteiligt sind, am Bonner Universitätsklinikum.