Ostdeutsche Wirtschaft kommt langsam wieder in Tritt

von 17. Juni 2010

Jetzt liegen die ersten Umsatzzahlen vor, die zeigen: Richtig mit Volldampf ist die Industrie in Ostdeutschland nicht ins Jahr 2010 gestartet.

Oder wie das Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle formuliert: "Das kräftige Aufbäumen der Konjunktur im letzten Quartal des Krisenjahres 2009 war von kurzer Dauer. Erst im Frühjahr 2010 hat die ostdeutsche Wirtschaft wieder Fahrt aufgenommen."

In den ersten Monaten dieses Jahres stagnierte die gesamtwirtschaftliche Produktion in Ostdeutschland sogar. Das Bruttoinlandsprodukt ist nach Berechnung des IWH sogar mit -0,1% leicht gesunken. Ausschlaggebend dafür waren – so das IWH – die witterungsbedingten Ausfälle in der Bauwirtschaft, die Umsatzrückgänge des Handels infolge der sinkenden Verkäufe von Kraftfahrzeugen und die andauernde Konsolidierung im Personalbereich des öffentlichen Dienstes.

Das ist immerhin selten, dass ein Wirtschaftsinstitut so deutlich anklingen lässt, dass auch der öffentliche Dienst ein Wirtschaftsfaktor ist. Und eben nicht – wie von einigen liberalen Marktexperten immer wieder behauptet – eine Geldvernichtung: Auch der öffentliche Dienst ist ein Teil der Wertschöpfungskette. Und wahrscheinlich ist es an der Zeit, endlich auch darüber nachzudenken, was all die Dienstleistungen wert sind, die der "Staat" für seine Bürger produziert – von der derzeit heiß diskutierten Bildung über die öffentliche Sicherheit und Sauberkeit bis hin zum öffentlich finanzierten Rettungswesen.

Eine nur auf den ersten Blick teure Wertschöpfungskette, die in den seltsamen Wirtschaftsmodellen der neoliberalen Schule nur als Sparoption und überflüssiger Luxus vorkommt. Und als behaupteter Grund für eine überbordende Staatsverschuldung.

Gerade dieser "Dämpfer" im Winterhalbjahr zeigt: Diese scheinbar so behäbigen Teile der Binnenwirtschaft spielen als Stabilisator gerade in wirtschaftlich unruhigen Zeiten die allerwichtigste Rolle. Und sie lösen augenscheinlich sogar Rückgänge im Inlandsprodukt aus, wenn sie geschwächt werden und die exportorientierte Industrie selbst nicht für Furore sorgen kann.

Die Industrie in Ostdeutschland setzte ihre Aufwärtstendenz dann doch das zweite Quartal in Folge fort, wenn auch im Osten verhaltener als im Westen. Vor allem die Geschäfte der Hersteller von Vorleistungsgütern und von Investitionsgütern mit ausländischen Abnehmern nahmen kräftig zu. Umsatzzuwächse im Inland berichteten vor allem die Produzenten von Verbrauchsgütern. Im Sog der Industriekonjunktur legten auch die Unternehmensdienstleister zu.

Die Stagnation der gesamtwirtschaftlichen Produktion im saisonbereinigten Verlauf bedeutet dennoch erstmalig ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von 1,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum – dem Tiefpunkt der Produktion in der Krise.

Im ersten Quartal 2009 war das Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland auf unter 62 Milliarden Euro abgesackt – von ursprünglich rund 66 Milliarden Euro Ende 2008. Nicht zu vergessen: 2008 war dann wieder ein Rekordjahr gewesen. Alle "Schreckensszenarien", die die Entwicklung mit diesem Jahr vergleichen, blenden aus, dass hier Spitzenwerte der Maßstab sind und alles, was nach dem Frühjahr 2009 geschah, so langsam wieder das Niveau vor dem 2008er Feuerwerk anpeilt – in dem (genauso wie in der Weltfinanzkrise) eine gewaltige Portion Überhitzung steckte.

Im zweiten Quartal 2009 betrug das BIP in Ostdeutschland wieder 63,5 Milliarden Euro, ein Jahr später hat es nun wieder die Schwelle von 64 Milliarden Euro überschritten.

Unter anderem auch, weil die Erholung der ostdeutschen Wirtschaft nach ersten Schätzungen des IWH an Breite gewonnen hat. Das Baugewerbe hat den witterungsbedingten Produktionseinbruch aus den ersten Monaten des Jahres überwunden. Die Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe waren zuletzt aufwärts gerichtet, und die vom IWH befragten Unternehmen signalisieren eine deutliche Verbesserung des Geschäftsklimas.

Das Verarbeitende Gewerbe bleibt auf Wachstumskurs. Dank eines regelrechten Schubs an Bestellungen im ersten Quartal haben sich die Industrieunternehmen wieder ein Auftragspolster zulegen können. Während bei den Produzenten von Vorleistungsgütern vor allem das Ausland mehr Güter orderte, erhielten die Investitionsgüterproduzenten deutlich und die Konsumgüterproduzenten etwas mehr Aufträge aus dem Inland. Die Auslandsnachfrage nach Gebrauchs- und Verbrauchsgütern aus Ostdeutschland ist dagegen gesunken. Letzteres ist dann wieder ein eigenes Thema und hat möglicherweise mit einer falschen Standort- und Investitionspolitik in Sachen Konsumgüterindustrie zu tun.