Eine Wanderung in die Kindheit

von 12. August 2020

40 Jahre vorher, war ich mit meinem Freund Hajo und meinem Opa dort. Hajo verlor sich irgendwann in der Geschichte, Opa starb. So ist das Leben nun mal.

Von der Roseburg ging es ein paar Kilometer zu den Gegensteinen und schon nach den ersten Schritten kamen die Erinnerungen. Als Kinder „enterten“ wir unerlaubt die Roseburg, dieses idyllische Märchenschloss, das scheinbar einem verwahrlosten Ende entgegenging. Trotzdem übte die 1925 fertiggestellte Fantasyburg von Bernhard Sehring eine seltsame Faszination auf mich aus. Immerhin stand sie geschichtsträchtig an der Stelle einer 963 erstmals erwähnten Rudeloffsburg. 1801 wurde die Burg in Karten nicht mehr erwähnt. Zu den Zeiten als ich unerlaubterweise einstieg (1973) waren die Gebäude Ausbildungsstätte und der Park wurde vom Kulturbund der DDR verwaltet und restauriert. Weggejagt wurden wir wohl vom Hausmeister, die Erinnerung aber daran blieb haften. Doch heute war die Roseburg nur Ausgangspunkt zu einer kleinen Wanderung zu den Gegensteinen.

Zu meiner Kinderzeit war es die Teufelsmauer. Ich begriff damals nicht, warum sie auch noch Gegensteine hießen. Dass sie Teil der 20 km langen Teufelsmauer sind, wurde mir erst später bewusst. Opa erzählte mir das Märchen von den Gegensteinen (auch er nannte die beiden Felsformationen immer die Teufelsmauer). Er erzählte auch, dass der Große Gegenstein der Stumme genannt wird und der kleine Gegenstein der „Laute“, weil er die Worte, die man gegen seine Mittagsseite spricht, als Echo zurückgibt. Natürlich probierten wir das aus und hörten den Teufel sprechen, der nach dem Märchen dort seinen Schabernack mit dem Wanderer spielt.

In Gedanken an diese Momente mit meinem Freund Hajo und Opa gingen wir (meine Frau und ich) den leichten Rundwanderweg zu den Gegensteinen. Der große Gegenstein lädt uns heute zum ausführlichen Verschnaufen ein. Dort vorn stand mein Opa, während wir Kinder am Felsen herumturnten, was er mit ständigen Vorsichtsermahnungen kommentierte. Wir „erklimmen“ den großen Gegenstein über bequeme Treppen und lassen uns auf der Plattform gut gehen. Immerhin wurde das Gipfelkreuz vor 157 Jahren aufgestellt und bekam 1993 eine Erneuerung. Heute lese ich, was mich als Kind wenig interessierte und erfahre den Urheber des Gipfelkreuzes – der Fürst von Anhalt Bernburg.

ich genieße die Weite und den Blick ins Harzvorland und sehe die zwei Jungen, wie sie lachend als wagemutige Abenteurer über das Geländer klettern und Opa schimpft fürchterlich, was „die Bengels“ wieder anstellen. Ich würde am liebsten mitklettern, bin aber inzwischen vernünftig geworden und bezweifele, dass ich das so schnell schaffen würde, wie damals. Die Felsenformation aus der oberen Kreidezeit wittert seit ca. 100 Millionen Jahre vor sich her, bei mir knackst es im Gebälk erst seit ein paar Jahren. Diese Steine haben sogar die Dinosaurier wahrscheinlich gesehen, nun klettert ein alter Dinosaurier auf ihnen herum.

Nach einem ausführlichen Picknick geht es noch zum kleinen Gegenstein, der mir fast größer erscheint als der Große Gegenstein mit seiner Plattform. Er ist eigentlich etwas kleiner und liegt auch tiefer. An den kann ich mich kaum erinnern, die Spur der Kinder verliert sich hier. Opa ist in sein Totenreich zurückgekehrt. Nun bin ich selbst in seinem Alter und habe leider keinen auf den ich schimpfen könnte. Das ist schade. Der Weg zieht sich in der Hitze bis zur Roseburg ganz schön hin. Da wir die Wanderung über den Schierberg gewählt haben, wird der Weg länger als erwartet. Unterwegs hat jemand auf einem Stein ein gut erhaltenes Wanderschuhpaar ordentlich aufgestellt. So kann man auch Spuren hinterlassen. Auf den Besuch der Roseburg verzichten wir heute. Kindheit kann man nicht an einem Tag erfassen.