Aufforderung zur Entlassung des Bildungsministers Marco Tullner

von 15. November 2019

Offener Brief

Betreff: Aufforderung zur Entlassung des Bildungsministers Marco Tullner

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Haseloff,

der Bildungsminister Marco Tullner ist seit der Landtagswahl im Jahr 2016 im Amt. Der Minister Tullner hatte seitdem über drei Jahre Zeit, um sein Ministerium zu ordnen und die Situation in Sachsen-Anhalt im Hinblick auf den schon damals vorhandenen Lehrermangel zu verbessern. Die Leistungsbilanz oder besser gesagt Nichtleistungsbilanz des Ministers Tullner haben wir uns vor diesem Hintergrund angeschaut und sind zu der Schlussfolgerung gelangt, dass Herr Minister Tullner offensichtlich bis heute keine Wende oder neuhochdeutsch keinen turn around bewirken konnte, was aus unserer Sicht auf mangelnde Eignung zurückzuführen ist.

Der Anlass für uns, zu bilanzieren, war die Veröffentlichung der neuesten Statistik über Schulabgänger ohne Schulabschluss in Sachsen-Anhalt im Schuljahr 2018/2019. Der Bildungsminister Tullner hat hier im zweiten Jahr in Folge einen nicht akzeptablen Prozentsatz von 11,4 %, der auf dramatische Art und Weise fast doppelt so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt, zu verantworten. Dieser Durchschnitt hat sich während seiner Amtszeit im Vergleich zu der Amtsperiode vor ihm weiter auf diesen Prozentsatz erhöht.

Bei den Verlautbarungen des Bildungsministers Tullner in der Presse haben wir den Eindruck gewonnen, dass Minister Tullner der Weltmeister im Ankündigen ist, der dann jedoch nie liefert.

Vollkommen inakzeptabel war ein Artikel in der Mitteldeutschen Zeitung vom 07.11.2019 in diesem Zusammenhang, der mit der Überschrift „Land des Scheiterns“ versehen war. In diesem Artikel heißt es wie folgt:

„…Bildungsminister Marco Tullner (CDU) reagierte am Mittwoch ratlos.

Jetzt soll eine Analyse her

Es gebe „Auffälligkeiten, für die es auf den ersten Blick keine nachvollziehbaren Klärungen gibt“, sagte er auf MZ-Anfrage. Das gelte etwa für das unterschiedliche Abschneiden innerhalb des Landes. Tullner will nun mit einer wissenschaftlichen Analyse die Ursachen erforschen. Anschließend werde ein Maßnahmenpaket entwickelt, kündigte er an …“

Wenn ein Bildungsminister angesichts einer nicht akzeptablen Nichtleistungsbilanz, wie Minister Tullner, nachdem er über drei Jahre im Amt ist, ratlos erscheint und ankündigt, ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag geben zu wollen, um ein Maßnahmenpaket zu entwickeln, will er lediglich auf Zeit spielen, um seine Amtsperiode noch heil zu überstehen.

Vor diesem Hintergrund haben wir – und wir sprechen hier auch für viele Großeltern und Eltern, die tagtäglich mit dem Unterrichtsausfall, für den Minister Tullner als Bildungsminister verantwortlich zeichnet, konfrontiert werden – das Vertrauen in den Minister Tullner vollständig verloren.
Als Zeichen seines Scheiterns verweisen wir auf zahlreiche Presseveröffentlichungen in der Vergangenheit. Eine der ersten unverständlichen Aktivitäten des Ministers Tullner war, den Leiter des Landesschulamtes Klieme aus welchen Gründen auch immer abzuberufen. Dabei hat er offensichtlich formale Fehler begangen, sodass Herr Klieme sowohl beim Verwaltungsgericht als auch beim Oberverwaltungsgericht gegen das Land Sachsen-Anhalt gewonnen hat. HerrKlieme, der uns persönlich nicht bekannt ist, wird im Land allgemein als ein ausgewiesener Fachmann betrachtet. Ein qualifizierter Nachfolger konnte von Minister Tullner lange Zeit nicht gefunden werden. Erst in jüngster Zeit wurde dann die Stelle neu besetzt, wobei in der Zwischenzeit die Staatssekretärin Eva Feußner kommissarisch neben ihrer Tätigkeit als Staatssekretärin auch das Landesschulamt leiten musste, was von den Aufgaben her in keiner Weise nachvollziehbar ist, da wohl beide Tätigkeiten eine Vollzeittätigkeit darstellen und nicht so nebenbei entweder die eine oder die andere Tätigkeit erledigt werden kann. Dies gilt erst recht nicht in einer derartigen krisenartigen Situation, wie sie hier seit Jahren besteht.

Spätestens dann, wenn die Schulen des gesamten Landes durch einen Lehrermangel nachgerade kurz vor dem Zusammenbruch stehen, muss das Landesschulamt, das ja auch für die Neuanstellung von Lehrern verantwortlich zeichnet, durch einen ausgewiesenen Fachmann/eine ausgewiesene Fachfrau geführt werden und zwar in Vollzeit und nicht als Nebentätigkeit, worüber allseits Einigkeit bestehen sollte. Wer in einer derartig schwierigen Zeit so vorgeht, handelt verantwortungslos.

Die Ergebnisse sehen wir heute Jahre später. Herr Minister Tullner ist es nicht gelungen, die von ihm verlangte und versprochene Anzahl von neuen Lehrerinnen und Lehrern einzustellen. Der Unterrichtsausfall ist katastrophal. Exemplarisch verweisen wir auf einen Artikel in der Mitteldeutschen Zeitung vom 06.11.2019, der mit der Überschrift „Schulleiter hat die Nase voll“ versehen ist. Der Schulleiter der Grundschule Schkopau teilt hier gegenüber der Presse und der Öffentlichkeit mit, dass er mit dieser Entscheidung ein Zeichen setzen will, weil es für ihn nicht mehr hinnehmbar ist, „was ich die letzten Jahre erlebt habe“. Der Lehrermangel und die fehlende Wertschätzung gegenüber älteren Kollegen, die nicht verbeamtet werden, obwohl junge Lehrer mit einer Verbeamtung in den Schuldienst gelockt werden sollen, habe zu dieser Entscheidung geführt.

Darüber hinaus teilt der Schulleiter des Goethegymnasiums in Weißenfels, Herr Dr. Mannke, in einem Elternbrief vom 23.08.2019, über den in der Bild-Zeitung berichtet wurde, mit, dass dieLandesregierung gegenwärtig von ihrem Ziel, 103 % Unterrichtsversorgung zu gewährleisten, weit entfernt sei. Zwei freie Stellen am Gymnasium („Biologie/Deutsch“ und „Religion/beliebig“) hätten nicht besetzt werden können, sodass nunmehr der Religionsunterricht in den Klassenstufen fünf, sechs, neun und zehn vorläufig vollständig ausfällt. Darüber hinaus werde der Biologieunterricht in zwei fünften, einer achten und zwei zehnten Klassen vollständig ausfallen und in den Klassenstufen neun und elf könne der Biologieunterricht nur partiell erteilt werden. Ein derartiger Unterrichtsausfall gerade von Biologie noch dazu in der Klassenstufe elf, wo ja die Noten für das Abitur mitzählen, ist vollständig inakzeptabel und kann nicht hingenommen werden.

Ebenfalls ist einer Presseveröffentlichung in der Volksstimme vom 22.10.2019 zu entnehmen, dass der Biologieunterricht an einer Magdeburger Schule in einer sechsten Klasse vollständig ausfällt.

Des Weiteren erfahren wir mündlich von vielen Eltern, die äußerst besorgt sind, dass nahezu flächendeckend Unterrichtsausfälle an allen Schulformen des Landes Sachsen-Anhalt zu verzeichnen sind, was bekanntlich zwischenzeitlich sogar zum Start eines Volksbegehrens geführt hat, gegen das sich Minister Tullner wehrt, wie flächendeckend den Medien zu entnehmen ist.

Auch die Ausbildung von Lehrern an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg scheint trotz der entsprechenden vollmundigen Ankündigungen ins Stocken geraten zu sein, weil dort Dozentenmangel herrscht, wie einer Veröffentlichung in der Mitteldeutschen Zeitung vom 05.11.2019 mit der Überschrift „Dozentenmangel an der Uni“ zu entnehmen ist. Aufgrund dessen werden die Lehrer an der Uni nicht zügig ausgebildet, müssen mehr Semester ableisten, als bei ordnungsgemäßen Studienablauf erforderlich wäre und geraten auch noch in wirtschaftliche Notsituationen, weil sie wegen zu vieler Semester in Konflikt mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) geraten.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Bildungsminister Tullner, bevor er Bildungsminister wurde, im Wirtschaftsministerium der für die Wissenschaft zuständige Staatssekretär war und damit für die Martin-Luther-Universität verantwortlich zeichnete, sodass auch dieser Dozentenmangel auf die Spätfolgen von Sparmaßnahmen, an denen Minister Tullner beteiligt war, möglicherweise zurückzuführen ist.

Angesichts dieser Zustände vertreten wir FREIEN WÄHLER die Auffassung, dass hier gegen Grundrechte verstoßen wird:

  1. Gemäß Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der vereinten Nationen vom 10.12.1949 handelt es sich bei dem Recht auf Bildung um ein universelles Menschenrecht. Dazu haben sich über 160 Staaten dieser Welt in diesem internationalen Pakt bekannt.

  2. Gemäß Artikel 28 der Internationalen Kinderrechtskonvention haben die Vertragsstaaten, zu denen die Bundesrepublik Deutschland gehört, das Recht des Kindes auf Bildung anerkannt sowie das Recht auf Chancengleichheit zur Verwirklichung dieses Rechts auf Bildung.

Das universelle Menschenrecht auf Bildung ist darüber hinaus eine unabdingbare Voraussetzung, um die Verwirklichung anderer Menschenrechte zu fördern. Bildung ist eine zentrale Voraussetzung für die Fähigkeit von Menschen, sich für die eigenen Rechte einzusetzen und sich mit anderen Menschen zu solidarisieren. Sie dient der Verwirklichung von im Grundgesetz geschützten Rechten, wie der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der Meinungsfreiheit oder dem Gleichheitsgrundsatz.

Aus dem universellen Menschenrecht auf Bildung ergibt sich ein Anspruch auf Teilhabe an Bildung. Dementsprechend stellt sich hier massiv die Frage, ob der in Sachsen-Anhalt vorherrschende Lehrernotstand mit dem einhergehenden katastrophalen Unterrichtsausfall undeinem Prozentsatz von im zweiten Jahr in Folge 11,4 % Schulabgängern ohne Schulabschluss ein Verstoß gegen den Anspruch auf Teilhabe an Bildung darstellt.

Darüber hinaus wird den Menschen, insbesondere den schutzbedürftigen Kindern, der Zugang zu Bildung rechtlich und faktisch verwehrt, wenn, wie hier in der Stadt Halle (Saale), sowie auch in anderen Städten in Sachsen-Anhalt, das Recht auf einen Schulplatz von einer Lotterie abhängig gemacht wird. Dies wäre nicht nötig, wenn das Land Sachsen-Anhalt für jede Schulform genügend Lehrer einstellen würde. Schließlich ist es so, dass die freie Wahl der Schulform durch die Eltern für ihre Kinder auch davon abhängig ist, wie die weitere schulische Laufbahn des Kindes sich entwickeln wird. Genau deshalb gibt es die verschiedenen Schulformen, damit jedes Kind auch die für seine jeweiligen Voraussetzungen besten Chancen für einen bestmöglichen Schulabschluss und damit die Basis für seine weitere Entwicklung erhält.

Gemessen an den vorstehend geschilderten Grundsätzen werden in Sachsen-Anhalt die Elternrechte sowie die Schülerrechte auf Teilhabe an Bildung bis zur Unzumutbarkeit zurückgedrängt. Wenn das Land Sachsen-Anhalt zu wenig Lehrer einstellt, um ordnungsgemäße Beschulung der Kinder durchzuführen, ist das universelle Menschenrecht auf Bildung bzw. das Recht auf Teilhabe an Bildung verletzt.

Das von Minister Marco Tullner (CDU) geführte Bildungsministerium schafft es nicht ansatzweise, gegen den Notstand in Sachsen-Anhalt wirksam etwas zu unternehmen. Vielmehr ist es so, dass sich die Situation von Jahr zu Jahr unter Minister Tullner verschlechtert. Man hat es in Sachsen-Anhalt verabsäumt, rechtzeitig in ausreichendem Maß Lehrer auszubilden und einzustellen, obwohl nichts so einfach zu berechnen ist, wie die Anzahl der Lehrer, die man in sieben Jahren für die erste Klasse in der Grundschule benötigt. Dafür muss man sich nur die heutigen Geburtenraten anschauen und rechnen. Die Lehrer an den Schulen geben ihr Bestes, um den Mangel an so vielen Stellen wie möglich aufzufangen und stoßen dabei auch an ihre physischen und psychischen Grenzen.

Vor diesem Hintergrund ist unsere Aufforderung an Sie, den Minister Tullner zu entlassen, zugleich auch eine Aufforderung, Ihrer Stellung als im Volksmund sogenannten „Landesvater“ hier im wörtlichen Sinne gerecht zu werden, da Sie eine große Verantwortung für unsere Kinder, die die Zukunft unseres Landes darstellen, tragen. Das Recht auf Bildung bzw. auf Teilhabe an Bildung ist zugleich auch ein Wirtschaftsfaktor, wie alle wissen. Es ist für die Wirtschaft vollkommen inakzeptabel, mit einer Quote von 11,4 % Schulabgängern ohne Abschluss konfrontiert zu werden, obwohl gleichzeitig Fachkräftemangel herrscht und ein Mangel an ausbildungsfähigen Berufsauszubildenden.

Wir erwarten, dass Sie nunmehr Ihrer Verantwortung, der Sie schon lange hätten gerecht werden müssen, folgend, Herrn Minister Tullner entlassen, wenn er nicht von sich aus trotz all seiner Ratlosigkeit die Konsequenz sieht und zurücktritt.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kühn

Landesvorsitzender der FREIEN WÄHLER Sachsen-Anhalt