Interview mit Matthias Schmidt, Regisseur „Zug in die Freiheit“

von 15. September 2014

Für den Dokumentarfilm “Die Bühnenrepublik. Theater in der DDR” gewann er 2004 den Adolf-Grimme-Preis; für “Das Wunder von Leipzig. Wir sind das Volk” wurde er 2009 mit dem World Television Award/Banff, Great Price of Documfest/Timisoara und Gold Remi Award/Houston ausgezeichnet.

Das Doku-Drama „Zug in die Freiheit“ lässt 90 Minuten lang die Geschichten und emotionalen Momente der Flüchtlinge in der Prager Botschaft und ihre Reise in den Westen lebendig werden. Was war die Herausforderung bei diesem Projekt?

Matthias Schmidt: „Es war eine Herausforderung Zeitzeugen zu finden, deren Geschichten sich miteinander verzahnen lassen. Denn „Zug in die Freiheit“ ist ein Doku-Drama, das heißt, wir sind dokumentarisch echt. Die Geschichten sind nicht erfunden, sie beruhen alle auf Erlebtem und Stattgefundenem. Die Handlungsstränge, die auf diesen Geschichten beruhen und die vielen Details machen die besondere Atmosphäre des Films aus. Wenn der Zeitzeuge Jens Hase auf der Treppe in der Prager Botschaft aufwacht und Genscher ihm entgegenkommt, dann ist die ganze Anbahnung der Genscher-Rede eine viel persönlichere und emotionalere, als wenn wir einfach nur die Rede zeigen. Durch die Dreharbeiten haben sich auch Wiederbegegnungen ergeben, wie die der drei Reichenbacher Jungen Jörg, Jens und Ronny. Von denen hatten wir am Anfang nur die Vornamen und mussten monatelang recherchieren, um sie zu finden. Durch den Film und die Interviews haben die Drei sich dann wiedergefunden, nachdem sie sich vor 25 Jahren verloren haben. Das finde ich extrem schön.“

Das Spektrum in dem Doku-Drama ist weit gefächert, ob die Zustände im Palais Lobkowitz, die Flucht von ehemaligen DDR-Bürgern nach Prag oder während der Zugfahrt gezeigt werden. Was war Ihnen besonders wichtig?

Matthias Schmidt: „Es war uns wichtig, verschiedene Zeitzeugen mit den unterschiedlichsten Geschichten zum Inhalt des Films zu machen. Deshalb kommt auch eine Frau wie Judith Braband mit ihrer Tochter vor, die eben gar nicht in den Westen wollte, sondern sich nur von ihrer Tochter in der Botschaft verabschieden will. Und natürlich darf man auch mal schmunzeln, denn die Zeitzeugen erzählen uns genau diese Geschichten. Zum Beispiel Jens Hase, der im Zug sagt ‚Man soll die Stasi ja nicht provozieren, aber ein bisschen eben doch schon‘ und dann sein Geld aus dem Fenster auf den Bahnsteig wirft. Das gehört auch zu diesem emotionalen Spektrum dazu; man darf weinen, man darf lachen, befreit und nachdenklich sein. Wir alle kennen die Geschichte, aber am Ende darf eben nicht dabei rauskommen „17 Millionen DDR-Bürger wollten alle in die Botschaft“, sondern die Vielfältigkeit der Lebenswege muss gezeigt werden.

Das Doku-Drama hat sehr viele emotionale Momente. Wie sehr berühren diese einen selbst?

Matthias Schmidt: „Es passieren Dinge, mit denen man selbst nicht rechnet. Man sitzt am Schnittplatz und schaut zum ersten Mal die Passage der Genscher-Rede an und obwohl man diesen Satz mitsprechen kann und die Rede schon dutzende Male gesehen hat, bekommt man plötzlich eine Gänsehaut. Es ist ein besonderes Gefühl, wenn man bestimmte Szenen im Schnitt sieht und den Tränen nahe ist. Das ist eben das Schöne an dieser Arbeit. Wir können jetzt nicht vorwegnehmen, was die Zuschauer empfinden, aber dieses Doku-Drama zeigt viele solch emotionaler Momente. Wir haben versucht, auch Menschen die jünger sind, dieses Thema nahezubringen; weil die Menschen, die in der Botschaft waren und auch die Oppositionellen in der DDR etwas dafür getan haben, dass diese jungen Menschen heute ihre Freiheit selbstverständlich leben können.“

Jetzt ist eine begleitende Dokumentation geplant, die erzählen soll, was aus den Zeitzeugen geworden ist. Um was geht es genau in diesem Projekt?

Matthias Schmidt: „Wir sind dabei, einige ausgewählte Personen aus dem Zug noch einmal zu besuchen und mit ihnen darüber zu sprechen, wie es ihnen in den letzten 25 Jahren ergangen ist. Wir thematisieren auch, wie sich ihre Hoffnung auf Freiheit, für die sie so viel riskiert haben, erfüllt hat. Sind sie im Westen geblieben oder nach vielen „Wanderjahren“ in ihre Heimat zurückgekehrt und sesshaft geworden? Ruhen sie in sich selbst, finden sie die Freiheit jetzt auch in ihrer Heimat vor? Aus diesem breiten Spektrum der Möglichkeiten möchten wir schöpfen. Dazu gehört auch, einige Geschichten zu Ende zu erzählen, die im Film bisher nicht zu Ende erzählt werden konnten. Die Dokumentation „Was wurde aus den Menschen in den Zügen?“ wird im Anschluss an die Ausstrahlung von „Zug in die Freiheit“ im MDR FERNSEHEN gezeigt.“