Helfer gesucht für Stadttaubenprojekt

von 17. August 2015

Ende der 1980er Jahre waren die Altsädte in Ostdeutschland Taubenparadiese. Denn entgegen der von der Partei- und Staatsführung der DDR ausgegebenen Doktrin der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, die für 1990 das Ziel postulierte, dass alle Dächer des Landes dicht sein werden, verfielen viele Altbauten. Durch die ungeschützten Ritzen in Dächern und Mauerwerken drangen Tauben ein. Mit der Massenflucht nach der Öffnung des Grenzzauns in Ungarn, der Lockerungen für Reisen in den Westen und dem Fall der Mauer standen zahlreiche Häuser leer. Viele Dachböden waren unpassierbar, weil sie komplett von Taubenkot und –federn bedeckt waren. Fortan hieß das Kampfziel der gewendeten Gesellschaft, die „Ratten der Lüfte“ nicht nur – wie Georg Kreisler einst sang – im Park zu vergiften, sondern überall, wo sie lebten, fraßen, heckten und brüteten. Je blauer der Himmel und je bunter die Häuser wurden nach dem Ende der alles verpestenden Kohlewirtschaft, desto weniger Tauben waren zu sehen. Die Schädlingsbekämpfungsoffensive zeigte Wirkung und schaffte es im Herbst 1992 sogar in den Spiegel, der berichtete, dass Jäger loszogen und es kurze Zeit später „tote Tauben von Halles Himmel regnete“.

Inzwischen schreibt die Händelstadt Halle das Jahr 2015 und die grauen Tauben sind sichtbar zahlreicher geworden. Leerstehende Häuser sind nach wie vor besonders beliebt bei den Tieren. Zwar treibt ihr ätzender Kot nach wie vor nicht zuletzt Denkmalschützern den Schweiß auf die Stirn, doch die Zeiten haben sich geändert. Wo die Tauben unerwünscht sind, platziert man spitze Nägel oder Attrappen natürlicher Gegner. Ansonsten haben sich Natur- und Tierschützer durchgesetzt mit ihrer Ansicht, dass die Population auf natürlichem Wege zu kontrollieren sei und die Vögel keinen qualvollen Tod sterben müssten. Aktivisten suchen nun die Gelege der Vögel auf und räumen die Eier aus. Einsatzorte sind unter anderem die Hochhaus-Scheiben in Halle-Neustadt.

Dort haben sich die Tauben inzwischen so vermehrt, dass sie monatelang bei der alltäglichen Landung auf dem benachbarten Möbelhaus He-Lü große Teile des Daches besetzten. Wie den Tieren beizukommen wäre, darüber stritten im ersten Halbjahr 2015 sogar Möbelhaus-Inhaber und Taubenfreunde aus Wuppertal. Die IG Stadttauben aus dem fernen Westen schrieb am 22. Juni einen Brief an das hallesche Veterinäramt. Man habe von verschiedenen Seiten gehört, dass in Halle Tauben in Körben gefangen würden, um sie anschließend mit Kohlendioxid zu vergasen. Unter anderem auf dem Möbelhaus He-Lü hätten Fangkörbe gestanden, die „nach bundesweiten Protesten“ entfernt worden seien. Zum Protest gegen die Taubenvernichtung erklärten sie Tierschützer, dass sie eine konstruktive Zusammenarbeit wünschen.

Der Verein Tierschutz Halle sucht nun fleißige Helfer für sein Stadttaubenprojekt, mit dem er sich schon seit Längerem darum bemüht, die Tauben auf natürliche Weise zu reduzieren. Die Aufgaben der Freiwilligen: Eier in Taubenschlägen austauschen, den Bestand im Auge behalten und eine regelmäßige Reinigung vornehmen. Außerdem suchen die Tierschützer Hauseigentümer, die ihre leerstehenden Objekte oder Dachböden für Taubenschläge zur Verfügung stellen. Die Aktivisten erinnern in ihrer Werbung um Verständnis an das Lied von der kleinen, weißen Friedenstaube, die Bedeutung der Taube als Symbol der Hoffnung in der Bibel (Arche Noah) und als Zeichen der Liebe bei Hochzeiten. Unerwähnt bleibt das allseits beliebte Aschenbrödl, das ja auch eine ganz besondere Beziehung zu den Tauben hat.

„Wir versuchen das ‚Augsburger Modell’ in Halle zum Laufen zu bringen, um unsere Stadttaubenpopulation tierschutzunterstützt zu verringern und gesund zu halten“, erklärt der Tierschutzverein sein Vorhaben. Das Modell sei entworfen worden, um Mensch und Tier zu schützen. Durch den Bau von Taubenschlägen sollen die verwilderten Tauben zu Haustieren werden. Hinzu kommt eine „Geburtenkontrolle“ durch die Entnahme von Eiern. Beispielorte für die Anwendung des Modells sind Torgau und Esslingen.

Die heutige Stadttaube ist eine Nachfolgerin der Felsentaube, bemüht sich der Tierschutzverein um Aufklärung. Unter diese Taube hätten sich auch herrenlose Haus- und Reisetauben gemischt. Der Verein wirbt dafür, sich mit dem Leben der Tiere zu befassen und so ihr Auftreten und Verhalten besser zu verstehen. „In unseren Städten ersetzen den Stadttauben Gebäude und Straßenschluchten die Brutplätze im Fels. Und Nahrung findet sich reichlich in Form von Essensresten, Markt-, Hafen- und Schulhofabfällen, Brauereien, Fütterungen oder Abfällen der Futter- und Nahrungsmittelindustrie, daher ist es nur allzu logisch, dass sie sich auch in jener gerne aufhalten.“ Die Tauben seien Gruppentiere und würden daher als Plage wahrgenommen. Wer die „Massenvernichtung“ oder „Vergiftung“ von Stadttauben fordere, befördere deren Verjüngung und somit die Stärkung der Population, was gerade nicht der erwünschte Effekt wäre.

Der Taubenkot sei in früheren Jahrhunderten als Pflanzendünger genutzt worden. Heutzutage sei er aufgrund von Krankheiten und falscher Nahrung meist flüssig und ein guter Nährboden für säureabscheidende Pilze. Trotzdem sagen die Aktivisten: „Die von Stadttauben ausgehende Gefahr für die Gesundheit der Menschen ist sehr gering.“ Es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass sich ein Mensch bei Tauben mit Ornithose, Salmonellose oder Tuberkulose ansteckt. „Für das hochaggressive Influenzavirus H5N1 sind Tauben überhaupt nicht empfänglich.“

Über die Fragen der Haltung und Fütterung gibt es unter Tierschützern und Wissenschaftlern keine einheitliche Meinung, wie sich unter anderem auf der Seite des „Instituts für die Stadttaube“ zeigt. Dort erklärt man, dass die Tierschutzmodelle für die Stadttauben aus Augsburg und Aachen schon älteren Datums sind. Daraus hervorgegangen sei inzwischen das „Regensburger Modell“, das allerdings teurer sei (siehe Links).

Wer Tauben schlecht behandelt, ob gesunde, verletzte oder tote Tiere, ist inzwischen gesellschaftlich geächtet. So garnierte ein Spiegel-Reporter einen Artikel über den SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby nebst der Stigmatisierung Halles als „Nazi-Hochburg“ mit seiner Beobachtung, dass ein Junge eine Taube durch die Straße kickte. Heute gelten derlei Bilder als Zeichen für eine verwahrloste Gesellschaft.

In der „Benutzungssatzung für öffentliche Anlagen, Spielplätze und Grünanlagen der Stadt Halle (Saale)“ ist zu lesen, dass das Füttern von Tauben in öffentlichen Anlagen untersagt ist. Das gilt auch für das Auslegen von Giftstoffen gegen Tauben, wenn dazu keine Genehmigung des Veterinäramtes vorliegt. Tauben werden auf halle.de nach wie vor als „Schädlinge“ geführt. Von dort wird dazu auf die Schädlingsbekämpfungsverordnung (SchädBekVO) des Landes Sachsen-Anhalt vom 14. Februar 1996 verwiesen, wo die „verwilderte Haustaube“ explizit benannt wird. Unter „Pflichten und Befugnissen“ wird bei einem entsprechenden Ausmaß des Befalls „eine allgemeine Bekämpfung von tierischen Schädlingen“ verfügt.

Links

Tierschutz Halle

http://www.tierschutz-halle.de/%22index.php?option=com_content[&]view=article[&]id=327

Brief der IG Stadttauben aus Wuppertal (Achtung: PDF-Datei!)

https://www.tierschutzpartei.de/wp-content/uploads/2015/06/Brief-der-IG-an-Halle.pdf

Institut für die Stadttaube

http://www.institut-für-die-stadttauben.de

Rechtsportal des Landes Sachsen-Anhalt

http://www.landesrecht.sachsen-anhalt.de