Herbst 89 in Halle

von 27. Februar 2009

(ens) Es war Chris Gueffroy, 20 Jahre jung, der das Fass zum überlaufen brachte. In der Nacht auf den 6. Februar 1989 wurde er bei seinem Fluchtversuch von DDR-Grenzern erschossen. In Gedenken an Chris, das letzte durch Waffeneinsatz an der Berliner Mauer ums Leben gekommen Maueropfer, zogen am Mittag des 26. Februar 1989 rund 30 engagierte Hallenser in einem Schweigemarsch durch Halle (Saale). “Es war ein Sonntag”, erinnert sich Frank Eigenfeld, einer der damaligen Teilnehmer, ganz genau. Ein Sonntag, weil da die Straßen leer sind. Und ein Sonntag, weil man auffallen wollte. Der Treffpunkt damals war die Marktkirche. Das Ziel: die Christusgemeinde in der Freiimfelder Straße. Über die Klement-Gottwald-Straße (Heute Leipziger Straße), Thälmannplatz (Riebeckplatz) und die Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft (Delitzscher Straße) zog die Gruppe. Nicht ganz ohne Bedenken. “Im Hinterkopf war immer der Gedanke: ‘wie lange lassen sie uns laufen?’” Doch Eigenfeld und seine Gruppe durften an diesem Wintertag ohne Übergriffe marschieren, trotz Begleitung durch die Stasi. “Sie waren allgegenwärtig und haben fotografiert.” Nach einer Stunde habe man das Ziel erreicht. “Erleichtert”, so Eigenfeld. Der Anfang vom Ende der DDR.

Es folgten Montagsdemonstrationen. Zum Beispiel am 9. Oktober. Als zur gleichen Zeit in Leipzig Tausende friedlich und ohne Übergriffe für Veränderungen in der DDR auf die Straße gingen, wurde in Halle noch geknüppelt. Erst am 16. Oktober ließen auch die halleschen Staatsdiener die Demonstranten gewähren. Die Demonstration am 23. Oktober brachte dann den Wendepunkt. Matthias Waschitschka war dabei. Er ging unter dem Schutz der Menschenmasse in den Ratshof, um den damaligen Oberbürgermeister Eckhard Pratsch zum Dialog mit der Bevölkerung aufzufordern. Pratsch sagte zu. Und so trafen sich die Hallenser am 26. Oktober zur ersten freien Bürgerversammlung im Volkspark. 1.300 Menschen im und 6.000 vor dem Volkspark wollten dabei sein.

Und heute, 20 Jahre später? Sind viele der damaligen Ereignisse in Vergessenheit geraten. “Es wird nur noch an die angenehmen Dinge erinnert”, so Eigenfeld. “Die dunklen Seiten bleiben auf der Straße. Überwachung. Unterdrückung.” Doch das soll sich nun ändern. Akteure der damaligen Zeit haben sich zusammengetan. Matthias Waschitschka, Frank Eigenfeld, Ingrid Häußler, Rüdiger Fikentscher – um nur einige zu nennen – haben deshalb das Projekt “Schritte zur Freiheit – Herbst 89 in Halle” ins Leben gerufen. Ziel: “ein freudiges erinnern”, so Waschitschka. “Wir wollen zeigen, wie großartig die damaligen Ereignisse waren.” Um ein “Heldengedenken” soll es seinen Worten zufolge aber nicht gehen.

20 Jahre nach seiner so wichtigen Funktion wird der Volkspark deshalb auch im Herbst 2009 im Mittelpunkt stehen. Ein umfangreiches Programm hat die Projektgruppe mit Hilfe vieler Institutionen wie Universität, Stasi-Unterlagenbehörde, Werkleitz, Zeitgeschichtenverein und vielen anderen zusammengestellt. Allein sechs Ausstellungen werden zwischen dem 26. Oktober und 7. November zu sehen sein, darunter Bilder der von der Stasi kritisch beäugten Maler Moritz und Wasja Götze, eine Fotoausstellung zur legendären Petersberg-Rallye oder eine Fotoschau zu im Jahr 1989 Geborenen und ihren Einstellungen zur Wende. Die Mitteldeutsche Zeitung wird die damalige Freiheit aufarbeiten, den Sinneswandel der Redakteure darstellen. Ebenso vorgesehen ist ein Stadtrundgang auf den Spuren der Wende.

Auch drei Theaterstücke stehen auf dem Programm. So wird “Ratzel hat ein Ziel vor Augen” von Erich Loest seine Premiere in Halle feiern. Vorgesehen sind zudem szenische Lesungen zur Bürgerversammlung vor 20 Jahren. Dokumente dazu gibt es reichlich, die Stasi war fleißig. Die Schauspielschule Berlin wird in der DDR verfasste Manuskripte via Schriftstellern und Drehbuchautoren präsentieren, die vor der Wende nicht veröffentlich werden durften. In der Multimedia-Installation “Transitland Europa” wird sich die Werkleitz Gesellschaft mit der Rolle der DDR in Europa befassen. Und mit benachteiligen Jugendlichen wird ein Runder Tisch nachgestellt – heute wie damals zu aktuellen Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Zusammen mit dem Lux-Kino wird bereits im Mai eine Filmreihe starten. Und zusammen mit dem Objekt 5 soll die Wende auch musikalisch auf die Bühne kommen. Wird sie aber auch im Volkspark: am 5. November steht hier ein Konzert mit Wolf Biermann auf dem Programm. Seinen Abschluss finden die zwei Festwochen am 7. November mit einem Revolutionsball.

Doch die Hallenser sollen nicht nur gucken und sich erinnern. Sie sollen auch aktiv mit einbezogen werden. So werden für eine Fotowand noch private Fotos aus den Wendemonaten gesucht. Hallesche Schüler sollen sich mit einem Schülerwettbewerb engagieren. Ende des Jahres wird dann auch eine Dokumentation der Ereignisse in Buchform erscheinen, in der auf 400 Seiten die Zeit von Mai 1989 – den gefälschten Wahlen in der DDR – bis zum Mai 1990 – den ersten freien Wahlen – beleuchtet wird. Begleitet wird das Buchprojekt von einer umfangreichen Multimedia-CD.

Und auch über den Tellerrand hinaus schauen wollen die halleschen Initiatoren. Am 9. Oktober wird in der Marktkirche ein Gottesdienst stattfinden, bevor die Teilnehmer anschließend ermuntert werden, nach Leipzig zu fahren. Die Messestadt erinnert den ganzen Tag mit vielen Projekten, Theateraufführungen, Konzerten und Gottesdiensten an die Ereignisse vom Herbst 89.