Monotones Pfeifen stört den Dialog

von 3. November 2015

Zu den Zuschauern am Rande des Szenarios gehörte ein Studentenpärchen, das sich weder auf der einen, noch auf der anderen Seite sah, sondern sich erst einmal ein Gesamtbild machen und informieren wollte. Am Ende saßen sie mit Menschen von der Montagsmahnwache im „Groben Gottlieb“ zusammen, die durch Herzlichkeit und Weltoffenheit überzeugten. Auf der Montagsdemo geht es friedlich zu und ganz verschiedene Menschen kommen ins Gespräch, ohne Stigmata und mit der Chance auf Rehabilitation, wenn sie vom richtigen Weg abgekommen sind. Das jedenfalls war der Eindruck der beiden Studenten, die erstmals vor Ort waren, und sie waren nicht alleine mit diesem Eindruck. Buntgemisch waren die Menschen, die der Mahnwache lauschten, quer durch das politische Spektrum und die sozialen Schichten. Unter ihnen waren freilich, wie schon an den beiden Montagen zuvor, Menschen in der Kleidung von Lonsdale, einem Erkennungsmerkmal rechter Gesinnungsgenossen, zu sehen. In Mann trug auf seiner Lederjacke nationalistische Bekenntnisse im Stile der im NS-Regime beliebten Frakturschrift. Auch Sven Liebich, der sich im Kreise der Montagsmahnwache zu den Rehabilitanten zählen darf, mit seinem aufrührerischen Blog „Halle Leaks“ jedoch für Aufregung und Irritationen sorgt, gab der Antinazi-Attitüde Nahrung, als er gleich einer Kampfansage ins Mikrophon schrie.

Doch die eigentlichen Köpfe und Haupredner der Montagsbewegung, Frank Geppert und Don Donatus, erklärte gegenüber Hallelife, am Mikrophon und in etlichen Gesprächen mit Veranstaltungsteilnehmern, Polizisten und Passanten, dass hier alle Menschen willkommen sind und das Pauschalurteil einer Nazi-Demo Blödsinn ist. Die von der Gegenseite aufgestellten Behauptung, vor dem Ratshof stehe „Halgida“, wies Geppert empört zurück, zumal es die Montagsmahnwache in Halle schon vor Pegida gegeben hat. Die Gegendemonstranten hatten jedoch auf Facebook schon vorab klar gemacht, warum derlei Erklärungen bei ihnen ins Leere laufen: „Wir wollen uns Rassismus, Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und Verschwörungsideologie auch diesen Montag entgegenstellen und verbinden Protest mit Selbstschutz! Um das Geschwätz der Pfeifen nicht mehr ertragen zu müssen, rufen wir zum Pfeifkonzert.“ Die Mahnwache hatte nach dem Pfeif- und Sirenenterror der Vorwochen ihrerseits technisch aufgerüstet und leistungsstarke Lautsprecher aufgestellt. Zugleich bemühten sie sich erfolgreicher als in der Vorwoche darum, die ihnen am wichtigsten erscheinenden Botschaften sichtbarer und hörbarer zu machen. Am Zaun zu den Gegendemonstraten schwenkten sie blaue Fahnen mit weißen Friedenstauben und dem Spruch „Raus aus der Nato!“ Außerdem brachten sie ein am Zaun zu den Gegendemostranten ein Megaphon in Position und spielten Arbeiterkampflieder ab. Alle verbinden, aus der Mitte agieren – das ist es, was Versammlungsleiter Geppert seit anderthalb Jahren auf etlichen Plätzen der Bundesrepublik und im Internet als seine Message verbreitet hat.

Don Donatus betonte einmal mehr, dass man sich nicht in Links und Rechts spalten lassen soll und schlug unter anderem vor, für ein neues Deutschland, wofür er steht, die Nationalhymne der DDR zu nehmen. „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt …“. Kathrin Oertel, die mit Pegida gebrochen hat und zur Mahnwache in Halle übergelaufen ist, erklärte, dass viele Menschen verstanden haben, dass etwas nicht stimmt in diesem Land. Für genau diese Ansicht war die neue Friedensbewegung von ihren Gegnern schon ganz am Anfang, im Frühling 2014, als Versammlung von Verschwörungstheoretikern und „Wahnwichteln“ verspottet worden. Auf Facebook plädiert sie für das Zusammengehen aller Menschen, auch wenn genau das auf der Gegenseite bis hinein in die etablierten Medien als „Querfront“-Gerede apostrophiert wird: „DEMOKRATIE ist nur GEMEINSAM möglich !!!Eine Grundvoraussetzung dafür, ist nun mal der DIALOG mit ALLEN Bürgern. Lasst uns auf die Schnittmengen konzentrieren und nicht für TEILE und HERRSCHE missbrauchen.“

Wie schon so oft waren Gäste aus anderen Städten zu Gast in Halle und durften ans offene Mikrophon der Mahnwache für den Frieden. Zu ihnen gehörte diesmal Hendra Kremzow, ein in der Mahnwachen-Szene bekannter Münchner, der mit dem Sankt-Georgs-Band am Revers auftrat, dem Symbol der Solidarität mit Russland. Er outete sich als Moslem und zeigte Verständnis für die Schwierigkeiten des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorotzki, im Umgang mit der „Mahnwache für den Frieden“. Sich zu politischen Angelegenheiten frei zu positionieren, sei in Deutschland nicht möglich, da etwa das Thema Judentum und Antisemitismus als Machtinstrument missbraucht werde. Mit etlichen Beispielen demaskierte er die Mechanismen der politischen Machtausübung. Er sprach den Anwesenden Mut zu, dass sie auf dem richtigen Weg seien und sich erste Erfolge des Widerstandes gegen das aktuelle Regime zeigten. „Sachsen ist für die Herrschenden verloren! Sachsen Anhalt auch bald.“ Kremzow lobte die Mahnwache in Halle hinterher auf Facebook: „Wow Teilnehmer von überall, aus allen Schichten und alle politisch und gesellschaftlich sehr engagiert, wie es sein soll. Danke für die Einladung!“ Welche Folgen politisches Engagement im Jahr 2015 mitunter haben kann, hatte er bereits am 31. Oktober gepostet: „Kaum postet man Raus aus der NATO und trägt ein St. Georgsband (Solidarität mit Donezk, Lugansk und Russland) kamen Trolle der Nato aus Kiev und haben versucht sich in mein fb Account einzuhacken.“

Die „aufgeheizten Erfüllungsgehilfen des Systems“ (O-Ton von Mahnwache-Teilnehmern) zeigten hingegen keinerlei Dialogbereitschaft. Das einzige Ziel der „verblendeten jungen Menschen“ sei es, die Mahnwache als Nazi-Veranstaltung zu etikettieren und lautstark zu stören. Tatsächlich versuchten die Gegendemonstranten zwei Stunden lang beinahe ununterbrochen und extrem laut, die Redebeiträge der Mahnwache mit Trillerpfeifen zu übertönen und Passanten am Zuhören zu hindern. Im Aufruf zur Gegendemo hieß es unter anderem: „Die Montagsdemo – angeblich ‚für den Frieden’ – war schon immer eine rechte Bewegung, allerdings erreicht das Gehetze auf dem Marktplatz im Moment eine neue Dimension. Zwar ist der Inhalt ähnlich wirr und faschistisch wie sonst auch, mit Besuchen und Unterstützung von der ‚Brigade Halle’, NPD-, AfD-, Pegida- oder Legida-Prominenten und dem Zusammenschluss mit anderen asylfeindlichen Rassist*innen gelingt den Organisator*innen dort allerdings das, was anderen lokalen Rechten bis jetzt verwehrt blieb: Die montäglichen Demos entwickeln sich zu einem halleschen Pegida – einem verspäteten ‚Halgida’ also.“ Weiter hieß es bei „No Halgida“ auf Facebook: „Rechte Gewalt wurde geleugnet und in etlichen Beiträgen erklärt, dass jede Person willkommen sei, die sich den Zielen der Montagsdemo verschreibe. Diese Ziele sind recht einfach zu erkennen, schließlich sorgt man sich dort in bester NS-Manier um rassische Reinheit der Deutschen und die jüdische Weltverschwörung.“ Das sehen etliche Besucher und Zaungäste der Mahnwache anders, doch schreckten einige von ihnen vor den Absperrzäunen und wegen der lautstarken Gegendemonstranten davor zurück, zur Montagsdemo zu kommen oder wurden von der Polizei weggeschickt.

Beide Seiten erheben indes den Vorwurf, dass sie von der jeweils andere Seite wiederholt auch gewalttätig attackiert wurden. So erklärte „No Halgida“ unter anderem, dass Teilnehmer der Montagsdemo einen Anschlag auf die „Goldene Rose“ verübt hätten. Die Montagsmahnwache wiederum konnte mit Bildermaterail beweisen, dass auf sie mit einem Böller geworfen wurde. Welche Sicherheitsvorkehrungen notwendig sind, um Zusammenstöße zu verhindern, war daher wiederholt Diskussionsthema. Diesmal stand die Polizei mit Fahrzeugen nicht nur auf dem Markt und dessen Zuwegen, sondern auch vor der „Goldenen Rose“ und am Franckeplatz. Nach dem Böllerwurf am 26. Oktober 2015 aus den Reihen der Gegendemonstranten in die Menschenmenge der Mahnwache (hallelife berichtete) stelltedie Polizei am 2. November 2015 zwei Zaunreihen auf. Die Distanz zwischen den beiden Veranstaltungen blieb jedoch so, dass es weiter möglich war, Gegenstände auf die andere Seite zu werfen. Versammlungsleiter Geppert kritisierte das.

Hintergrund zur Nationalhymne der DDR

Von Johannes R. Becher gedichtet und von Hanns Eisler vertont, wurde der Text der Hymne am 6. November 1949 zum ersten Mal veröffentlicht.

Auferstanden aus Ruinen

und der Zukunft zugewandt,

laß uns dir zum Guten dienen,

Deutschland, einig Vaterland.

Alte Not gilt es zu zwingen,

und wir zwingen sie vereint,

denn es muß uns doch gelingen,

daß die Sonne schön wie nie

über Deutschland scheint.

Glück und Friede sei beschieden
Deutschland, unsrem Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
schlagen wir des Volkes Feind.
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
daß nie eine Mutter mehr
ihren Sohn beweint.

Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
lernt und schafft wie nie zuvor,
und der eignen Kraft vertrauend,
steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
unsres Volks in dir vereint,
wirst du Deutschlands neues Leben.
Und die Sonne, schön wie nie
über Deutschland scheint.

Die Rede von Hendra Kremzow (Youtube) =[gt] https://youtu.be/Z6DhuJCvKrI