Bohrungen am Concordiasee ergeben neue Erkenntnisse

von 15. Juli 2011

Bei den im Frühjahr 2011 durch die Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) eingeleiteten Untersuchungsbohrarbeiten an Land und auf dem Concordiasee in Nachterstedt konnten erste Erkenntnisse gewonnen werden. Entgegen den bisherigen Vorstellungen weisen an der Böschung neueingerichtete Brunnen lokal deutlich größere Mächtigkeiten der wassererfüllten Sedimente auf oder erbringen ein Vielfaches der erwarteten Förderleistung. Weiterhin wurden unterhalb des Seewasserspiegels im Tagebaurestloch unerwartet hohe Drücke in den liegenden Grundwasserleitern festgestellt. Bei den bisher ausgeführten Laboruntersuchungen an Sedimenten des Böschungsbereiches wurden überwiegend setzungsfließgefährdete Materialien angetroffen. Die bisher durchgeführten Bohrungen erfordern somit Korrekturen der bisherigen Annahmen zum geologischen Schichtaufbau und zu den Grundwasserdruckverhältnissen.

Bei den Bohrarbeiten werden höchste Sicherheitsanforderungen eingehalten, um das Risiko des Auslösens einer weiteren Böschungsbewegung aufgrund der Arbeiten möglichst gering zu halten. Bei den Bohrarbeiten auf dem Concordiasee werden neben den Bodenproben auch die bodenmechanisch relevanten Parameter vor Ort untersucht. Nach Vorliegen der jeweiligen Ergebnisse werden das Bohrregime und der Bohrlochausbau festgelegt. An den gewonnenen Proben werden weiterhin im Labor die bodenmechanischen Kennwerte verifiziert und weitere Parameter ermittelt.

Nach derzeitiger Einschätzung dauern die Bohrarbeiten des Untersuchungsprogramms zur Ursachenermittlung bis Herbst 2012 an. Die nachlaufenden Laboruntersuchungen und -auswertungen werden bis Frühjahr 2013 andauern, so dass der Abschlussbericht zur Ursachenermittlung der Böschungsbewegung voraussichtlich im Sommer 2013 erstellt werden kann. Aufgrund des hohen Gefährdungspotenzials muss mit größter Sorgfalt und Umsicht gearbeitet werden, um alle Eventualitäten auszuschließen. Dies gilt sowohl für die Datenermittlung, als auch für die Arbeiten vor Ort.

Die bisher gewonnenen Bodenproben und überprüften bodenmechanischen Kennwerte bestätigen, dass sich die Böschung im Tagebaurestloch Nachterstedt in einem labilen Gleichgewichtszustand befindet. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass durch die LMBV innerhalb des Sperrgebiets eine Sperrzone eingerichtet worden ist, die – auch nicht zu Kontrollzwecken – betreten werden darf. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand müssen alle Kippenböschungen im Tagebaurestloch Nachterstedt als in ihrer Standsicherheit gefährdet angesehen werden. Deshalb sind alle Untersuchungen zur Ursachenfindung auch weiterhin unter größter Vorsicht und mit allen erdenklichen möglichen Sicherungsmaßnahmen für Mensch und Gerätschaft durchzuführen.

Zum Hintergrund: Am 18. Juli 2009 ereignete sich an der Südböschung des Concordiasees in Nachterstedt ein Böschungsabriss von erheblichem Ausmaß, der drei Menschen das Leben kostete und anderen ihr Zuhause nahm. Die bergrechtliche Verantwortung für das betroffene Tagebaurestloch liegt bei der LMBV als Bergbausanierungsunternehmen. Zur Ermittlung der Schadensursache wurde am 21. Juli 2009 das Ingenieurbüro Dr.-Ing. Michael Clostermann, Dortmund, durch das Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB) Sachsen-Anhalt eingeschaltet. Nach Auswertung der Akten, unter Berücksichtigung von mehr als 11.000 Dokumenten, wurden insgesamt 14 potenzielle Schadensursachen ermittelt. Es wurde als wahrscheinlich angesehen, dass der großräumige Böschungsabriss durch das gleichzeitige Zusammenwirken verschiedener Faktoren verursacht wurde.

Die Auswertung der seitens der LMBV bereitgestellten Unterlagen ist nach wie vor nicht abgeschlossen. Weitere Akten wurden nach Auffinden des Werksarchivs Nachterstedt vom 20. August 2010 bis zum 31. März 2011 in insgesamt 108 Umzugskartons übergeben. Die Erfassung und Auswertung dieses komplexen, umfangreichen Aktenbestandes wird bis zum Winter 2011/2012 anhalten.

Aus den vorhandenen analogen Grubenbildern und Bohrprofilen wurde ein digitales 3D-Modell des Altbergbaus erstellt. Durch Verschneidung der untertägigen Streckensysteme mit der Tagebaugeometrie ist die Ermittlung der noch vorhandenen untertägigen Grubenbaue im Bereich des Tagebaurestlochs Nachterstedt möglich geworden. Somit wurde ein unter Berücksichtigung sämtlicher vorliegender Informationen möglichst umfassender Überblick über potenziell hydraulisch wirksame Verbindungen innerhalb der Braunkohlenlagerstätte geschaffen.

Veröffentlichte und in den Archivunterlagen vorhandene Luftbildaufnahmen des Concordiasees zeigen zu verschiedenen Zeitpunkten Eintrübungsfahnen im östlichen und südöstlichen Böschungsbereich. Diese Eintrübungen unterhalb des Seewasserspiegels konnten bis 2004 zurückverfolgt werden und halten auch bis heute an. Durch einen digitalen Abgleich mit dem 3D-Modell des Altbergbaus lässt sich hier ein möglicher Zusammenhang und somit ein weiterer Hinweis auf potenziell hydraulisch wirkende Verbindungen konstruieren.

Die im Sommer 2010 durchgeführte Seebodenvermessung erlaubt ebenfalls eine dreidimensionale Auswertung mit hoher Genauigkeit. Auf Basis der zur Verfügung gestellten Messdaten wurden verschiedene Berechnungen durchgeführt, in die auch die Ergebnisse der Seevermessung aus den Jahren 2003 und 2009 mit einbezogen wurden. Insbesondere die Höhenlage des Seebodens konnte für alle Jahre konstruiert werden. Aufgrund der hohen Genauigkeit der Messungen aus dem Jahr 2010 konnten die zu betrachtenden Höhenintervalle der Auswertung relativ klein gehalten werden. Dies führt dazu, dass festgestellt wurde, dass die Reichweite der in Bewegung geratenen Bodenmassen deutlich größer anzusetzen ist als bisher angenommen. Weiterhin lassen sich aus den Messungen drei Hauptbewegungsrichtungen erkennen, so dass sich der mögliche Ablauf der Böschungsbewegung Nachterstedt modelltechnisch nachvollziehen lässt.

Diese Hauptbewegungsrichtungen deuten auf drei Phasen der Böschungsbewegung hin. In der ersten Phase könnte eine Materialumlagerung unterhalb des Wasserspiegels stattgefunden haben. Dieser Prozess kann bereits lange Zeit vor dem Ereignis eingesetzt haben und die Funktionstüchtigkeit der Stützkippe kontinuierlich reduziert haben. In der zweiten Phase könnte ein lokaler Böschungsbruch im westlichen Teil des Rutschungsbereichs aufgrund des Versagens der Funktionstüchtigkeit der Stützkippe eingetreten sein. Die dritte Phase wäre dann durch dieses Ereignis indiziert und hätte damit den östlichen Rutschungskessel verursacht.

In Verbindung mit den ausgewerteten Archivunterlagen und dem bisher erarbeiteten 3D-Modell des Altbergbaus ergibt sich somit eine theoretische Hypothese der wahrscheinlichen Versagenszusammenhänge. Zur Verifizierung dieser These war es zwingend erforderlich, die durch die LMBV geplanten Untersuchungsarbeiten, sowohl auf dem Concordiasee als auch an Land, durchzuführen.

Die Ergebnisse der Ursachenermittlung der Böschungsbewegung Nachterstedt sind die Grundlage einer Bewertung aller noch unter Bergaufsicht stehenden Kippen in Sachsen-Anhalt. Die endgültige Bewertung und Nutzungsfreigabe, auch teilweise, hängt von den Erkenntnissen in Nachterstedt ab.