Schild für Halles erste Medizin-Dekanin

von 9. Oktober 2009

Im Rahmen des Projekts „Bildung im Vorübergehen“ versieht die Bürgerstiftung Halle jeden Monat Straßenschilder in der Saalestadt mit zusätzlichen Informationsschildern, die Auskunft über die Namensgeber der Straßen geben sollen. So wird am Montag die Genetikerin und Erste Dekanin der Medizinischen Fakultät in Halle Paula Hertwig geehrt. Gespendet wurden die Schilder von Dr. Frank Nagel sowie Frau Claudia Joerger, einer Nachfahrin der weiteren Familie Paula Hertwigs.

Viele hallesche Straßen sind nach historischen Persönlichkeiten aus der Stadtgeschichte benannt, doch häufig wissen die Hallenser gar nicht, wer hier eigentlich geehrt wird. Deshalb stattet die Bürgerstiftung Halle im Rahmen des Projektes „Bildung im Vorübergehen“ seit Juli 2008 monatlich eine Straße mit zusätzlichen Informationsschildern aus, die Auskunft über die Namensgeber der Straße geben. Die Initiatorinnen und „Anstifterinnen“ des Projektes, Dr. Ingeborg von Lips und Geraldine Michalke, verbinden damit die Idee, Einwohnern und Besuchern der Stadt diese historischen Persönlichkeiten und ein Stück hallescher Stadtgeschichte näher zu bringen.

Auf Seite 2 finden Sie Informationen über Paula Hertwig:

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Die im Wohnviertel westlich der Röntgenstraße direkt vor dem Krankenhaus Martha Maria in Halle-Dölau gelegene neue Straße erhielt 1998 auf Beschluß des Stadtrates den Namen Paula Hertwigs. Paula Hertwig stammt aus einer Familie mit wissenschaftlicher Tradition. Ihre Mutter Marie war die Enkelin des Theologen und Sprachforschers Wilhelm Gesenius, ihr Vater Oscar und ihr Onkel Richard Hertwig waren bedeutende Biologen ihrer Zeit, Schüler von Ernst Haeckel. Paula wurde am 11. Oktober 1889 in Berlin geboren, ein Jahr nachdem Ihr Vater den dortigen Lehrstuhl für vergleichende Anatomie angenommen hatte.

Da während ihrer Schulzeit Mädchen der Weg ins Gymnasium noch verschlossen war, legte Paula Hertwig ihre Abiturprüfungen nach einem dreijährigen Gymnasialkurs als Externe am Sophien-Real-Gymnasium 1908 ab. In diesem Jahr öffneten sich die preußischen Universitäten für weibliche Studenten. So konnte sie als eine der ersten offiziell immatrikulierten Frauen an der Universität Berlin Zoologie, Botanik und Chemie studieren. Zusammen mit ihrem Bruder Günther, dem sie zeitlebens eng verbunden blieb, reiste sie 1913 zu ihrem ersten Forschungsaufenthalt an die zoologische Station Neapel. (Günter Hertwig hatte wie der Vater Medizin studiert, interessierte sich aber ebensfalls stark für Zoologie und Entwicklungsbiologie.)

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges arbeitete Paula 1914-1915 in der sozialen Kriegsfürsorge, anschließend bekleidete sie die Stelle einer Volontärassistentin am anatomisch-biologischen Institutes ihres Vaters, wo sie diesem während des Krieges als einzige Hilfskraft zur Seite stand. 1916 wurde sie “magna cum laude” zum Dr. phil. promoviert. 1919 habilitierte sie sich im Fach Zoologie – als erste Frau der Philosophischen Fakultät in Berlin – und erhielt die Lehrbefugnis. 1920 wechselte sie als wissenschaftliche Assistentin zum Institut für Vererbungs- und Züchtungsforschung der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. 1927 wurde sie zur außerordentlichen Professorin ernannt und hielt Vorlesungen zur Vererbungslehre an der Medizinischen Fakultät.

Seit 1918 Mitglied der Deutschen Volkspartei war Paula Hertwig 1933 als Abgeordnete der Deutschen Staatspartei im letzten Preußischen Landtag aktiv. Dies sowie ihre passive politische Haltung zur NSDAP trug ihr den Ruf “politischer Unzuverlässigkeit” ein, gefährdete ihre Lehrbefugnis und verhinderte ihre Karriere über den Status einer Oberassistentin hinaus. 1944 ging durch einen Bombenangriff auf ihr Haus in Berlin Grunewald die wertvolle Bibliothek der Familie sowie unersetzliche Schriften und Briefe verloren.

1946 folgte Paula Hertwig zusammen mit ihrem Bruder dem Ruf der Halleschen Universität. Während man Günther Hertwig als Direktor des Anatomischen Institutes einsetzte, wurde Paula Hertwig Professor an der Medizinischen Fakultät mit Lehrauftrag in Biologie und Vererbungslehre. Als Direktorin des für sie gegründeten Biologischen Instituts (das erste an einer Medizinischen Fakultät in Deutschland) prägte sie dessen Aufbau und modernisierte die biologische Grundausbildung der Medizinstudenten. Erste Frau in der Medizinischen Fakultät, war sie von 1948-1950 deren erste Dekanin. 1957 emeritiert, lehrte und forschte sie weiter und leitete das Institut kommissarisch bis zu ihrem 70. Lebensjahr 1959. Nach dem Tod ihres Bruders 1972 zog sie zu Verwandten nach Villingen, wo sie 93jährig am 31. März 1983 verstarb.

Stellvertretend für ihre Forschungen auf dem Gebiet der Evolutions- und Mutationsforschung seien hier nur ihre Untersuchungen zur Veränderung des genetischen Materials durch Röntgen- und Radiumstrahlen genannt. Paula Hertwig war Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina sowie der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leipzig und erhielt zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, u.a. den Nationalpreis für Wissenschaft und Technik der DDR.

Quellen:
Stadtarchiv, Signatur FA 2951
Sybille Gerstengarbe: Die akademischen Karrieren der Geschwister Paula und
Günther Hertwig. In: Acta Historica Leopoldina 45 (2005)
Hans-Albrecht Freye: Paula Hertwig. In: Professoren der Martin-Luther-Universität im Dienst einer humanistischen und fortschrittsfördernden Wissenschaft, 1986