Die Zukunft der Hochschulen in Sachsen-Anhalt ist ungewiss. Sie sind unterfinanziert, und zusätzliche Investitionen sind nicht zu erwarten. Braucht das Land eine neue Strukturdebatte?
(Julius Lukas, hastuzeit) Der Betonklotz in der Kurt-Mothes-Straße 1 liegt etwas erhöht, so dass man über den Weinbergcampus blicken kann. Er ist einer von vielen Zweckbauten hier ein klobiges Rechteck mit bröckelnder Fassade, in dessen Innerem von engen Korridoren viele Räume abgehen. Im zweiten Stock hat Holm Altenbach sein Büro.
Es ist keine schöne Umgebung, doch das stört den Professor nicht. »Ich bin ja nicht zur Freizeitgestaltung, sondern zum Arbeiten hier«, meint der geschäftsführende Direktor des Zentrums für Ingenieurwissenschaften. Ginge es allerdings nach dem Kultusministerium, hätte er den Betonklotz schon lange in Richtung Magdeburg verlassen, um dort zu lehren und zu forschen. Doch Holm Altenbach und mit ihm die Ingenieurwissenschaften sind aus Halle so leicht nicht zu vertreiben.
Von der Gründung zur Last
Mit dem Ende der DDR wurde in Ostdeutschland auch die Hochschullandschaft neu strukturiert. Professor Andreas Ranft kennt diese Zeit aus eigener Erfahrung. Der heutige Dekan der Philosophischen Fakultät I vertrat zu Beginn der 90er Jahre Lehrstühle in Greifswald und Berlin. »Nach der Wende gab es unglaublich viel Geld in einem System, das noch nicht in der Realität angekommen war. Jede Begehrlichkeit und jeder scheinbare Nachholbedarf wurde umgesetzt«, fasst Andreas Ranft die damalige Lage zusammen. Abgesehen von der Martin-Luther-Universität und der Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design in Halle wurden alle Hochschulen im Land neu gegründet. Zum Teil gingen sie aus Bildungseinrichtungen der DDR hervor, wie in Magdeburg oder Köthen. Die Fachhochschulen Magdeburg-Stendal und Harz hingegen wurde komplett neu etabliert.
Der Gründungsboom endete jedoch nicht mit der Erschließung neuer Standorte, sondern setzte sich an den Hochschulen selber fort, wo man zuvor nicht dagewesene Fachbereiche und Institute aufbaute. So wurden über die 90er Jahre hinweg die höchsten Bildungseinrichtungen des Landes kontinuierlich größer.
Professor Ranft hat durchaus Verständnis für diesen Tatendrang: »Die Euphorie und politische Bereitschaft war damals groß. Man dachte, man brauche die neuen Institutionen. Aus heutiger Sicht war manches davon mit ungedecktem Scheck bezahlt und überstrapaziert nun manchen Landeshaushalt.« Institute und sogar Hochschulen, die damals gegründet wurden, sind heute zur Last geworden.
Vernichtung von Unikaten
Zu dieser Ansicht kam mit der Zeit auch die Politik. 2004 veröffentlichte das Kultusministerium deswegen einen Hochschulstrukturplan, der umfangreiche Veränderungen der höheren Bildungseinrichtungen in Sachsen-Anhalt vorsah. Zum einen wollte man damit das Profil der einzelnen Hochschulen schärfen. Triebfedern waren aber auch demografische und finanzielle Zwänge. Der Geburtenknick der 90er Jahre prophezeite sinkende Studierendenzahlen, und zur Haushaltskonsolidierung sollten auch die Hochschulen beitragen.
Sparpotential an den Universitäten sah man vor allem in der Verlagerung zweier Fachbereiche. Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (OGU) sollte die Lehrerbildung an die Martin-Luther-Universität abgeben, an der man im Gegenzug die Ingenieurwissenschaften aufzulösen hatte. »Man wollte sogenannte Dopplungen vermeiden, aber das ist von vornherein nicht ernsthaft betrieben worden«, fasst Holm Altenbach die Bemühungen des Ministeriums zusammen. Auch heute noch sorgt dieser Vorgang bei ihm für viel Unverständnis: »Bei uns führte das dazu, dass man Unikate vernichtet hat. Von anderen Bereichen, wie den Wirtschaftswissenschaften, die es an jeder Hochschule im Land gibt, wird immer noch behauptet, sie wären alle so einmalig.«
Braucht Sachsen-Anhalt eine neue Strukturdebatte? Die Anzeichen dafür mehren sich. Während des zweiten »Runden Tisches« im September 2009 forderte Finanzminister Jens Bullerjahn die Hochschulen auf, über die eigenen Strukturen verstärkt nachzudenken. Hintergrund war wie schon 2004 die schlechte finanzielle Lage des Landes.
Zwar wurden den Bildungseinrichtungen, auch als Reaktion auf die deutschlandweiten Bildungsproteste im Herbst, zusätzliche Millionen versprochen, allerdings sollen diese vor allem der Umstellung auf das Bachelor-/Mastersystem zugute kommen. Langfristig aber wird der große Schuldenberg Sachsen-Anhalts kaum mehr Geld für die Hochschulen zulassen, und auch wenn das Budget in der Höhe erhalten bliebe, wären sie in ihrer heutigen Struktur unterfinanziert, wie zum Beispiel die Leitung der Uni in Halle immer wieder betont.
Zudem rückt das Eintreten der Prophezeiung, dass die Studierendenzahlen sinken werden, immer näher. Bis zum Ende der Dekade soll der Rückgang deutlich spürbar werden. Mit diesen Prognosen ist allerdings vorsichtig umzugehen. Schon in den 70er Jahren begann man in der DDR die sogenannte »Studentenbergpolitik« und überlastete die Kapazitäten der Hochschulen mit dem Hinweis darauf, dass die Studenten bald weniger würden. Ihre Anzahl ist jedoch durchweg nur gestiegen, was vor allem durch die Entwicklung der Universitäten zu Masseninstitutionen erklärbar ist. Dieser Trend steht auch heute noch weit oben auf der politischen Agenda. Es bleibt fraglich, ob sich der Geburtenrückgang der 90er Jahre stärker auf die Studierendenzahlen auswirkt.
Aber auch wenn man den demografischen Faktor nicht mit einbezieht, scheinen Veränderungen des Hochschulangebotes in Zukunft nicht ausgeschlossen zu sein. »Wir stehen vor wichtigen Strukturüberlegungen, die das ganze Land betreffen«, meint auch Professor Andreas Ranft. Wenn dabei Institute zur Disposition stehen, empfiehlt der Dekan der Philosophischen Fakultät I jedoch »mehr Fingerspitzengefühl«. Es sei sowieso schon »mühsam, Geschenke, die man verteilt hat, wieder einzuholen«.
Irrwitziger Schließungsbefehl
Professor Holm Altenbach vermutet, dass man am Ende nur noch auf das Geld geschaut habe. Der Etat der Ingenieure, immerhin acht Millionen Euro, war verlockend. Die Realität sieht jedoch laut Altenbach anders aus: »Es war irrwitzig, zu glauben, mit einem Schließungsbefehl Geld zu sparen.«
Problematisch bei Umstrukturierungen ist vor allem der Umgang mit dem Personal einer Universität. Drei Lehrstühle der Ingenieurwissenschaften sollten nach Magdeburg umziehen. Ein Professor ist heute dort, die zwei anderen kämpfen vor Gericht. Holm Altenbach gehört zur Mehrheit. Nach eigener Aussage wäre er gerne nach Magdeburg, wo er sogar wohnt, gegangen. Allerdings nur unter den Bedingungen, die er in Halle hatte und die ihm in seinem Berufungsprotokoll zugesichert sind. An der OGU konnte man ihm diese nicht garantieren, und so blieb er an der MLU und wartet auf ein Ergebnis der gerichtlichen Auseinandersetzung.
Derzeit gibt es an der Uni in Halle allerdings auch noch genug zu tun. Nachdem man merkte, dass die Ingenieurwissenschaften so leicht nicht aufzulösen sind, gründete man für die Phase der Abwicklung das Zentrum für Ingenieurwissenschaften, das die gleichen Rechte hat wie eine Fakultät. Neben Forschung ist es auch für die Lehre verantwortlich. Aktuell beziffert Professor Altenbach die Zahl der Studierenden mit 90, von denen 70 »gut fertig werden können.« Die restlichen sind Karteileichen. »Der älteste Student ist im 39. Semester und war lange vor mir an der Uni. Ich habe ihn allerdings noch nie gesehen«, meint Altenbach.
Kämpferische Debatte
Gründen ist einfacher als Schließen. Das Beispiel der Ingenieurwissenschaften illustriert dies sehr eindrücklich. Professor Altenbach meint jedoch auch, dass man im Fall seines Fachbereichs nur »handwerklich schlecht« gehandelt hat. »Wenn man wirklich sparen will, ist es nicht damit getan, eine Sache zu schließen, und der Rest bleibt erhalten«, meint der Wissenschaftler.
Um Strukturen zu verändern, braucht man Strategien und den Mut aller Beteiligten. Professor Ranft rät, »ohne Scheuklappen zu agieren.« Für ihn wäre auch eine Fusion von Hochschulstandorten nicht ausgeschlossen. Holm Altenbach wird hier schon konkreter: »Warum nicht die Uni in Halle und die FH in Merseburg oder die Uni Magdeburg und die Hochschule Magdeburg-Stendal zusammenlegen? Nicht indem man Institute abschlachtet, sondern durch einen langsamen, 20 bis 25 Jahre dauernden, kontinuierlichen Prozess.«
Sollte es zu solchen Überlegungen kommen, dann erwartet die Hochschullandschaft von Sachsen-Anhalt eine »kämpferische Debatte«, da ist sich Professor Ranft sicher. »Die grundsätzliche Frage wird sein, welche Fächer wir im Land haben wollen und wo sie, unter Berücksichtigung der Standorte und deren Stärken, gelehrt werden sollen«, meint der Dekan, der seine Fakultät und sein Fach gut aufgestellt sieht: »Allerdings wäre ich auch als Professor für mittelalterliche Geschichte in Halle fehl am Platz, wenn ich nicht wollte, dass dieses Fach hier erhalten bleibt.«
Andreas Ranft erkennt bereits den politischen Willen zum Angehen dieser Strukturaufgabe, die die Hochschulen letztlich stärken soll und muss. Eine Möglichkeit wären die Umstrukturierungen. »Rückbau und partielle Konzentration müssen betrieben werden, damit das Land auch 2020 noch zukunftsfähig ist«, sagt Ranft. Was dann aus dem Zentrum für Ingenieurwissenschaften geworden ist, weiß auch Holm Altenbach nicht. Besonders optimistisch ist er allerdings auch nicht: »Ich glaube, eine Lösung kommt vor meiner Pensionierung nicht mehr zu Stande. Und ich habe noch zwölf Jahre.«
HalleForum.de präsentiert in Zusammenarbeit mit hastuzeit aktuelle Berichte rund um die hallesche Universität. Dieser Artikel erschien in der 31. Ausgabe der hallischen Studierendenschaftszeitschrift hastuzeit.