“Gegen das gesunde Volksempfinden”

von 27. Januar 2010

Ihre “Verbrechen”: verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen. Insgesamt 551 Mal standen in der Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1940 und 1945 Angeklagte aus genau diesem Grund vor dem halleschen Sondergericht. In der Mehrzahl waren Frauen angeklagt, weil sie Freundschafts- oder Liebesbeziehungen zu Kriegsgefangenen aufgenommen hatten. Doch auch deutsche Arbeitskollegen der Kriegsgefangenen sowie deren eigene Landsleute, die sich als zivile Zwangsarbeiter in Mitteldeutschland befanden, zählen zu den Verurteilten.

Else K. aus dem Landkreis Wittenberg ist so ein Fall. Am 15. August 1940 wurde sie wegen einer Liebesbeziehung zu einem polnischen Kriegsgefangenen zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, starb im Mai 1943 im Anstaltslazarett Waldheim. Ihr Gesuch auf vorzeitige Haftentlassung hatte das Gericht abgelehnt. Oder Luise S. aus Holleben, die in der Passendorfer Ziegelei eine Liebesbeziehung zu einem Franzosen begann. Vier Jahre Haft waren die Folge. “Schamlos und ehrvergessen” sei sie gewesen, heißt es in der Urteilsbegründung. Auch Dorothea S. aus Zeitz wurde aus dem gleichen Grund inhaftiert. Ein Gnadengesuch wurde abgelehnt. Die Strafe sei keinesfalls zu hoch, ist da zu lesen. “Die Bevölkerung von Zeitz war schon früher sittlich stark verwahrlost. Verfahren wegen Verbrechen gegen §4 Wahrkraftschutzverordnung haben gegen Frauen aus Zeitz und Umgebung in unverhältnismäßig großer Zahl vor den Sondergericht geschwebt. Aus diesem Grund muss in solchen Fällen ein strengerer Maßstab an die Strafe angelegt werden als bei Frauen in anderen Gegenden.”

Diese und weitere Schicksale haben Paul Schrader und Philipp Schreyer in ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr bei der Heinrich-Böll-Stiftung erforscht. Jetzt liegen ihre Ergebnisse als Broschüre unter dem Titel “das gesunde Volksempfinden gröblichst verletzt” vor. Sie kann bei der Böll-Stiftung bestellt werden.

Andre Gursky, Leiter der Gedenkstätte Roter Ochse, dankte den beiden Jugendlichen bei der Vorstellung der Broschüre am Mittwoch, lobte die Arbeit als außergewöhnlich. “Das Thema ist bisher sehr wenig bekannt”, so Sachsen-Anhalts Justizministerin Angela Kolb. “Ich hoffe das viele weitere Jugendliche dem Beispiel folgen und sich an der weiteren Erforschung beteiligen. Damit wir Lehren ziehen und eine Wiederholung der Geschichte vermeiden.” Und tatsächlich wird an einer Fortsetzung gearbeitet. “Unser nächstes Projekt sind Rundfunkverbrechen”, so Michael Viebig von der Gedenkstätte. Dabei geht es um Verurteilungen, weil Menschen den falschen Sender gehört haben.

Doch zurück zur Broschüre der Jugendlichen. Sie ist tatsächlich nötig, um aufzuklären. Denn nur wer die damaligen Gerichtsurteile kennt, kann um so besser Parallelen zu Äußerungen heutiger Rechtsextremisten ziehen. Hier ein Zitat aus dem Magazin der Süddeutschen Zeitung:

Zitat:

Jörg Haider hat die Unterkunft kurz vor seinem Tode erfunden. Tatverdächtige – nicht Verurteilte – sollten dort „konzentriert“ werden, wie es Stefan Petzner, Haiders „Lebensmensch“ einmal nannte. Das „gesunde Volksempfinden“, erklärte der heutige Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler wortwörtlich, wünsche das. Ganz Kärnten, so lautete die offizielle Wahlkampfparole des BZÖ, solle „tschetschenenfrei“ werden. (kompletter Artikel)