“Für den Leser schreibt keiner mehr”

von 25. August 2010

Als sich die Diskussion mit dem Publikum beim Grünen Salon dem Ende entgegen neigt, macht eine junge Frau ihrem Unmut Luft: „Ich schaffe das einfach nicht!“ Als Mutter zweier Kinder und Studentin habe sie schlicht nicht die Zeit, öffentliche Themen sorgfältig zu recherchieren. Deswegen brauche sie jemanden, der das für sie tut. Tom Schimmeck bringt ihren Hilferuf auf den Punkt: „Sie suchen also ein Medium ihres Vertrauens.“ Eines empfehlen kann der Journalist und Buchautor der jungen Frau allerdings nicht. Dafür hatte er sich auch den gesamten Abend lang zu sehr über so ziemlich alle Zeitungen, Fernsehsender und Rundfunkanstalten der Bundesrepublik ausgelassen.
„Journalismus in der Krise?“ war die Frage unter der der von der Heinrich-Böll-Stiftung ausgerichtete Grüne Salon am Dienstagabend stand und die Tom Schimmeck mit einem klaren „Ja“ beantworten konnte. Eine Position, die der Hamburger eindrücklich mit den passenden Anekdoten untermauerte. Als Journalist durchlief er die wichtigsten Redaktionen Deutschlands, wobei er einen langsamen Verfall seines Berufsstandes bemerkt habe: „Besonders bei den Zeitungen hat sich die Lage in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verschlechtert.“ Als Grund nennt Schimmeck vor allem zwei Faktoren. Zum einen ist die finanzielle Situation der Journalisten katastrophal. Für einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung habe er insgesamt eine Woche gearbeitet und am Ende 200 Euro bekommen, erzählt Schimmeck. Bei der gleichen Zeitung habe er es auch vor Jahren erlebt, dass man auf Druck einer Unternehmensberatung seine Honorare kürzen wollte: „Mein Redaktionsleiter rief mich an und sagte mir, dass ein junger Herr mit Fliege von Roland Berger meint, dass man bei mir 25 % einsparen müsse. Darauf hin sagte ich: »Machen wir doch gleich 100 Prozent daraus«.“ Schimmeck trennt sich damals von der Zeitung, gesteht aber auch ein, dass er es konnte. „Ein paar andere Einnahmequellen hatte ich damals schon.“ An dieser Stelle wird sehr deutlich, aus welcher Position Schimmeck seine Branche kritisiert. Als gestandener, vielfach ausgezeichneter Journalist mit guten Kontakten und vielen Aufträgen, kann er sich vernichtende Worte leisten. Der Hamburger weiß auch um diesen Umstand und erkennt an, dass sich manche, vielleicht nicht so begnadete Autoren in andere Gefilde retten. „Es gibt mehr Pressesprecher und PR-Leute in Deutschland, als Journalisten“, resümiert Schimmeck, nicht ohne hervorzuheben, dass man das sicherere Einkommen in der Öffentlichkeitsarbeit hat.

Ganz durchgehen lässt er den Faktor der finanziellen Ausstattung von Journalisten jedoch nicht. Denn genauso wie öffentliche Rundfunkanstalten und Verleger wieder mehr Geld für Qualität ausgeben müssen, müssen viele Journalisten ihre charakterliche Einstellung ändern. Als besonders eindrücklich beschreibt Schimmeck sein dreijähriges Engagement beim Hamburger Wochenmagazin „Der Spiegel“: „Selten habe ich irgendwo so wenig Charakter erlebt wie dort.“ Ein hochbezahlter Goldener Käfig sei die Zeitschrift aus der Hansestadt, deren Hierarchien so fest seien, dass sich Redakteure nicht getraut hätten zu lachen, bevor nicht ihr Ressortleiter auch zu einem Schmunzeln angesetzt hatte. Schimmeck zieht hart ins Gericht mit seinen Kollegen, die die basalsten Aufgaben, wie zum Beispiel Fakt-Checking oder gar Lektorat vernachlässigen würden. Als besonders störend empfindet der Hamburger Journalist auch die Verquickung von Journalisten und den Objekten ihrer Berichterstattung, wie es beispielsweise im politischen Hauptstadtjournalismus oder der Wirtschaftsberichterstattung der Fall ist. „Die Schreiben nur noch für ihre Peer Group, also ihre Kollegen und die Unternehmensbosse“ meint Schimmeck über die Wirtschaftsjournalisten und resümiert: „Für die Leser schreibt von denen keiner mehr.“

Auch aus dem Unmut der jungen Frau spricht diese Erkenntnis und eine Konsequenz liefert sie gleich noch mit. Wenn die Zeit fehle, Themen gründlich zurecherchieren, dann müsse man eben auf einfachere Formate umsteigen: „Dann schaut man halt »Bauer sucht Frau«.“
Tom Schimmecks gesammelte Erfahrungen und Analysen über die Medienbranche sind in seinem Buch „Am Besten nichts Neues. Medien, Macht und Meinungsmache.“ nachzulesen, dass dieses Jahr im Westend Verlag erschienen ist.