Graffiti – wie weiter?

von 22. Oktober 2009

(ens) Graffiti oder Schmiererei? Wie soll man die Schriftzüge nennen, denn überall im Stadtgebiet an Häuserwänden prangen? Wertet man sie mit der Bezeichnung “Graffiti” nicht auf? Eine der Fragen, über die am Mittwochabend im Mehrgenerationenhaus in Glaucha diskutiert wurde. Innendezernent Bernd Wiegand, IBA-Koordinator Gernot Lindemann, Sprayer Sebastian Ristow, Polizist Wilfried Krüger und Lutz Schultz vom Mieterbund stellten sich in einer Podiumsdiskussion den Fragen von Moderator Uwe Oertel und des Publikums.

Oertel, selbst Vater, begann den Abend gleich mit einer lockeren Frage. Sein zweijähriger Sohn habe zuhause auch immer die Wände mit Buntstiften bemalt. Nun hat er eine Tafel, die Wände bleiben sauber. Ob so was auch bei Sprayern funktionieren kann? Sprich: helfen mehr legale Wände? “Nur bedingt”, so Wiegand. Ganz so einfach wie auf Kinderebene gehe es freilich nicht. Auch Herr Probst, Vertreter von Haus & Grund, sieht es ähnlich. Tafeln aufzustellen löse das Problem nicht. Ein Hauptproblem für ihn: die Sprayer wollen gesehen werden, versuchen Ruhm zu erlangen und im Stadtbild präsent zu sein. Dies könnten Spraywände eben nicht bieten. “Durch Wände erlangt man diesen Ruhm nicht, weil man sich im Straßenbild nicht wieder findet.”

Doch um zur Eingangsfrage zurück zu kommen. Schmierereien oder Graffiti, was ist die richtige Bezeichnung? “Schmiererei”, so Herr Probst von Haus & Grund. “Es ist egal ob sie künstlerisch gestaltet sind, sie beschädigen Eigentum.” Doch mit der Kunst ist es ohnehin so einfach Sache, findet auch Polizeihauptkommissar Wilfried Krüger. Nur maximal fünf Prozent aller Sprayer sei künstlerisch aktiv. “Die Masse hat es aber nicht drauf.” Sie sprühten, um Anerkennung im Freundeskreis zu erlangen. Für sie gelte es Alternativen zu schaffen, mit denen sie sich beschäftigen könnten, so Krüger. Sport wäre vielleicht eine Möglichkeit, “das ist aber nicht DER Ansatzpunkt”, bemerkte Krüger. Die heutigen Jugendlichen seien sportlich weniger interessiert.

In Halle werde nur geschmiert, Halle sei scheiße – solche Worte sind selbst in Sprayerforen zu finden. Also ist es tatsächlich so? Gibt es in Halle so gut wie keine künstlerischen Graffiti? “Es gibt einige, die was drauf haben”, bemerkte Sebastian Ristow, “die sind auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.” Doch auch er konnte nicht verhehlen, dass die Qualität tatsächlich abnehme. Für ihn ein Spiegelbild der Gesellschaft. Einstige Codexe gelten nicht mehr, ein Werteverfall sei in der Szene festzustellen – also ebenso wie in der gesamten Gesellschaft.

Lassen sich vielleicht Täter durch schnellere Verurteilungen abschrecken? Müsse schneller bestraft werden? Genau das sei der Ansatz der Stadt, so Wiegand. “Wir versuchen die Straftäter schnellstmöglich zu fassen.” Mitführverbote von Sprayutensilien hat das Ordnungsamt schon einige verhängt. Aber bei den tatsächlichen Verurteilungen vor Gericht hapert es eben noch, 6 bis 8 Monate ist die Bearbeitungszeit. Viele Verfahren werden eingestellt. Gerade mal zwei Sprayer hat es im letzten Jahr erwischt. Und das bei rund 2300 Schmierereien in der Stadt. So entsteht eine Resignation unter den Hauseigentümern. “Das erste Graffiti wird noch entfernt. Bei zweiten resigniert der Hauseigentümer”, beklagte Probst von Haus & Grund. Und dann habe der Hausbesitzer auch noch mit den eigenen Mietern zu kämpfen, die wegen der Verschandelung die Miete kürzen. Neue Mieter ziehen eher nicht in besprühte Häuser, das konnte auch Lutz Schultz vom Mieterbund bestätigen. Schultz sitzt mit seinem Mieterbund in einem Geschäftshaus am Alten Markt. In den letzten zwei Jahren sei das Haus 12 Mal besprüht worden. Die Bausubstanz habe schon gelitten, Täter seien in keinem Fall gefunden worden.

Immer wieder schwankte man in der Diskussion zwischen Ursachensuche und Lösungsmöglichkeiten. Liegt der hohe Grad der Verrohung vielleicht daran, dass es in Glaucha weder Sportvereine noch Jugendclubs und Spielplätze gibt? Immerhin, eine Spielfläche soll laut IBA-Vertreter Gernot Lindemann bis 2013 her. Und auch mit dem Stadtgarten des Postkult-Vereins sei es gelungen, Jugendliche einzubinden. Doch das sind für Lindemann nur Puzzleteile. “Das muss schon viel früher anfangen”, war sich Lindemann sicher. Die Jugendlichen verhalten sich eben so wie die Erwachsenen, die zwar über die Graffitis meckern aber eben doch ihren Dreck fallen lassen. “Wir müssen uns da an die eigene Nase fassen.” Polizist Krüger sieht das ähnlich. Er sieht vor allem die Eltern in der Pflicht. Diese würden kaum noch Werte vermitteln. Wenn eben die Mutti ihren zweijährigen Sohn bei Rot über die Ampel schleppe, werde der später auch selbst bei Rot gehen. Und wenn die Eltern vermitteln, dass Eigentum nichts wert ist, dann setzt sich das auch fort.

Und was könnte es für Lösungsansätze geben, gerade im Glaucha-Viertel? Cantor-Gymnasium und Künstlerhaus 188 machen zum Beispiel ein gemeinsames Projekt. Hier sollen Spanplatten künstlerisch gestaltet werden. Sie sollen später einmal vor die Fenster verfallender Häuserruinen gehängt werden. Der Postkult-Verein will im Kiosk Pinguin einen Umsonst-Laden einrichten. Hier könnten Sprayer bei der Innengestaltung helfen. Beim Festival “Fete de la Musique” solle man die Jugend stärker einbeziehen, war zu hören. Und das nicht nur als Zuschauer, sondern als Mitgestalter. MDR-Vertreter Oertel bot hierbei Unterstützung durch den Jugendsender Sputnik an.

Und Gernot Lindemann will vor allem durch eine Aufwertung des Viertels Schmierereien zurückdrängen. Zum Beispiel durch gestaltete Vorgärten, wie sie einst vor 100 Jahren hier existierten. Abgegrenzt durch Zäune. In der Schwetschke-Straße wolle man dies einmal probieren, so Lindemann. Und stieß damit nicht unbedingt nur auf Begeisterung. Zäune seien der falsche Weg, erklärte Herr Probst. “Sie verdrängen das Problem nur in andere Viertel.” Aber ist es tatsächlich so schlimm mit Schmierereien in Glaucha? Sebastian Ristow finden: Nein. “Hier wird ein Brennpunkt heraufbeschworen”, erklärte er. Hauptsächlich seien es im Viertel alte Graffitis, neue kämen kaum hinzu. “Hier wuchert es nicht über.”

Und dann kam da so ziemlich zum Schluss noch die Frage nach der Bildung? Könnte vielleicht das Bildungsniveau etwas zu tun haben mit den Vierteln, in denen gesprüht wird? Giebichenstein, Kröllwitz und Paulusviertel mit vermeintlich hohem Bildungsniveau und kaum Graffiti. Plattenbaugebiete und Glaucha mit vielen Hartz IV-Empfängern? Da war sie wieder, die Stigmatisierung. Doch: Untersuchungen gibt es dazu offenbar in Halle nicht, zumindest Antworten konnte niemand liefern. Klar sei nur, dass mehr Hauptschüler Straftaten verüben, erklärte Wiegand. Doch klar ist eben auch, das wohl kaum jemand sein “eigenes “ Viertel beschmutzt. Sprich: die Täter die in Glaucha sprühen kommen eben aus der ganzen Stadt. Und sie kommen aus verschiedenen Bevölkerungsschichten.

Das wurde aber dann doch nicht weiter diskutiert. Und so standen nach Auflösung der offiziellen Runde noch ein paar Gäste beim Bierchen zusammen. Da fiel dann auch die Idee eines Prangers. Sollte man die Namen der Sprayer nicht irgendwo veröffentlichen, meinte ein Gast. Möge sich jeder sein eigenes Urteil bilden.