Empfehlungen der G20-Wissenschaftsakademien an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel übergeben

von 22. März 2017

Die Empfehlungen zeigen Strategien und Instrumente auf, Krankheiten effektiver zu bekämpfen und die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf dem Zusammenhang zwischen übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten. Ein Beispiel hierfür sind durch Viren mitverursachte Krebserkrankungen. Die Wissenschaftsakademien fordern, zuverlässige und belastbare Gesundheitssysteme zu schaffen und vorhandenes Wissen besser zur Prävention zu nutzen. Soziale, umweltbedingte und ökonomische Faktoren, die Gesundheit beeinflussen, sollen in den Fokus rücken. Die Wissenschaftler empfehlen stärkere Bemühungen beim Zugang zu Impfungen und medizinischen Geräten, beim Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und bei der globalen Überwachung von Krankheiten und ihrer Ausbreitung.

Das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) findet am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg statt. Zum ersten Mal bringt sich die Wissenschaft in dem eigens dafür geschaffenen Dialogforum “Science20” ein. Unter Federführung der Leopoldina haben die nationalen Wissenschaftsakademien der G20-Staaten Empfehlungen zu einer verbesserten globalen Gesundheitsversorgung erarbeitet. Auch die G7/G8-Gipfeltreffen werden seit mehr als zehn Jahren von den Wissenschaftsakademien begleitet.

VIDEO

Die Empfehlung

Übersetzung aus dem Englischen: „G20 Academies’ Statement 2017: Improving Global Health”.

(Kein offizielles G20?Dokument.)

Verbesserung der globalen Gesundheit – Strategien und Instrumente zur Bekämpfung übertragbarer und nicht übertragbarer Krankheiten

Übertragbare (infektiöse) und nicht übertragbare (nicht infektiöse) Krankheiten stellen weltweit eine ernsthafte
Gefahr für die Gesundheit und für das Wohlbefinden jedes Einzelnen dar und bedrohen die Weltwirtschaft. Starke,
kurz? und langfristige evidenzbasierte Strategien sind erforderlich. Die G20?Wissenschaftsakademien fordern (1) die
Stärkung der Gesundheitsversorgung und der Public?Health?Systeme, (2) vorhandenes sowie neu entstehendes
Wissen anzuwenden, (3) eine Beschäftigung mit den breiteren sozialen und umweltbedingten Determinanten von
Gesundheit, (4) schwerwiegende Risikofaktoren für Krankheiten durch Ausbildung zu reduzieren und gesunde
Lebensweisen zu fördern, (5) den globalen Zugang zu Gesundheitsressourcen sicherzustellen, und (6) robuste
Strategien für Überwachung und Informationsaustausch zu verbessern und zu erweitern. Das Vorantreiben von
Forschung ist eine Voraussetzung für die Bereitstellung des Wissens und neuer Instrumente, die für die Bewältigung
dieser Herausforderungen erforderlich sind.

Übertragbare Krankheiten und nicht übertragbare Krankheiten stellen weiterhin eine Belastung für alle Staaten der Welt
dar und erfordern sofortiges Handeln. Sie haben weltweit verheerende Auswirkungen und führen nicht nur zu Leiden
einzelner Menschen und ihrer Familien, sondern auch zu enormen Gesundheitskosten, zum Verlust von Arbeitskräften
und zu Produktivitäts? und Wohlstandsrückgängen. In Summe stellen sie eine ernsthafte und ständig wachsende Gefahr
für die Gesundheitsversorgung und die Public?Health?Systeme, für Wirtschaftswachstum, sozialen Zusammenhalt und
Gerechtigkeit, ja sogar für die internationale Sicherheit dar.

Die Ebola? und Zika?Epidemien in jüngster Zeit haben gezeigt, dass eine Krankheit, die in einem Land ausbricht, auch
weltweit für andere Länder erhebliche Folgen haben kann. Die Vorsorge für zukünftige Ausbrüche von neuen oder
wieder aufkommenden Krankheiten muss dringend verbessert werden. Außerdem dürfen die Zusammenhänge
zwischen übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten nicht länger übersehen werden: Mindestens 15 Prozent
aller neuen Krebsfälle weltweit (17,5 Millionen in 2015) werden von Infektionserregern verursacht.¹ ² Nicht übertragbare
Krankheiten können wiederum das individuelle Risiko, an bestimmten Infektionskrankheiten zu leiden, erhöhen: So
könnten zum Beispiel 15 Prozent der Tuberkulosefälle weltweit mit Typ?II?Diabetes zusammenhängen.³
Wissenschaftliche Forschung erweitert das Verständnis der Ursachen und Zusammenhänge verschiedener Krankheiten
kontinuierlich. Dieses Wissen führt zu wirksameren Maßnahmen für Prävention, medizinische Behandlungen und
Krankheitsbekämpfung. Das vorhandene Wissen ist jedoch bisher unzureichend angewendet worden.
Um die Krankheitslast zu reduzieren, erfordern die folgenden Bereiche besondere Aufmerksamkeit: Public Health und
Lebensbedingungen, Risikofaktoren und gesunde Lebensweisen, Zusammenhänge zwischen übertragbaren und nicht
übertragbaren Krankheiten.

Public?Health?Maßnahmen wie Impfungen, sanitäre Einrichtungen, Wasseraufbereitung und ?versorgung und
Abfallmanagement haben das Leben von Milliarden von Menschen verbessert, aber die Umsetzung dieser Maßnahmen
ist immer noch unzureichend. Zudem gibt es zahlreiche Herausforderungen, die guten Lebensbedingungen und der
Gesundheit entgegenstehen. Diese müssen bewältigt werden: zum Beispiel Armut und Ungleichheit,

Bevölkerungswachstum, Klimawandel, bewaffnete Konflikte, Vertreibungen, natürliche und von Menschen verursachte
Katastrophen, Megacities, Gewalt, Verkehrs? und andere Unfälle, Umweltzerstörung und ?verschmutzung sowie der
Verlust der Artenvielfalt.

Die wissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass die Risikofaktoren für weit verbreitete nicht übertragbare Krankheiten
(z.B. Krebs, Herz?Kreislauf?Erkrankungen, psychische Erkrankungen) von übergreifender und steigender Bedeutung sind.
Zu den behandelbaren oder vermeidbaren Risikofaktoren gehören Übergewicht, Mangelernährung, Gebrechlichkeit,
Missbrauch von Tabak, Alkohol und Drogen, Bewegungsmangel, ein gestörtes Mikrobiom und Infektionserreger. Ein
Faktor allein kann mit verschiedenen Krankheiten zusammenhängen: Rauchen ist zum Bespiel ein erheblicher
Risikofaktor für Krebs, Herz?Kreislauf?Erkrankungen, Asthma und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD).
Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten werden auch die Sterblichkeit aufgrund nicht übertragbarer Krankheiten
reduzieren: Für die meisten Infektionen, von denen bekannt ist, dass sie das Krebsrisiko erhöhen, existieren bereits sehr
effektive Strategien für die Diagnose, Behandlung und Prävention. Zu diesen Strategien gehören Impfprogramme sowie
Behandlungen mit antimikrobiellen Medikamenten gegen Krankheitserreger wie Helicobacter pylori, humane
Papillomviren, Hepatitis?B? oder ?C?Viren.*

Quellenangaben
1. Remais, J. V., Zeng, G., Li, G., Tian, L. [&] Engelgau, M. M. Convergence of non?communicable and infectious diseases in low? and middle?income countries. International Journal of Epidemiology. 42, 221–227 (2013).
2. Fitzmaurice, C. et al. Global, Regional, and National Cancer Incidence, Mortality, Years of Life Lost, Years Lived With Disability, and Disability?Adjusted Life?years for 32 Cancer Groups, 1990 to 2015: A Systematic Analysis for the Global Burden of Disease Study. JAMA Oncology. (2016). doi:10.1001/jamaoncol.2016.5688
3. WHO: Diabetes [&] TB – Fact Sheet. (2016). http://www.who.int/ tb/publications/diabetes_tb.pdf [Abruf 30. Januar 2017].

* Für manche krebsassoziierten Viren (z.B. Epstein?Barr?Virus) ist eine wirksame Behandlung oder präventive Impfung noch nicht bekannt.

Angesichts dieser Herausforderungen gibt das Science20?Dialogforum Handlungsempfehlungen, die folgende Bereiche
betreffen:

1. Zuverlässige und belastbare Gesundheitssysteme schaffen

  • starke Systeme der Gesundheitsversorgung sichern, die Folgendes umfassen:

    • robuste Public?Health?Dienste; dazu gehören Krankheitsüberwachung, Epidemiologie, Laborkapazität, Prävention, Ausbildung und Risikominderungsprogramme

    • zugängliche, angemessene und umfassende Grundversorgung sowie andere medizinische Versorgung, einschließlich wirksamer Impfprogramme

  • vorhandenes Wissen anwenden zum Zweck der Prävention:

    • von infektionsbedingten Krebserkrankungen (zum Beispiel Zervixkarzinom, Leberzellkarzinom und Magenkrebs) durch präventive Impfung (humane Papillomviren und Hepatitis?B?Virus) oder andere Behandlungen (Hepatitis?B?Virus und Helicobacter pylori)

    • von Krankheiten, die mit Alkohol? oder Tabakkonsum zusammenhängen, durch Regulierung und Sensibilisierung

    • von Krankheiten wie Typ II?Diabetes oder Herz?Kreislauf?Erkrankungen durch die Behandlung von Hypertonie und die Reduzierung von Adipositas

2. Soziale, umweltbedingte und ökonomische Determinanten von Gesundheit in den Blick nehmen

  • Zugang zu sauberer Luft und Wasser (einschließlich Abwasserbehandlung und Abfallmanagement), sanitären Einrichtungen und angemessenem und sicherem Wohnraum sichern sowie gesunde und lebenswerte Städte fördern

  • Gesundheitskompetenz und Wissenserwerb über Risikofaktoren und angemessene Hygiene ab der frühen Kindheit fördern

  • Programme ermöglichen, die Multiplikatoren wie Haushaltsvorstände, Kollegen, Gesundheitsfachkräfte, Arbeitgeber und Lehrer ausbilden und sensibilisieren

  • Mangelernährung beseitigen und die Bildung zum Thema Ernährung verbessern, zum Beispiel in Schulen, durch eine Stärkung des Bewusstseins für Ernährung und Lebensmittelqualität sowie durch die Förderung des Zugangs zu angemessener Ernährung

3. Strategische Instrumente

  • den weltweiten Zugang zu wirksamen Impfprogrammen, Diagnostika, medizinischen Geräten und therapeutischen Arzneimitteln zu erschwinglichen Preisen ermöglichen. Dies würde zudem den Missbrauch von Antibiotika reduzieren und folglich auch die Entstehung von Antibiotikaresistenzen.

  • für die evidenzbasierte Sicherheit und die Vorteile von Impfungen sensibilisieren, um das Vertrauen in Impfstoffe zu stärken.

  • kombinierte Strategien zur globalen Überwachung entwickeln, um übertragbare und nicht übertragbare Krankheiten zu erkennen, zu verfolgen und einzudämmen. Dazu gehören die Stärkung und der Ausbau der Krankheitsberichterstattung, Laborkapazitäten und Syndromüberwachung sowie innovative Data?Mining? Strategien und Informationsaustausch. Eine bessere Koordinierung der Gesundheitssysteme von Mensch, Tier und Umwelt („One?Health?Konzept“) ist wichtig, insbesondere mit Blick auf die Früherkennung und Reaktion bei Gesundheitsgefahren.

  • robuste und aktive Überwachungsnetzwerke unterstützen und die zeitnahe Berichterstattung über Krankheitsausbrüche ermöglichen:

    • Anreize für die unmittelbare Reaktion sowie Zugang zu finanzieller Förderung bereitstellen

    • sicherstellen, dass die direkt oder indirekt von Ausbrüchen betroffenen Länder ihre Maßnahmen von evidenzbasierten, wissenschaftlichen Daten und einer vernünftigen Public?Health?Politik leiten lassen

  • Grundlagenforschung und angewandte Forschung innerhalb und zwischen Ländern unterstützen, da Forschung eine wesentliche Rolle bei der Bereitstellung von Wissen und neuen Instrumenten zur Bewältigung aktueller und zukünftiger Herausforderungen spielt