Gedenken an die dunklen Leopoldina-Zeiten

von 1. Oktober 2009

(ens) Neun Mitglieder der Deutschen Akademie der Naturforscher „Leopoldina“ starben in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten, die meisten in Theresienstadt. Acht von ihnen waren Juden. An diese dunklen Zeiten der heutigen Nationalen Akademie der Wissenschaften erinnert seit Donnerstag im Innenhof der Akademiegebäude in Halle (Saale) eine Gedenkstele.

Die Gedenkrede von Vertretern der Jüdischen Gemeinde, der Stadtverwaltung und des Stadtrates hielt Leopoldina-Präsident Volker ter Meulen. Er wies darauf hin, dass die damalige Akademie-Leitung wohl im vorauseilenden Gehorsam gehandelt hat. Es sei nichts von Anweisungen bekannt, die betroffenen Professoren auszuschließen. All zu oft habe sich die Wissenschaft zum Komplizen des NS-Regimes gemacht. Der Akademie sei die öffentliche Aufarbeitung der eigenen Geschichte in den Jahren 1933 bis 1945 besonders wichtig, ebenso wie einen konkreten Ort für das Gedenken zu schaffen.

Auf der Gedenkstele sind die Namen der Opfer, ihre Profession, ihr Geburts- und Todesjahr verewigt. Gestaltet wurde sie von Bernd Göbel. Nach der Sanierung des Logenhauses auf dem Jägerberg in Halle, ehemals Tschernyschewskij-Haus, wird die Stele auf diesem Grundstück zentral und öffentlich zugänglich errichtet werden. Die Finanzierung der Stele hat der Leopoldina Akademie Freundeskreis e.V. übernommen.

Informationen zu den Leopoldina-Mitgliedern finden Sie auf Seite 2:

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Durch das NS-Regime ermordete Mitglieder der Leopoldina:

Otto Blumenthal, 1876 in Frankfurt/Main geboren, ML 1923, war Professor für Mathematik an der RWTH Aachen. 1933 wurde er des Amtes enthoben, 1939 emigrierte er in die Niederlande. Dort wurde er am 22. April 1943 ins Konzentrationslager Herzogenbusch (Kamp Vught) deportiert; am 10. Mai 1943 kam er ins Sammellager Westerbork. Er starb 1944 im KZ Theresienstadt. Zum Todestag gibt es unterschiedliche Angaben. Otto Blumenthal war mehrere Jahrzehnte bis 1938 geschäftsführender Herausgeber der Mathematischen Annalen, im Jahr 1924 Vorsitzender der Deutschen Mathematiker Vereinigung.

Maximilian Flesch, geboren 1852 in Frankfurt/Main, ML 1882, war 90 Jahre alt, als er 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Dort starb er am 6. Mai 1943. Maximilian Flesch hatte in den Jahren 1882 bis 1887 eine Professur für Anatomie, Histologie und Entwicklungsgeschichte an der Tierarzneischule Bern inne, kehrte 1887 in seine Heimatsstadt Frankfurt zurück und übernahm die väterliche Arztpraxis, publizierte jedoch weiterhin wissenschaftlich. Im ersten Weltkrieg hatte er dem Deutschen Reich als Sanitätsoffizier in Frankreich und Belgien gedient.

Hans Meyer, geboren 1871 in Wien, ML 1899, hatte bis 1936 eine Professur für Chemie an der Deutschen Universität Prag inne. Sein Lehrbuch für Organische Chemie galt lange Zeit als Standardwerk. Er starb 1942 im KZ Theresienstadt.

Georg Pick, geboren 1859 in Wien, ML 1889, war Professor für Mathematik an der Deutschen Universität Prag. Er kehrte nach seiner Emeritierung 1929 nach Wien zurück. 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs, siedelte Georg Pick wieder nach Prag über. Am 13. Juli 1942 wurde er ins KZ Theresienstadt deportiert, wo er nur wenige Tage später, am 26. Juli 1942, starb. Pick pflegte privaten Umgang mit Albert Einstein und hatte sich 1910 dafür eingesetzt, dass dieser auf den Lehrstuhl für Theoretische Physik in Prag berufen wurde.

Hans Przibram, 1874 in Wien geboren, ML 1916, war Professor für experimentelle Zoologie an der Universität Wien sowie Gründer und Leiter der biologischen Versuchsanstalt der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Er wurde im April 1943 ins KZ Theresienstadt deportiert, dort starb er am 20. Mai 1944.

Peter Rona, geboren 1871 in Budapest, ML 1922, war Professor für medizinische Chemie in Berlin und galt als Vorkämpfer der modernen Biochemie in Forschung und Lehre. 1933 wurde er zwangsweise in den Ruhestand versetzt, 1938 emigrierte er nach Ungarn. Die Todesumstände sind ungeklärt. Die Unterlagen im Leopoldina-Archiv nennen Auschwitz als Todesort, als Todesjahr 1945.

Emil Starkenstein, 1884 in Ronsperg/Böhmen geboren, ML 1932, war ein bedeutender Pharmakologe. Er hatte den Lehrstuhl für Pharmakologie und Pharmakognosie an der Deutschen Universität Prag inne. Er emigrierte 1939 in die Niederlande. 1942 wurde er bei einer Reise nach Berlin verhaftet und ins KZ Mauthausen deportiert. Dort starb er am 6. November 1942.

Leon Wachholz, 1867 in Krakau geboren, ML 1939, forschte und lehrte als Professor für Gerichtliche und Soziale Medizin an der Universität Krakau. Er wurde 1939 ins KZ Sachsenhausen deportiert und starb nach seiner Entlassung 1942 in Krakau an den Folgen der KZ-Haft. Der polnische Wissenschaftler veröffentlichte prägende Werke zur Forensik.

Arthur von Weinberg, 1860 in Frankfurt/Main geboren, ML 1932, hatte in Chemie promoviert, war in der Grundlagenforschung tätig und Mitbesitzer der Casella Farbenfabriken Haus Buchenrode in Frankfurt, des damals weltgrößten Herstellers synthetischer Farbstoffe. Später war er Aufsichts- und Verwaltungsratsmitglied der IG Farben, Geheimer Regierungsrat und galt als Mäzen und Stifter wissenschaftlicher sowie kultureller Einrichtungen. Von Weinberg war Ehrenbürger der Stadt Frankfurt. 1933 musste er aus allen öffentlichen Ämtern ausscheiden, 1938 seine Villa verkaufen und an den Ammersee übersiedeln. Am 3. Juni 1942 wurde er ins KZ Theresienstadt deportiert; dort starb er am 21. März 1943.