Großbritanniens Nein zur EU wird für beide Seiten teuer

von 24. Juni 2016

Die Reaktion der Finanzmärkte auf Umfragewerte vor der Abstimmung zeigen, dass dieses Abstimmungsergebnis kurzfristig zu starken Verwerfungen auf den Finanzmärkten führen wird (vgl. IWH Online 5/2016). Für die Finanzmärkte dürfte das Votum überraschend kommen. In den vergangenen zwei Wochen hatte das Pfund gegenüber dem Euro sogar um etwa 3% aufgewertet. Diese Bewegung dürfte sich nun umkehren. Viele Unternehmen haben bereits angekündigt, Inves-titionen in Großbritannien zu reduzieren oder ganz auszusetzen, weil der Zugang zum europäischen Markt nicht mehr gesichert ist. Insbesondere der Finanzplatz London könnte unter dem Votum leiden; im Vorfeld haben Bankaktien besonders stark auf eine höhere Wahrscheinlichkeit eines negativen Votums reagiert, sowohl in Großbritannien als auch im Euroraum. Mittelfristig wird aus Sicht Großbritanniens allerdings viel davon abhängen, wie die Verhandlungen über den Austritt ablaufen werden. „Am Ende wird hoffentlich klar sein, dass beide Seiten von einer schnellen Einigung nur profitieren können“, betont Gropp. In seinen Augen wäre eine „Bestrafung“ Großbritanniens durch ein Verschleppen der Verhandlungen durch die EU völlig unangebracht und nicht im Interesse der verbleibenden Mit-glieder. Es bleibt allerdings unklar, inwieweit sich die gegenwärtige Regierung im Amt halten kann, was der allgemeinen ökonomischen Unsicherheit eine weitere politische Unsicherheit hinzufügt.

Inwieweit wird ein Brexit die wirtschaftlichen Aussichten der EU beeinträchtigen? Der Euro hat in den letzten Wochen auf eine höhere Wahrscheinlichkeit eines negativen Votums nicht reagiert und scheint stabil zu bleiben. Inwieweit die Märkte für Güter und Dienstleistungen, Arbeit und Kapital innerhalb der Union britischen Unternehmen nicht mehr im gleichen Maße offenstehen, hängt von den kommenden Verhandlungen ab. Die Abstimmung selbst führt nicht zu einem Austritt, sondern initiiert lediglich einen Austrittsprozess, der noch vom Britischen Parlament bestätigt werden müsste. Grundsätzlich besteht aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es zumindest kurzfristig zu Wohlfahrtsverlusten auf beiden Seiten kom-men wird. Großbritannien führt 45% seiner Gesamtexporte an Gütern und Dienst-leistungen in die restliche EU aus. Umgekehrt sind nur etwa 6% der Exporte aus den übrigen EU-Ländern für Großbritannien bestimmt, in Deutschland ist der Anteil mit 7% geringfügig höher.
Langfristig ist ein weniger wirtschaftsfreundliches Klima im Sinne von mehr Regulierung in der Europäischen Union zu erwarten. Unklar ist zum jetzigen Zeit-punkt, wie die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU künftig gestaltet werden. Vieles wäre möglich (Europäische Freihandelsassoziation – EFTA, bilaterale Abkommen), entscheiden wird sich so schnell nichts. Aus britischer Sicht ist eines der größten Probleme, dass der Austritt nach sich zieht, die nun allesamt neu zu verhandelnden Handelsbeziehungen mit etwa 60 Drittländern (etwa die USA, Indien, China, Japan und Australien), die bislang auf Abkommen der EU beruhten, aus einer ziemlich schwachen Verhandlungsposition.

Aus EU-Sicht besteht die Gefahr, dass es zu weiteren Desintegrationserscheinungen in der Union kommt. Auf Grundlage des Art. 50 des EU-Vertrags, der den freiwilligen EU-Austritt regelt, steht es den Mitgliedstaaten seit 2009 frei, die EU zu verlassen. Nachdem sich Großbritannien zum Ausscheiden aus dem europäischen Staatenbündnis bekannt hat, könnten weitere Länder in ihrer anti-europäischen Haltung bestärkt werden und dem Beispiel folgen. Deshalb wird die Reaktion der großen verbleibenden Länder, insbesondere Deutschland und Frankreich, so ent-scheidend sein. Es muss dringend eine kluge und tragfähige Zukunftsstrategie erarbeitet und kommuniziert werden. Diese Strategie sollte gemeinsam von den großen Mitgliedsländern, Deutschland und Frankreich, gemeinsam überzeugend dargelegt werden. Verbesserungen in der demokratischen Legitimation der EU-Institutionen, weniger Regulierung in Arbeits- und Produktmärkten, ein Abbau der Bürokratie sowohl in der EU als auch in den Mitgliedsländern, eine weitgehende Umsetzung der Kapitalmarktunion und eine Neu-Priorisierung der EU-Ausgaben müssen dringend in Angriff genommen werden, damit die Union zukunftsfähig wird, mit oder ohne Großbritannien.

Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle e. V. (IWH)