Händel war ein Wunderkind

von 20. April 2009

Wer war Georg Friedrich Händel eigentlich? Um diese Frage zu klären, hatte der Mitteldeutsche Rundfunk mit seinem Programm mdr figaro am Sonntagabend zu einer Gesprächsrunde in den Kammermusiksaal des Händelhauses in Halle (Saale) eingeladen. Die Moderatorin Grit Schulze empfing Dr. Hanna John, Direktorin der Händelfestspiele Halle, Pianistin und Händelinterpretin Ragna Schirmer (Pianistin und Händelinterpretin), Howard Arman, MDR Chordirektor mit britischer Herkunft und den Journalisten und Autor Rolf Seelmann-Eggebert, dessen Sohn Florian “Händel – Der Film” produziert hat.

Ein schlichter Titel. Auch für Seelmann-Eggebert, der im Gespräch über die Dreharbeiten plauderte. Wie man beispielsweise den 27- und den 50jährigen Händel nach den vorhandenen Porträts aussuchte, man für Händel in jungen Jahren jedoch keine Vorlage hatte. “Ich hab mir mit Begeisterung den 10jährigen Händel-Mimen angeschaut und gesagt: so sah Händel aus.” Der Film will keineswegs nur eine Dokumentation sein, eher eine Mischform. Für den dokumentarischen Teil hat die Filmcrew die originalen Schauplätze in Halle, Italien und London aufgesucht. Die Inszenierungen jedoch sind alle an einem Ort entstanden: auf Schloss Bückeburg. “Ein bis heute gepflegtes und intaktes Barockschloss”, freute sich Seelmann-Eggebert. Vieles im Film kann nur auf Anekdoten aufbauen, Händel hat kein Tagebuch hinterlassen. “Ohne Anekdoten hätten wir überhupt kein Bild von Händel.“ Und doch hat der Händel-Film auch in Rolf Seelmann-Eggebert etwas verändert: “Ich hab mich gefreut, das Händelbild was ich hatte zu korrigieren.” Vor allem durch die Beiträge von Donna Leon sei deutlich geworden, wie geschäftstüchtig Händel war. “Und mit seiner hervorragenden Musik hat er mein Herz erreicht.“ Gedacht ist der Händelfilm keinesfalls nur für Kenner, gab Seelmann-Eggebert zu verstehen. “Wenn wir den Film nur für Kenner gemacht hätten, dann hätten wir nur eine kleine Zahl von Interessenten angesprochen. Wir wollten aber bei möglichst vielen Menschen das Interesse für Georg Friedrich Händel wecken.” Der Film bestich dabei auch mit ungewöhnlichen Brüchen. “Wunderbare Brüche”, nannte es Seelmann-Eggebert. Auf historische Aufnahme folgen plötzlich Schwenks in das heutige moderne London. “Wir wollen die Bilder von heute mit den Bildern von damals in Verbindung bringen.”

Nicht mit dem Leben des Komponisten, sondern mit dessen Musik beschäftigt sich Ragna Schirmer. Sie hat im vergangenen Sommer innerhalb von 5 Wochen die 16 Suiten Händels im Freylinghausensaal der Franckeschen Stiftungen eingespielt, bewusst diesen Ort gewählt. Überhaupt habe sie Halle erst so richtig mit der Musik Händels in Berührung gebracht, erklärte die seit 13 Jahren an der Saale lebende Schirmer im Radiogespräch. Hier habe sie entdeckt, dass es hier wunderbare Inszenierungen der Händel-Opern gibt. “Nur die Klaviermusik hört man fast nie”, so die Musikerin. “Deshalb habe ich es als meine persönliche Mission erachtet, diese Werke zu Gehör zu bringen.” Viel Resonanz habe sie darauf erhalten. Fünf Wochen fürs Einspielen, eine kurze Zeit. “Ich wollte, dass alles aus einem Guß ist, farb- und facettenreich.” Größere Pausen zwischen den Aufnahmen würe man wahrnehmen, so Schirmer

Eine spannende Frage, die bereits zum großen Schlagzeilen in einem Boulevardblatt sorgte (“War Händel schwul”), ist die Sache mit den Frauen. Händel war nie verheiratet. Das bietet viel Platz für Spekulationen. Viel diskutiert habe man über diese Frage, so Festspieldirektorin Hanna John. “Vielleicht war er von Komponieren so sehr eingenommen, dass er für Frauen nicht so viel Zeit hatte”, so John. “Oder er hat in Musik die Erfüllung gefunden.” Doch eine Antwort konnte auch die Festspieldirektorin nicht liefern. “Da ist das ganz große Fragezeichen.” Auf jeden Fall habe Händel gern gegessen und sei ein geselliger Mensch gewesen, gab John noch ein paar Details aus Händels Privatleben preis. Alles in allem aber wenig greifbares, gerade für einen Filmemacher wie Seelmann-Eggebert. “In London hat er hart gearbeitet, als Musiker, Komponist, Manager. Da blieb nicht viel Zeit.” Händel sei jedoch ein “Family-Man” gewesen, habe sich um Mutter und Schwester gekümmert. Selbst im Testament habe er an alle gedacht.

Doch auch wenn Vieles aus dem Leben des Komponisten weiter im Dunkeln liegt, einiges ist auch bekannt. Zum Beispiel, dass seine Mutter aus einer Familienlinie von Pastoren und Theologen entstammt und Vater und Großvater als Leibchirurgen arbeiteten. Eine Verbindung zur Musik ist da nicht. Das macht sich auch in einem Verbot des Vaters deutlich, Musik zu machen. Vor allem die Mutter sei es gewesen, die auf den kleinen Händel eingewirkt habe, meinte Hanna John. “Und das damalige mitteldeutsche Musikleben. Da ist die Leidenschaft für die Musik entstanden.” Mit seinem Vater fuhr er zum Herzog nach Weißenfels, wo der kleine Händel zum ersten Mal mit einem Theater in Berührung kam. Er hat Musik in der Schlosskapelle gehört. “Und dieses Umfeld hat ihn geformt”, ist sich die Festspieldirektorin sicher. “Das hören wir auch in den späteren Werken, wo er Lutherchoräle verarbeitet hat.” Das sich Händel am Ende über das Verbot des Vaters hinweggesetzt hat, das zeigt auch seine Willenskraft, sein Selbstbewusstsein. Als Georg Händel starb, schrieb der 12jährige Georg Friedrich auf das Trauerschreiben des Vaters “Der freien Künste Ergebener”. Eben jene Willensstärke ist für Howard Arman einer der Gründe, warum Händel ehelos war. “Das hat auch was mit einem starken Richtungsbewusstsein zu tun, dass man Prioritäten setzt.“ Nachzugeben und Anpassen sei im Wortschatz des Händel nicht vorhanden gewesen. Ein religiöser Mensch sei er zudem gewesen, der Herr Händel – über die Tiefe kann man nichts genaues sagen, schließlich wechselte er mehrfach die Konfession – zunächst Lutheraner, in seiner Zeit in Italien war er Katholik und in England trat er der anglikanischen Kirche bei. Die Religiösität Händels leiteten die Diskutanten unter anderem daran ab, dass Händel an einem Karfreitag sterben wollte, um so Jesus zu treffen. Geklappt hat das nicht ganz, Händel starb einen Tag später.

Aber noch mal zurück in die Kindheit Händels. Von Wolfgang Amadeus Mozart sprach man schon früh als Wunderkind. Von Händel nicht, was Rolf Seelmann-Eggebert. “Auch Händel war ein Wunderkind.” Die unterschiedliche Wahrnehmung hängt wohl mit den Elternhäusern zusammen. Mozart wurde früh “durch die damalige Welt geschleppt. Händel hat sich gegen alle durchsetzen müssen, um endlich sein Talent leben zu dürfen”, so Seelmann-Eggebert. Während sich Händel alles selbst erarbeitete habe, hätte Mozart alles auf dem silbernen Tablett bekommen.

Händels Melodik in den Stücken jedoch sei nicht hier entstanden, so Hanna John, sondern während seiner Zeit in Italien. “Er hat dort die Melodien in sich aufgesogen.” Ragna Schirmer, die als Musikerin immer wieder mit Händels Werken zu tun hat, liebt vor allem sein direktes Umsetzen von Emotionen in Musik. Er habe die Fähigkeit besessen, das Gefühl direkt in seinen Kompositionen umzusetzen, “seine Werke gehen gleich direkt ans Herz. Diese Fähigkeit gepaart mit Willensstärke haben ihn zu der Person gemacht, die er geworden ist.”

Und noch etwas mag Schirmer an Händel, er lässt den Interpreten Freiheiten. Freiheiten, die Bach beispielsweise nicht ließ. Bach habe genau niedergeschrieben, wie seine Stücke zu spielen seien. “Er hat dem Geschmack und dem Können der Musiker misstraut.“ Händel sei da sehr viel offener gewesen und hat seine Niederschriften zum Teil als Skizzen herausgegeben. Das macht es heute schwerer, Händels Werke zum Spielen und zu Verstehen. “Man muss als Interpret sehr viel Phantasie mitbringen, um den von Händel gewollten Farbreichtum zu erreichen.” Und Howard Arman zog den Vergleich zu aktuelleren Kompositionen. Spiele heute jemand einen Beatlessong so nach, wie er auf dem Papier steht, dann frage sich jeder was das soll. “Jeder weiß, man spielt es nicht so wie es da steht.”

Platz in der Diskussion fand auch die Frage, wie man denn Händels Werke spielen sollte – auf Originalinstrumenten wie dem Cembalo? Ragna Schirmer nutzt den modernen Konzertflügel. Als Interpret habe man die Aufgabe, das Gefühl was der Komponist erreichen wollte, rüberzubringen. Und da gebe es zwei Varianten. Entweder auf die altmodische Art als Guckloch in die Vergangenheit. Oder man nutze eine modernere Fassung – eine legitime Vorgehensweise, findet Schirmer. Schließlich hätten sich heute im Vergleich zu Händels Zeiten auch Informationsquellen und Lebenstempo geändert. Und auch die Kastraten, die in Händels Opern im Original zum Einsatz kamen, gibt es heute nicht mehr. Stattdessen kommen Frauen oder Countertenöre zum Einsatz.