Ehrenamt soll nicht Ausfallbürge für Sozialarbeit werden

von 30. Oktober 2011

Die Europäische Union hat das Jahr 2011 zum Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft erklärt. In den Einrichtungen und Diensten der Diakonie Mitteldeutschland engagieren sich mehr als 14.000 Menschen ehrenamtlich. Die Mitgliederversammlung der Diakonie Mitteldeutschland sagt allen, die ehrenamtlich und freiwillig am Dienst und Auftrag der Diakonie mitarbeiten, ein herzliches Dankeschön. Freiwilligendienste und ehrenamtliches Engagement dürfen aber nicht zu Ausfallbürgen für vermeintlich nicht finanzierbare bzw. bestehende Arbeitsplätze umfunktioniert werden. Die Diakonie Mitteldeutschland mit Sitz in Halle (Saale) fordert deshalb Verantwortliche in Politik, Kirche, Sozialeinrichtungen und Gesellschaft auf, der „Umwidmung“ von regulären Arbeitsplätzen in Einsatzstellen für freiwillig ehrenamtlich Engagierte entschieden entgegen zu treten und gleichzeitig menschenwürdige, zukunftsfeste Arbeitsplätze zu schaffen bzw. zu erhalten.

Seit dem 1. Juli 2011 gibt es den Bundesfreiwilligendienst. Die Teilnehmer aller Altersgruppen erhalten für ihren unentgeltlichen Dienst ein Taschengeld. Die für die Ausübung des Dienstes notwendige Vereinbarung kann direkt zwischen Einsatzstelle und dem früheren Bundesamt für Zivildienst abgeschlossen werden. Das widerspricht der bisherigen Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden, die mit inhaltlicher, pädagogischer Begleitung dafür sorgen, dass der Bundesfreiwilligendienst wie vormals der Zivildienst ein „Lerndienst“ wird. Freiwilligendienste und Ehrenamt in der Sozialen Arbeit brauchen hauptamtliche Begleitung und Bildung durch die Wohlfahrtsverbände, die bewährte Trägerstrukturen und die Anbindung an die praktischen Tätigkeitsfelder bereitstellen.

Die Diakonie Mitteldeutschland appelliert an die Landesregierungen in Sachsen-Anhalt und Thüringen und an die Bundesregierung, das im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) bewährte Trägerprinzip nicht in der Durchführung des Bundesfreiwilligendienstes auszuhebeln. Zudem darf der Bundesfreiwilligendienst nicht zulasten des FSJ politisch und durch Verwaltungshandeln in den Vordergrund gerückt werden.

Eine freiwillige, ehrenamtliche Tätigkeit ist für einige Menschen der Einstieg in ein lebenslanges soziales Engagement, das dringend gebraucht wird. Für andere Menschen birgt freiwilliges Engagement die Chance auf eine sinnvolle Beschäftigung und die Hoffnung auf gesellschaftliche und soziale Teilhabe. Die derzeit in der Bundespolitik verhandelte Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die so genannte Instrumentenreform, trifft die Menschen in den neuen Bundesländern mit einem hohen Anteil in der Langzeitarbeitslosigkeit besonders hart. Viele Betroffene haben ohne arbeitsmarktpolitische Maßnahmen keine Chance auf Teilhabe.

Bei Reformen in der Sozialpolitik geht es allermeist nicht um Anpassungen mit dem Ziel, die Situation der Betroffenen zu verbessern, sondern um Einsparungen bei den Leistungen. Sparbeiträge werden überproportional dem Bereich der Sozialpolitik abverlangt. Die Diakonie Mitteldeutschland fordert deshalb eine grundlegende politische Kurskorrektur. Staatliches Handeln ist nötig, um nicht nur Finanzmärkte und Banken zu retten, die jahrelang satte Gewinne erzielt haben, sondern muss verstärkt darauf zielen, solidarisch zu sein mit alten, kranken oder behinderten Menschen, Alleinerziehenden mit Kindern, Familien mit mehreren Kindern und Menschen mit niedrigen Einkommen, die auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen sind.

Die Diakonie Mitteldeutschland repräsentiert als evangelischer Spitzenverband in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Teilen Brandenburgs und Sachsens derzeit rund 1.500 Einrichtungen und Dienste mit etwa 26.000 Mitarbeitenden. Sie ist damit der größte Wohlfahrtsverband in den neuen Bundesländern.