Pogromgedenken am Jerusalemer Platz in Halle

von 10. November 2011

Etwa 100 Hallenser haben am Mittwochabend am Jerusalemer Platz an die Geschehnisse der Reichspogromnacht von 1938 erinnert. In der Nacht vom 9. zum 10. November hatten Nationalsozialisten auch in Halle (Saale) jüdische Geschäfte und Wohnungen geplündert, die Synagoge am Großen Berlin in Brand gesteckt.

Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados wies auf das unendliche Leid hin, das damals über die jüdischen Familien in Halle hereinbrach. 150 Menschen seien damals verschleppt worden. Pastor Stefan Gerisch von der evangelisch-methodistischen Gemeinde mahnte, die Kirche dürfe angesichts heutiger rechtsextremer Umtriebe nicht schweigen. Er wies in seinen Gedenkworten zudem darauf hin, dass sich Juden und Christen auf gemeinsame Vorfahren berufen.

Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Halle, sagte die Pogrome hätten eine lange Vorgeschichte, die bereits weit vor dem November 1938 begonnen habe. „Die Nazis haben jahrelang erprobt, wie weit sie gehen können.“ Bereits 1931 habe es antijüdische Proteste in Berlin gegeben, am 1. April 1933 folgte der Judenboykott, 1935 die Nürberger Gesetze und 1937 Zwangsenteignungen. Fünf Wochen vor der Reichspogromnacht wurde das Münchner Abkommen neben Deutschland und Italien von Frankreich und England unterzeichnet, dass die Eingliederung des Sudetenlandes ins Deutsche Reich regelte. Da sei das offenbar kleinere Übel wie der Judenhass in Kauf genommen worden. Man habe versucht Augen und Ohren zu schließen, um Deutschland und Hitler ruhig zu stellen.

Privorozki, der ebenfalls einen Teil seiner Familie durch die Verbrechen der Nationalsozialisten verlor, machte auch das damalige Bildungssystem als Ursache für die Übergriffe verantwortlich. Er zitierte Ausrisse aus Schulbüchern mit wilden Beschimpfungen und Unterstellungen gegenüber Juden, doch jene stehen in heutigen Büchern einige Länder, machte er deutlich. Deshalb seien die damaligen Ereignisse für die Juden keinesfalls nur ein Geschichtsereignis. Es gebe keine Garantie, dass so etwas nicht wieder passieren kann. Wer nicht bereit sei aus der Geschichte zu lernen laufe Gefahr, dass sich die Geschichte wiederhole.

„Ich werde die Brutalität der SA in dieser schrecklichen Nacht nicht vergessen“, sagte Landesrabbiner Meir Roberg. Der gebürtige Würzburger war 1939 nach England geflüchtet. Er erinnerte daran, dass eine Bevölkerungsmehrheit die Ausschreitungen unterstützt oder toleriert habe. „Es gab aber auch bemerkenswerte Ausnahmen.“ Ein Beispiel sei Oberdorf. Der SA-Kommandant Böhme hatte sich geweigert, die Synagoge zu zerstören, verlangte dafür einen schriftlichen Befehl des Regierungspräsidenten. Auch den Übergriffen auf Juden verweigerte er sich, schließlich habe er mit ihnen im ersten Weltkrieg gekämpft und mit ihnen die Schule besucht. Auswärtige SA-Männer steckten schließlich die Synagoge in Brand. Böhme ließ jüdische und nichtjüdische Einwohner zusammentrommeln, um das brennende Gotteshaus zu löschen. „Schade, dass es damals so wenige Herr Böhmes gab“, so Roberg.

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