Das Soziale in der Politik

von 16. September 2009

(ens) Der Wahltermin rückt immer näher. Und anderthalb Wochen vor der Bundestagswahl läuft der Wahlkampf auf Hochtouren, locken überall Wahlforen. Dort wollen die halleschen Direktkandidaten natürlich eine gute Figur machen. Allein am Dienstag standen für die Kandidaten drei Wahlforen an. Zunächst diskutierten die Politiker mit Jugendlichen (HalleForum.de berichtete), anschließend ging es weiter in die Silberhöhe. Doch weil der MLDP-Kandidat Frank Oettler ebenfalls im Podium saß, hatten SPD-Kandidat Johannes Krause und FDP-Kandidaten Cornelia Pieper ihre Teilnahme an dem Forum der Landesarbeitsgemeinschaft “Aktiv im Alter” in der Begegnungsstätte Schöpfkelle wieder abgesagt. So standen den interessierten Zuhören nur noch Christoph Bergner, Petra Sitte und Claudia Dalbert zur Verfügung. Ihnen stellten die Besucher Fragen zur Rentenpolitik, Altersarmut und Arbeitslosigkeit.

Alle fünf im Bundestag vertretenden Parteien standen dann am Abend in der Diakonie Mitteldeutschland wieder Rede und Antwort. 400.000 Mitarbeiter hat die Diakonie in ganz Deutschland, ist damit einer der größten Arbeitgeber im Land und hat mehr Mitarbeiter als beispielsweise Siemens weltweit. Doch was würde passieren, wenn die Diakonie vor der Insolvenz stehen würde? Würden die Politiker, so wie bei den Banken, eingreifen? Mit dieser Frage startete Moderator Frieder Weigmann die Runde. Einig waren sich alle fünf Kandidaten: die Diakonie muss bleiben. “Wir müssten in diesem Fall die Versorgungsleistungen für die Patienten aufrecht erhalten”, so Christoph Bergner (CDU). Ersatz zu finden? Schwierig. “Es gibt keinen vergleichbare qualitative Alternative”, erklärte Petra Sitte (Linke). Problem se, dass die Sozialwirtschaft als Faktor für die Gemeinschaft unterschätzt werde und man stattdessen immer auf den Kostenfaktor schaue. Die Abrwackprämie hätten man ja sein lassen und das Geld Bildung und Sozialem zugute kommen lassen können, befand Cornelie Pieper (FDP). Dem konnte sich auch Undine Kurt (Grüne) abschließen. Sie hätte liebe Arbeitsplätze im Sozialbereich gerettet als alte Autos. Und auch Johannes Krause würde in einem Pleitefall den Staat in der Pflicht sehen. Die Diakonie sei systemrelevant.

Abwanderung, sinkende Geburtenzahlen – das hat drastische Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Denn die Fachkräfte fehlen. Was kann man tun? Das ist für Johannes Krause keine alleine Frage der Politik, sondern auch abhängig von möglichen Anreizen der Arbeitgeber. Gesetzliche Mindestlöhne könnten die Sozialkassen stärken, auch die Einführung einer Bürgerversicherung schlägt Krause vor. Auch Petra Sitte (Linke) schloss sich der Forderung nach einem Mindestlohn an. Öffentliche geförderte Projekte sollte man auf die Diakonie ausweiten, die Arbeitszeitmodelle flexibler gestalten. Auch die Einführung der von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ins Gespräch gebrachten Staffelung Pflegestufen in fünf Teile. Auch eine höhere Wertschätzung der sozialen Berufe in der Öffentlichkeit wünschte sich Sitte. Etwas Kritik gab es noch an den Medien. Diese würden oftmals ein falsches Bild vermitteln und so unnötige Ängste vor dem Alter schüren. Undine Kurth sprach sich für die Einführung eines Pflegegesetzes aus, “um bürokratische Irrsinnigkeiten abzustellen.” Bessere Entlohnung und damit einhergehend eine höhere Attraktivität der sozialen Berufe war für die Grünen-Politikerin wichtig. Das FDP-Chef Westerwelle 12 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfond für andere nehmen will, lässt natürlich soziale Einrichtungen aufhorchen. Im TV-Triell hatte er diese Forderung aufgestellt. Cornelia Pieper hat’s nicht gesehen, dafür Christoph Bergner. “Das hat mich überrascht, was er da sagte”, so Bergner. Doch Pieper liegt da mit ihrem Chef auf einer Linie. Der Gesundheitsfond sei überflüssig, das Geld werde in zuviel Bürokratismus verschwendet. Das Geld solle lieber für Bildung und Ausbildung ausgegeben werden.

Können vielleicht ausländische Fachkräfte helfen? Ja, findet Undine Kurth. Sie forderte unter dem Beifall der anwesenden eine aktiv gesteuerte Zuwanderungspolitik. Die Einstellung solle nach der Qualifikation, nicht dem Ausbildungsort gehen. Ganz anders Christoph Bergner. Er nämlich befürchtet in den Heimatländern einen Exodus der Fachkräfte, so zum Beispiel in Rumänien. Dort würden junge Pfleger in Heimen ausgebildet. Doch viele verlassen anschließend das Land, um in Westeuropa ihr Geld zu verdienen. Auch das sollte man der Verantwortung wegen im Blick haben. Ähnlich sah dies Johannes Krause. Zunächst sollten einmal die einheimischen jungen Leute qualifiziert werden. Hier sieht er auch die Arbeitgeber in der Pflicht, bei der Bekämpfung des Mangels an Fachkräften zu helfen. Die Wirtschaft solle nach der Begabung gehe, nicht nach dem Schulabschluss. Petra Sitte kritisierte, dass die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zu lange dauere.

Der Vertreter einer Suchtberatungsstelle erkundigte sich nach einer Unterstützung des Ehrenamts und bemängelte die mangelhafte Thematisierung von Suchterkrankungen in der Ausbildung vor Ärzten. Undine Kurth warnt zunächst davor, dass ehrenamtliche Tätigkeiten kein Ersatz für ein Engagement der öffentlichen Hand sein dürfe. “Das Ehrenamt wird gern missbraucht um Lücken zu füllen.” Die Grüne Bundestagsabgeordnete sprach sich für eine stärkere Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeiten aus, Freiwilligen müssten auch Qualifizierungsangebote unterbreitet werden. Daneben sprach sich Kurth für Vergünstigungen aus, zum Beispiel durch eine Ehrenamtskarte. Und die Suchtprävention müsse ernster genommen werden. Johannes Krause sieht die Gefahr einer Überforderung des Ehrenamts. Der Sozialdemokrat sprach sich für Aufwandsentschädigungen durch die Arbeitgeber aus. Mehr Öffentlichkeit müsse dem Ehrenamt verliehen werden, fordere Petra Sitte. Kostenlose Qualifizierung, Anerkennung von Bildungsurlaub und eine verlässliche institutionelle Förderungen forderte Sitte in der Runde.

Weiter ging es zum Thema Kinder- und Jugendarmut. Durch ihre Einrichtungen ist die Diakonie hier ja direkt an der Basis. Der Hartz IV-Regelsatz für Kinder muss rauf, da waren sich alle einig. Und auch am Steuergesetz muss was gedreht werden, denn da ist ein Schlupfloch passiert, was vorher niemand so abgesehen hat. Die Kandidaten mussten zugeben, erst durch die Medien davon erfahren zu haben: Geschiedene Eltern und Alleinstehende mit Kindern werden finanziell deutlich schlechter bei den Steuern gestellt als verheiratete Paare.

In zunehmenden Maße macht der Alkoholmissbrauch unter Jugendlichen Probleme. Cornelia Pieper sagte, die Suchtberatung müsse in der Ausbildung von Lehrern und Erziehern eine stärkere Rolle spielen. Auch die Prävention sei wichtig. Undine Kurth hingegen ist der Meinung, eine konsequente Umsetzung des Jugendschutzgesetzes würde schon viel bringen. Getränke wie Alkopops müssten steuerlich stärker belastet werden. Fassungslos über den Alkoholmissbrauch ist Petra Sitte. ”Denen muss doch irgendwann mal schlecht werden.” Sitte sieht in dem Missbrauch ein Signal darin, dass der Alkohol Ersatz für etwas ist.

Und am Ende stellte Moderator Friede Weigmann noch eine spannende Frage. Jeder Kandidat muss mit einem anderen Kandidaten vom Podium ein Seniorenbüro zusammen ins Leben rufen. Mit wem würden sie die Einrichtung zusammen betrieben. Christoph Bergner sprach sich für Petra Sitte oder Cornelia Pieper aus. Beide kenne er schon seit Jahren, habe viele lange Debatten mit ihnen hinter sich, auch mit unterschiedlichen Auffassungen. Doch so was brauche man auch bei einem Seniorenbüro. Undine Kurths Wahl fiel auf Frieder Weigmann, obwohl der ja eigentlich gar nicht zur Auswahl stand. Cornelia Pieper plädierte für eine der beiden anderen Frauen – also Sitte und Kurth. Johannes Krause würde das Seniorenbüro mit Undine Kurth eröffnen, mit ihre habe er inhaltlich die meisten Übereinstimmungen. Und Petra Sitte entschied sich für Christoph Bergner. Direkt vor Ort sind also Koalitionen möglich, die es so auf Bundesebene wohl vorerst nicht geben wird.