Der Rote Turm ist wieder offen

von 22. September 2009

Nach zwei Jahren Bauzeit war es am Dienstagabend soweit. Der Rote Turm im Herzen von Halle (Saale) wurde wieder er Öffentlichkeit übergeben. Und das Stadtmuseum lädt nun zu regelmäßigen Führungen in das außergewöhnliche architektonische Wahrzeichen auf dem halleschen Marktplatz ein. Maximal 9 Besucher können den Turm gleichzeitig betreten, die donnerstags stattfindende Führung kostet 5 Euro.

1,35 Millionen Euro hatte die Sanierung gekostet, damit der Turm in seiner Stabilität wieder gesichert ist. Unter anderem wurden 600 Kilogramm loses Gestein entfernt. Der vorhandenen Räume werden durch Lichtinstallationen in Szene gesetzt. Sie sollen die Möglichkeit eröffnen, das Innere des Turms mit seinen Gewölben und Glockengeschossen genauer zu erkunden. Auch die Idee, den erstmals dokumentierten baukünstlerischen Schmuck in seiner ganzen Fülle in einer musealen Präsentation zugänglich zu machen, ließ sich so verwirklichen. Nach dem Einstieg von Süden betritt der Besucher hinter den 4 Meter dicken Mauern im Schaft des Turmes eine Treppenspindel, die zunächst drei Gewölbe miteinander verbindet. Ein Raum mit doppeltem Kreuzgrat-Gewölbe dient nun als Ausstellungsraum. Die während der Sanierung vom halleschen Bildhauer Christoph Reichenbach vorgenommenen Abformungen der Bauzier sind hier und in einem weiteren Gewölberaum zu sehen. Dazu zählen Tierköpfe und Masken aus dem Maßwerkfries, Konsolenornamente, Bauinschriften, das Stadtwappen und der berühmte Hund von der Südfassade. Die Führung setzt sich fort mit dem Aufstieg in die beiden achtseitigen Glockengeschosse. Im zweiten Glockengeschoß, dem Herzstück des Turms, ist das mehrstöckige Carillon untergebracht. Der Rote Turm besitzt mit seinen 76 Glocken das drittgrößte Glockenspiel weltweit. Mit Hilfe einer elektronisch gesteuerten Automatik ist es möglich, einen Großteil der Glocken mit dem Gesamtgewicht von etwa 50 Tonnen zum Klingen zu bringen. Hier kann der Besucher am Ende der Begehung nachvollziehen, welche Klanggewalt die Glocken wirklich entwickeln, wenn der Schall nicht durch Turmmauern und Lamellenfenster gedämmt wird.

Einzelheiten zur Geschichte des Roten Turms lesen Sie auf Seite 2.

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Der spätmittelalterliche Glockenturm entstand in räumlich unmittelbarem Zusammenhang mit der alten Kirche St. Marien im 15. Jahrhundert. Durch finanzielle Beteiligung am damaligen Baugeschehen erwirbt sich die Stadt sehr schnell Nutzungsrechte am Turm.
Die enge Verknüpfung städtischer Interessen mit der Fortführung des gewaltigen Bauprojekts lässt den Turm schließlich als ein Bauwerk städtischer Repräsentanz und Machtdemonstration erscheinen.

Nach 88 Jahren Bauzeit (1418-1506) wurde am 24. Juli 1506 das Bauwerk im Zentrum des halleschen Marktplatzes mit seinem Knopf und 246 Stacheln (zur Abwehr böser Geister) als abschließender Bekrönung vollendet.

Drei lateinische Bauinschriften am Turm (1418, 1446, 1470) geben Hinweise zur Datierung des Baugeschehens, das mit längeren Unterbrechungen verbunden war. Eine Bauinschrift nennt den Namen Johann Rod (1470).

Schon nach Fertigstellung 1506 charakterisiert die beigegebene Urkunde das Bauwerk als „Zierde der hochberühmten Stadt Halle und ihrer ganzen Gemeinheit und selbst der Region“.

Das heutige Wahrzeichen Halles mit seiner Größe von 84 Metern besitzt eine künstlerisch anspruchsvolle und einzigartige Gestalt.
Allein die Größe und Wirkung des Turms als städtische Dominante verweist auf die herausragende Wirtschaftskraft der Salzstadt Halle zu seiner Entstehungszeit und die noch heute nachvollziehbare Bedeutung als Zeichen städtischer Repräsentation.

Das spätgotische Bauwerk gliedert sich in einen quaderförmigen Schaft über einer Grundfläche von 15 x 9,5 Meter, zwei achteckige Glockengeschosse mit großen Maßwerkfenstern und einen mehrfach abgestuften und verzierten Turmhelm.
Der quadratische Turmschaft besitzt unten eine Mauerdicke von annähernd vier Metern und vier übereinanderliegende Gewölbe.
Die sehr einheitliche Konzeption lässt einen bedeutenden Baumeister (Name unbekannt) vermuten, der den Turm vom Turmschaft aus mit eindrücklicher Wirkung versieht (die klare Gliederung trägt zur Ausgewogenheit der Proportionen im Erscheinungsbild bei).

Als Vorbild können mittelalterliche Rathaustürme und die freistehenden Glockentürme Italiens gedient haben.
Der „hallesche Campanile“ ist eines von sehr wenigen Beispielen für freistehende Glockentürme in Deutschland. Mit der Fertigstellung des unteren Glockengeschosses im Jahr 1460 nimmt der Turm zwei Glocken auf (Läuteglocke, Sturmglocke).
Schon frühzeitig diente er neben seiner Aufgabe als Glockenturm auch als Uhrenturm (1508 bzw. 1580 werden die Zifferblätter für eine Turmuhr angebracht).

Der ursprünglich verwendete Name „Neuer Turm“ wird im 17. Jahrhundert ganz durch den Namen „Roter Turm“ ersetzt.
Die Namenswahl wird heute dem verwendeten Kupferdach oder (noch wahrscheinlicher) der engen Verbindung des Turms zum Blutgericht, welches in unmittelbarer Nähe am Roland tagte, zugeschrieben.

Der Rote Turm besaß ursprünglich keine Umbauung, doch wurden später Buden und Stände angebaut.
Von 1825 bis 1945 hatte er eine neogotische Backsteinumbauung und von 1976 bis zur Neugestaltung des Marktplatzes 2004 eine Umbauung aus Stahl und Glas

Durch Artilleriebeschuss am 16. April 1945 wurden der Turmhelm, der Umbau und das Innere der Glockengeschosse stark beschädigt oder zerstört, so dass der Turm bis zur Wiederherstellung im Jahr 1976 keinen Helm hatte.

Die Besucher können auf der Texttafel am Roten Turm Daten Fakten und Historie des Roten Turmes nachlesen.

Glockenspiel
Seit 1993 trägt der Rote Turm das größte Glockenspiel Europas (76 Glocken), übertroffen nur von einem Glockenturm in Bloomfield Hills, USA (77 Glocken) und einem Carillon in Taejon, Südkorea (77 Glocken). Die Karlsruher Glocken- und Kunstgießerei Metz hat unter Verwendung von Glocken der Firma Schilling (Apolda) die Installation ermöglicht.
Das Carillon wird manuell mittels Stockenklavier (Seilzüge, Klöppel, Hämmer) oder über eine elektronische Automatik gespielt. Der gesamte Tonumfang beträgt 6 Oktaven.
Das Gewicht der Glocken beträgt rund 45 Tonnen (86 Tonnen mit Trägern), die größte Glocke wiegt 8 Tonnen und die Kleinste 10 Kilo.

Es erklingen zu jeder Viertelstunde von 8 bis 22 Uhr ausgewählte Volkslieder und Musik von Georg Friederich Händel.
Berühmte Künstler wie Caspar David Friedrich, Ernst Ludwig Kirchner und Lyonel Feininger ließen sich von diesem gewaltigen Bauwerk inspirieren und haben es in ihrem charakteristischen Stil festgehalten.