Hochstraße: Pohlack sieht keine Alternative

von 24. Juni 2011

Auf die Südseite könnte man in einigen Jahren vielleicht verzichten – diesen Vorschlag hatte Baudezernent Thomas Pohlack vor einigen Monaten gemacht. Am Freitag ruderte er im Rahmen einer Diskussionsrunde des Verkehrssicherheitstages auf dem halleschen Marktplatz zurück. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Hochstraße in zehn Jahren weg ist”, so Pohlack. Für einen Abriss brauche es gewisse Voraussetzungen, “die sind nicht erfüllt.” Allerdings sei die Hochstraße ein städtebaulicher Missstand, jedoch Lebensader zugleich. Für einen Abriss sei es zwingende Notwendigkeit, dass es eine Alternative ohne Einschränkungen der Leistungsfähigkeit gebe. “Da ist noch sehr viel Arbeit zu tun.”

Eine dreiviertel Stunde lang wurde die Diskussion zusammen mit Gert Glowinski von der Mitteldeutschen Zeitung, Hans-Georg Ungefug von den Abrissbefürwortern und Reiner Halle von den Abrissgegnern geführt. Zum Teil wurde es dabei sehr emotional, das Publikum – rund 80 Zuschauer zumeist tief im Rentenalter – äußerte dabei deutliche Antipathien gegenüber einem Abriss, Buh-Rufe und Beschimpfungen in Richtung BI Hochstraße und Hans-Georg Ungefug waren zu hören. Der konterte, warf den Zuschauern “bautechnische Nostalgie” vor, die an einem “schönen sozialistischen Bauwerk” festhalten wollen. “Hier sind Ideologen am Werk”, so Ungefug. Reiner Halle mahnte ihn, die Hallenser nicht zu diskreditieren.

Hans-Georg Ungefug und seine Initiative haben derzeit rund 150 Unterstützer. Etwa die Hälfte davon lebt nicht dauerhaft in Halle, was als Vorwurf von der Gegenseite kam. Durchaus honorige Personen wie Hans-Dietrich Genscher. “Für mich zählen die Hallenser mehr als ein großer Name”, machte Reiner Halle deutlich. Hans-Georg Ungefug erklärte, dass man nicht für einen sofortigen Abriss sei, sondern einen Planungsprozess in Gang setzen wolle, “damit eine Alternative gefunden werden kann.” Über diese Thematik werde nun bei der Aufstellung der Verkehrsentwicklungsplanung geredet. Wie Ungefug sagte, wolle man niemanden schlechter stellen. Er sprach sich als kleine Alternative schon einmal für die Öffnung der Mansfelder Straße aus. Ungefug verwies zudem auf eine Städtebaukonferenz vor zwei Jahren, wo unter anderem Experten aus Hannover – wo eine Hochstraße abgerissen wurde – anwesend waren. Von denen wisse man, dass ein Abrissprozess mit dem Finden von Alternativen mindestens 20 Jahre dauere. “Wir brauchen jetzt eine Konzeption, wie es ohne Hochstraße verkehrlich besser aussieht”, sagte Ungefug. Er verwies auf einen Zukunftspreis, den seine Initiative ausgeschrieben habe. 60 Studenten hätten sich daraufhin gemeldet. Ungefug machte im Rahmen der Diskussion zudem deutlich, dass er nicht die Bürger über die Hochstraße entscheiden lassen wolle. Dazu brauche es fachlich kompetente Planungsbüros. Das sorgte im Publikum für heftigen Unmut und für einen Moment hatte man den Eindruck, als würde das Podium jeden Moment gestürmt. “Wir brauchen externes Fachwissen ohne Geschrei und Gegröle”, so Ungefug.

“Wir wären ein Esel der aufs Eis geht, würden wir auf die Hochstraße verzichten”, machte Reiner Halle deutlich. Es gebe keine Notwendigkeit, über einen Verzicht zu reden. Fast alle Hallenser bräuchten die Trasse jeden Tag. Allerdings müsste nach 30 Jahren Bauzeit mal die Betonfläche instand gesetzt werden. Das sei nun schon zehn Jahre überfällig. Sechs Millionen Euro würde diese Sanierung kosten, sagte Baudezernent Pohlack. Unter anderem müssten Kappen und Geländer gemacht werden.

Ein immer wieder aufkommendes Argument für den Abriss ist der Weltkulturerbestatus für die Franckeschen Stiftungen. Da sei es notwendig, dass sich die Stadt langfristig zum Abriss bekennt, meinte Ungefug. Reiner Halle sah das anders. Er habe sich bei der Unesco erkundigt, solche Auflagen gebe es nicht. Außerdem könne nicht verlangt werden, für die Aufnahme die Infrastruktur der Stadt kaputt zu machen. Zudem trenne die Hochstraße nicht, so Halle, anders als von der Abriss-Initiative vorgeworfen. Ohne Hochstraße würden sich Blechlawinen über die untere Ebene quälen und dort den Verkehr zum Erliegen bringen.

Eine theoretische Alternative wäre ja ein Tunnel. Doch mit 145 Millionen Euro nicht finanzierbar, meinte Baudezernent Pohlack. Außerdem müsse man weit mehr Brücken in Halle sanieren. Allein dafür bestehe ein Finanzbedarf von 41 Millionen Euro. Die Stadt hatte im 1997 beschlossenen Flächennutzungsplan tatsächlich einen langfristigen Hochstraßenabriss erwogen. Auch alternative Trassen wurden freigehalten. Doch genau diese Trassen seien aus heutiger Sicht nicht mehr realisierbar, so Pohlack, weil diese durch sensible Bereiche wie die Saaleaue führen würden. Das sah auch Reiner Halle so. Er mahnte zudem, dass im Falle anderer Routen nur der Verkehr vor die Haustür tausender anderer Hallenser verschoben werde. Auch Pohlack verwies auf diese entstehenden Belastungen. “Es gibt bislang keine Stellen, wo man mit gutem Gewissen eine neue Hauptstraße entlangführen kann”, so Pohlack. Die A 143 bringe nur eine minimale Entlastung und löse nicht das Problem der vielen Autos, die die Hochstraße nutzen.

Bei einem Verzicht auf die Hochstraße, so Reiner Halle, mache er sich Sorgen um die Lebensfähigkeit der Stadt. 1961 vor Baubeginn sei der Verkehr fast zusammengebrochen, es habe lange Staus gegeben. “Die Hochstraße ist das beste, was der Stadt passieren konnte”, argumentierte er. Ursprünglich seien sogar fünf Saalequerungen vorgesehen gewesen.

Auch mehrere Zuschauer meldeten sich zu Wort. Der 65 Jahre alte Stefan Lehnebach nannte die Diskussion um die Hochstraße “ein künstliches Problem”. Aus Hans Francke, der unweit der seinen Namen tragenden Stiftungen wohnt, machte deutlich, dass er einen Verzicht für nicht sinnvoll halte. Halles früherer Baudezernent Wolfgang Heinrich hält die Suche nach Alternativen indes für herausgeschmissenes Geld. Herr Sprengel hat selbst an der Hochstraße mitgearbeitet. Zu Ungefug – kein gebürtiger Hallenser – sagte er: “Sie wussten doch, dass es die Hochstraße gibt. Da hätten sie nicht herziehen brauchen.” Als vor vier Jahren die Diskussion aufkam, wurde auch Jürgen Henze Mitglied in der Initiative. Er war Oberbauleiter für die Hochstraße. Ihren Abriss hält er nicht für sinnvoll. Er sei stolz auf das Bauwerk und auch aus der Abrissinitiative ausgetreten.

So wirklich neue Erkenntnisse gab es also nach der Diskussionsrunde nicht. Nun liegt es an den Diskussionen zum Verkehrsentwicklungsplan, ob Halle in 20 Jahren noch eine Hochstraße hat.