OB Häußler zu Stoiber-Äußerungen

von 11. August 2005

Ingrid Häußler, Oberbürgermeisterin der Stadt Halle (Saale), hat sich heute in einem Offenen Brief an den Bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber gewandt. Der Brief hat folgenden Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!

Ich wende mich an Sie, um Sie mit allem Nachdruck zu bitten, sich zukünftig in Ihren Wahlkampfäußerungen zu mäßigen. Bitte halten Sie sich vor allem mit Bemerkungen über Ostdeutschland und die hiesigen Wählerinnen und Wähler zurück. Am besten sagen Sie zu diesem Thema gar nichts mehr. – Sie richten einen Schaden an, der weit über Ihre Partei hinausgeht.

Gleichgültig, mit welchen gewundenen Erklärungen Ihr nassforscher Generalsekretär Sie jetzt herauszupauken versucht – wir haben verstanden. Sie wollen nicht, "dass erneut der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird." Und jetzt: "Wir haben leider nicht überall so kluge Bevölkerungsteile wie in Bayern."
Ich verstehe auch, dass Sie die Stammtische im Westallgäu mit Ihren krachledernen Bemerkungen über die frustrierten Ossis beeindrucken wollten. Und ein so fesches Mannsbild wie der zackige Jörg Schönbohm sind Sie ja schließlich allemal…

Mir ist auch klar, dass Ihre Wahlkampferfahrungen im Osten bei der letzten Bundestagswahl nicht die besten waren. Aber das allein kann doch nicht den demokratischen Flurschaden rechtfertigen, der durch solche Äußerungen wie die Ihren zu entstehen droht. Ich bitte Sie eindringlich, im Pulverdampf des Wahlkampfes nicht die Orientierung zu verlieren: Ihre herablassenden Bemerkungen sind geeignet, vieles von dem an innerer Einheit zu gefährden, das wir alle gemeinsam in den letzten Jahren doch immerhin herstellen konnten.

Ich besitze nicht die Gnade, Mitglied der CSU zu sein; ich bin Mitglied der SPD. Sie können mir daher getrost glauben, dass auch mir die gemessenen Umfrageergebnisse für die Linkspartei/PDS keine Freude machen. Aber wenn Sie gelegentlich eine Reise in den Osten machen würden, könnten Sie vielleicht besser verstehen, dass die Stärke der Linkspartei/PDS zu tun hat mit der Schwäche aller anderen Parteien. Die Menschen leiden unter fehlenden persönlichen Perspektiven, anhaltender Arbeitslosigkeit, mangelnder wirtschaftlicher Entwicklung. Sie haben zur Kenntnis genommen, dass weder die Regierung Kohl noch die Anstrengungen von Rot/Grün die Arbeitslosenquoten wesentlich nach unten drücken konnten. Wenn Ihr Beitrag zu dieser Problematik darin besteht, den Ostdeutschen die Wahlmündigkeit abzusprechen, weil Sie zu frustriert für die Urne seien oder nicht so klug wie die Bayern, die wissen, was sie an Edmund Stoiber haben, dann erweisen Sie nicht nur Ihrer Kanzlerkandidatin einen Bärendienst. Dann sind Sie ein aktiver Wahlhelfer der Linkspartei/PDS und gefährden die innere Einheit Deutschlands.

Ich ahne, dass Sie das nicht wirklich wollen. Also, überlegen Sie sich es noch einmal, bevor Sie das nächste Mal auf ein Podium steigen, sei es auch noch so abgelegen im schönen Bayerischen Wald. Sie haben ganz recht: die Bayern haben "kluge Bevölkerungsteile". Es wäre schön, wenn ihr Ministerpräsident in Zukunft auch mit dem immer wieder gepriesenen "Geschenk der deutschen Einheit" klug umginge.

Nicht nur im Bayerischen Wald und im Westallgäu lässt es sich leben und trefflich fabulieren. Auch Halle an der Saale liegt sehr schön. Vielleicht kommen Sie ja mal vorbei. Dann zeige ich Ihnen mal ein paar frustrierte Ossis. Sie werden sich wundern: Wir beißen nicht Aber unser Wahlrecht, dass lassen wir uns nicht wieder nehmen.
Mit freundlichen Grüssen

Ingrid Häußler
Oberbürgermeisterin

(Quelle: Stadt Halle)