Schülermonatskarte gilt nur noch tagsüber

von 10. Mai 2011

Die Schülerbeförderung ist eine Pflichtaufgabe. Und sie kostet Geld, viel Geld. Deshalb will die Stadt Halle (Saale) hier Geld einsparen. Mit Beginn des neuen Schuljahres ist deshalb eine Neuregelung vorgesehen. Am Dienstagabend hat sich der Bildungsausschuss mit der Thematik beschäftigt.

Doch ein wesentlicher Knackpunkt, der zu Beginn des vergangenen Schuljahres für Wirbel sorgte, wird nicht tatsächlich gelöst:
Nämlich die Frage, ob sprachbehinderte Grundschüler allein zur Schule fahren können? Um diese Frage war Anfang dieses Schuljahres ein Streit entbrannt. Denn während viele Schüler der Sprachheil-, Lernbehinderten- und Hörgeschädigtenschulen bislang per Sammeltaxi zur Schule gebracht wurden, hat sich das zum Schuljahresbeginn geändert. Bei 138 Schülern hat die Stadt die Sammeltaxifahrt abgelehnt, für 99 von ihnen 99 eine HAVAG-Jahreskarte zur Verfügung gestellt. Proteste kamen von zahlreichen Eltern. Sie sind der Meinung, dass man es ihren Kindern nicht zumuten könne, den Weg zur Schule allein auf sich zu nehmen, insbesondere da in der Regel mehrfach von Bus und Straßenbahn umgestiegen müsse.

Neue Landesgesetze würden es so erfordern, so argumentierte seinerzeit die Stadt. Denn im Paragraph 71 des Landesschulgesetzes, der die Schülerbeförderung regelt, ist formuliert: "Die Beförderungs- und Erstattungspflicht besteht in jedem Fall, wenn Schülerinnen und Schüler wegen einer körperlichen und geistigen Behinderung befördert werden müssen." Zuvor hieß es, "wenn Schülerinnen und Schüler wegen einer dauernden oder vorübergehenden Behinderung befördert werden müssen". Allerdings war Halle die einzige Kommune, die das Gesetz so auffasst. Zwar heißt es seitdem tatsächlich, nur Schüler mit körperlicher oder geistiger Behinderung hätten grundsätzlich Anspruch auf die Spezialbeförderung. Doch damit seien laut Kultusministerium alle anderen Förderschüler nicht ausgeschlossen. Es gelte dabei die Zumutbarkeit.

Das sah Thomas Senger vom Stadtelternrat genauso. Seinen Worten zufolge seien nämlich die für die Kinder zurückzulegenden Wege generell “unzumutbar”. Weil die Förderschulen nicht in der Häufigkeit anzutreffen sind wie Regelschulen, müssten die Kinder längere Wege zurücklegen. Wer aus Heide-Nord komme, müsse zum Beispiel vom Bus in die Bahn umsteigen. Auch SPD-Stadtrat Karamba Diaby kritisierte die Verfahrensweise. Förderschüler seien ohnehin schon böse benachteiligt.

Grünen-Stadtrat Oliver Paulsen beispielsweise forderte, “unverzüglich den bisherigen – und rechtskonformen – Zustand wiederherzustellen und allen betroffenen Kindern die notwendige Beförderung zur und von der Schule anzubieten.” Die Stadt wollte ihr Vorgehen zwar prüfen. Doch eine “läppische Prüfung”, wie Paulsen es in einer Mitteilung nannte, bringe nichts. Unbürokratisch sollten stattdessen für einen Übergangszeitraum alle Schüler mit einem entsprechenden Wunsch befördert werden.

Zur Problematik „Nutzung von Bus und Bahn“ durch sprachbehinderte Grundschüler schrieb User „unaufmüpfig“ seinerzeit im Thread: „Ich möchte nicht wissen, wie der HAVAG-Kontrolleur reagiert, wenn ihm ein (taub)stummer Achtjähriger, der "bloß nicht (hören und) sprechen kann" zu erklären versucht, dass er seine Monatskarte noch in der anderen Jacke vom Vortag hat…“

Mitte August letzten Jahres einigten sich Stadt und Stadtelternrat dann, dass alle Förderschüler, deren Anträge auf Beförderung abgelehnt wurden, zunächst für ein halbes Jahr wieder mit Spezialtransporten zu ihren oft weit entfernt liegenden Schulen gebracht. Darüber hinaus wurden die betroffenen Eltern von der Schulverwaltung angeschrieben, einen neuen Antrag zu stellen, den der Amtsarzt begutachtete, ob die Fahrten berechtigt sind. (HalleForum.de berichtete).

In der Sitzung des Bildungsausschusses am Dienstag wurde nunmehr die zu ändernde Schülerbeförderungssatzung behandelt. Zwar wurde nun, neben dem Anspruch auf „individuelle“ Beförderung geistig und körperlich behinderter Schüler, auch die von lern- und sprachbehinderten Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufgenommen, jedoch fiel die Intention vom Stadtelternratsvorsitzenden Senger, dabei generell Schüler der ersten und zweiten Klasse nicht alleine mit Bus und Bahn zur Förderschule fahren zu lassen, sondern, wie bislang, mit Sammeltaxis von zu Hause abzuholen und wieder nach Hause zu bringen, völlig unter den Tisch.

Seitens der Stadt wurde klargestellt und entsprechend der Übergangsregelung vom August letzten Jahres beibehalten, dass, beginnend ab der Einschulung, „eine amtsärztliche Bescheinigung zur Notwendigkeit der Beförderung mit einem besonderen Beförderungsdienst vorzulegen ist, sofern kein Schwerbehindertenausweis diese Beförderungsnotwendigkeit belegt.“

Zwar wurde die eigentlich durch die Stadt vorgeschlagene Begrenzung des „besonderen Beförderungsanspruchs“ auf Förderschüler der 1. und 2. Klasse auf Intention von Senger gestrichen, so dass nunmehr alle lern- und sprachbehinderten Schüler bis zum Abschluss ihrer Schulausbildung unter Vorlage der amtsärztlichen Bescheinigung individuell befördert werden können. Aber dies eben beginnend ab der Einschulung. Ob dies dem Stadtelternrat und den Stadträten im Bildungsausschuss im Rahmen der allgemeinen Debatte so bewusst war?

Auch stellt sich die Frage, wie sprachbehinderte Förderschüler, die weniger als zwei Kilometer (Grundschule) bzw. drei Kilometer (ab Klasse 5) von ihrer Förderschule entfernt wohnen, zur Schule kommen? Zur Verdeutlichung, welche Entfernung dies von der Sprachheilschule in der Ingolstädter Straße ist: die Kreuzung Huttenstraße/Elsa-Brändström-Straße befindet sich 1,9 Kilometer entfernt, der Rannische Platz 2,8 Kilometer. Von da aus müssten die Schüler entweder laufen oder mit dem Rad fahren, es sei denn, die Eltern kaufen für ihre Kinder auf eigene Rechnung eine Abo-Monatskarte für Auszubildende für monatlich 31,80 Euro (382 Euro pro Jahr). Denn eben genau dies ist der Unterschied zu nicht behinderten Kindern: Förderschulen gibt es nicht mit der gleichen Dichte und Wohnortnähe wie Regelschulen.

Selbst nicht sprachbehinderte Erst- bis Viertklässler würden ihre Eltern wohl kaum alleine mit Bus und Bahn durch ganz Halle zur Schule und wieder zurück fahren lassen.

Doch dies ist offenbar das Ziel von Stadt und Land: „Integration der Förderschüler an den Regelschulen“, ein eigentlich gut gemeintes Ziel, das auf Intention von Eltern, die wünschen, dass ihre behinderten Kinder auf Regelschulen gehen können, dies aber seitens des Landes so umgesetzt wird, dass behinderte Kinder auf Regelschulen gehen sollen. Aber dies ohne die dafür notwendigen baulichen und personellen Voraussetzungen zu schaffen.

Und eine weitere Einschränkung wird es bei der Schülerbeförderung geben. Bislang erhielten die Schüler, deren Grundschule im Schuleinzugsbereich mehr als zwei Kilometer oder ihre weiterführende Schule ab Klasse 5 bis 10 mehr als drei Kilometer entfernt ist, eine kostenlose Schülermonatskarte (ab 11. Klasse mit 100 Euro Eigenbeteiligung pro Jahr) gestellt, die täglich rund um die Uhr galt. Da jedoch entsprechend des Schulgesetzes die Verpflichtung der Stadt zur Beförderung nur auf die Teilnahme am Unterricht und an außerunterrichtlichen Veranstaltungen der Schule sowie an außerschulischen Betreuungsangeboten am Schulhort besteht, wird die Gültigkeit der durch die Stadt zu stellenden Schülermonatskarten auf schultäglich 6 bis 20 Uhr begrenzt, sie gilt also nicht mehr an Wochenenden, Feiertagen und während der Ferien. Wer trotz Schülermonatskarte am Wochenende oder in den Ferien zum Training fahren, ins Kino oder Theater gehen oder den Zoo besuchen will, muss nunmehr einen eigenen Fahrschein erwerben, es sei denn, er abonniert für ca. 80 Euro jährlicher Zuzahlung die bisherige, uneingeschränkte Abo-Monatskarte für Auszubildende. Laut Aussage von Sozialdezernent Tobias Kogge handelt es sich hierbei um den Differenzbetrag zwischen dem zwischen Stadt und stadteigener HAVAG ausgehandeltem Großkundenpreis von 299 Euro pro Jahr, den die Stadt übernimmt, und dem regulären Preis der Abo-Monatskarte. Es handelt sich bei der eingeschränkt gültigen Schülermonatskarte jedoch um kein reguläres, frei verkäufliches Angebot, so dass Eltern, die statt der bisherigen 382 Euro pro Jahr für die uneingeschränkte Monatskarte lieber für die besagten 299 Euro die zeitlich begrenzte Monatskarte erwerben möchten, dies nicht können. Dabei ist auch diese Einschränkung unverständlich, da die HAVAG bei Verkauf der Fahrkarten an die Stadt nicht prüft, und wegen des Verbots der Datenweitergabe der Wohn- und Schuladresse durch die Stadt auch gar nicht prüfen kann, ob die Eltern, die die günstigere Monatskarte auf eigene Rechnung erwerben möchten, überhaupt unter die Kostenübernahme durch die Stadt fallen. Die Stadt sollte also überlegen, ob sie nicht allen Eltern diese eingeschränkte Schülermonatskarte anbietet und zentral bei der HAVAG erwirbt: Für die, denen die Stadt die Schülerbeförderung bezahlen muss, kostenfrei, und für alle anderen Eltern gegen Bezahlung der 299 Euro pro Jahr. Dies würde der HAVAG mehr Fahrgäste, und somit Einnahmen, bringen und den Eltern, deren Kinder weniger als zwei, drei oder vier Kilometer (erstes Berufsausbildungsjahr) entfernt wohnen, eine Entlastung.

Freuen können sich Eltern von Schülern der Klassenstufe 11 bis 13, der Berufsfachschulen, die einen mittleren Schulabschluss erfordern, der Fachschulen, Fachoberschulen und Fachgymnasien: Die Mindestentfernung von derzeit vier Kilometern wird analog der Klassenstufen 5 bis 10 auf drei Kilometer verringert. Begründung: Aufgrund der zunehmenden Zahl von Gesamtschulen, auf denen man von Klasse 5 bis Ablegen des erweiterten Realschulabschlusses oder des Abiturs gemeinsam lernt, ist eine unterschiedliche Behandlung bis Klasse 10 und ab Klasse 11 schwer zu vermitteln. Schüler, die bis Klasse 10 ihre unentgeltliche Monatskarte erhielten, weil sie 3,8 Kilometer von der Schule entfernt wohnen, müssen ab Klasse 11 die Monatskarte allein bezahlen oder laufen bzw. Rad fahren, im Sommer wie Winter, auch bei Regen und Schnee. Um jedoch die Schüler einkommensschwacher Familien nicht am erweiterten Realschulabschluss, Abitur oder Fach- bzw. Fachoberschulabschluss zu behindern, soll eine Gleichstellung analog der Regelungen bis Klasse 10 erfolgen. Einziger Unterschied wie bisher: ab Klasse 11 ist ein Eigenanteil von 100 Euro pro Jahr zu entrichten.

Pikant: Ursprünglich wollte die Stadt die bisherige Vier-Kilometer-Grenze für Gymnasiasten und Gesamtschüler ab der 11. Klasse beibehalten. Sozialdezernent Tobias Kogge argumentierte gegen die Verringerung der Grenze, dass nach den bisherigen Erfahrungen vor allem Kinder "bessergestellter" Familien an Gymnasien und Gesamtschulen gehen, so dass diese nunmehr besser gefördert werden als Berufsschüler im ersten Berufsschuljahr, die eher aus einkommensschwachen Familien stammen. Dies ist zwar richtig, jedoch verfehlt diese Auffassung den Grundgedanken, gerade Kinder aus einkommensschwachen Familien den Besuch von Gymnasien und Gesamtschulen nicht aus finanziellen Gründen zu verwehren, wenn diese zwischen drei und vier Kilometer von der Schule entfernt wohnen und sich die 31,80 Euro pro Monat, statt 8,33 Euro Eigenanteil, für die Monatskarte nicht leisten können.

Zu guter Letzt wird sich in der Beantragung der Schülermonatskarten ändern: Die Fahrkarten sind rechtzeitig vor Beginn des neuen Schuljahres über die jeweilige Schule oder das Schulverwaltungsamt zu beantragen. Vorgesehen ist hierbei spätestens der 30. Mai, was für Schüler ab Klasse 5 kein Problem ist, angesichts der bis Ende Mai jedoch noch nicht abgeschlossenen Auswahlverfahren an den Gymnasien für Schüler der Klasse 4 jedoch ein Problem. Denn die betroffenen Eltern wissen bis dahin häufig noch nicht, an welche weiterführende Schule ihr Kind ab nächstem Schuljahr gehen wird und ob dementsprechend überhaupt ein Anspruch auf unentgeltliche Schülerbeförderung bestehen wird. Durch Kogge wurde darauf hingewiesen, dass es sich um einen „Soll“-Termin handelt, damit wenigstens die nicht-schulwechselnden Jahrgänge abgearbeitet sind, ehe die neuen Fünftklässler bearbeitet werden müssen. Das Antragsverfahren soll künftig über Sammellisten erfolgen, die in den Schulen zum Beispiel zu Elternabenden ausgefüllt werden. Bedenken wurden hierzu bereits geäußert, dass es Eltern geben könnte, die ihre Wohnanschrift nicht auf einer Sammelliste der Klasse angeben möchten.

Dabei ist dies gar nicht notwendig, denn maßgeblich ist die jeweilige Meldeanschrift der Schüler, und die dürfte der Stadt (Einwohnermeldeamt) bekannt sein. Denn auch dies ist neu: Maßgeblich ist die Meldeadresse des Schülers, was insbesondere bei getrennt lebenden gemeinsam sorgeberechtigten Eltern relevant ist.

Zusammengefasst schränkt die neue Schülermonatskarte einerseits die Benutzung zeitlich ein, es sei denn, man zahlt circa 80 Euro pro Jahr zu, andererseits werden insbesondere ab Klasse 11 mehr Schüler in den Genuss der vergünstigten Schülermonatskarte kommen. Ungelöst wird nach wie vor die Problematik der sprachbehinderten Grundschüler, insbesondere in den ersten beiden Schuljahrgängen, sein. Hier soll es, wie seit August letzten Jahres, der Bescheinigung des Amtsarztes bedürfen, und dies Jahr für Jahr.