Habe unbändig viel zu tun …

von 2. April 2011

Jeder Hallenser kennt die Reilstraße, den Reilsberg und das Reileck. Natürlich weiß man, dass die Namensnennungen auf Johann Christian Reil zurückgehen und vielleicht hat man schon einmal gehört, dass Reil ein Mediziner war. Aber dann? Kaum jemand kennt die Persönlichkeit „Reil“.

Der hallesche Hasenverlag hat nun in seiner Reihe „Mitteldeutsche kulturhistorische Hefte“ eine ausführliche und reich illustrierte Biografie von Johann Christian Reil vorgelegt. Die beiden Autorinnen Heidi Ritter und Eva Scherf sind dabei auf einen ungewöhnlichen Fall der Medizingeschichte gestoßen.

1759 in Ostfriesland geboren, sollte der Pfarrerssohn eigentlich Theologie studieren, doch der junge Reil entschied sich für ein Medizinstudium in Göttingen und Halle. In der Saalestadt wurde er bald ein geschätzter Kollege des bekannten Medizinprofessors Goldhagen. Reil beschäftigte sich vorrangig mit Nervenkrankheiten und gilt heute als Begründer der Psychiatrie in Deutschland. Ihn jedoch nur auf seine medizinischen Verdienste zu reduzieren, wäre nur die halbe Wahrheit.

Die beiden Autorinnen stellen Johann Christian Reil auch als Universitätslehrer und engagierten Bürger der Stadt Halle vor. So war er Unternehmer, der mit einem kühnen Projekt Halle zur Kur- und Theaterstadt machte. Reil hatte immer „unbändig viel zu tun“: Krankenhaus, Clinico, Privatpraxis, amtsärztliche Entscheidungen, Vorlesungen, Veröffentlichungen usw. Nicht alle Träume gelangen – schließlich wurde gerade der preußische Staat und dessen Verwaltung durch die napoleonische Besetzung zerschlagen.

1808 erhielt Reil in einer akademischen Feier die höchsten Würden der Universität. 1813 infizierte er sich auf dem Schlachtfeld bei Leipzig und starb am 22. November 1813 in Halle. Bei seinem Tod galt er als einer der berühmtesten Ärzte Deutschlands. Doch nur drei Jahre später wurde er öffentlich „unseliger Geistesverwirrung“ bezichtigt und von der Medizingeschichte vergessen. Erst hundert Jahre später rückte er wieder ins Blickfeld des Interesses, es war aber zunächst eine rein akademische Auseinandersetzung.

Heidi Ritter und Eva Scherf ist es gelungen, den Privatmann Reil sichtbar zu machen. Viele Dokumente standen ihnen nicht zur Verfügung, lediglich eine Handvoll privater Briefe. Und dennoch erzählen sie vom Alltag des Arztes, Wissenschaftlers und Stadtbürgers. Daneben entsteht noch ein spannendes Bild der preußischen Saalestadt um 1800. Zahlreiche historische Abbildungen bereichern dieses kulturhistorische Heft und machen es zu einer faszinierenden Episode der Stadtgeschichte.

Heidi Ritter / Eva Scherf
„Habe unbändig viel zu tun … Johann Christian Reil“
Hasenverlag Halle/Saale 2011, Heft 22 der „Mitteldeutschen kulturhistorischen Hefte“, 12,80 €, 120 S., ISBN 978-3-939468-59-2

Manfred Orlick