70 Straßennamen mit Zusatzschildern ergänzt

von 5. Oktober 2010

Alles fing mit August Heinrich Julius Lafontaine an. Die Germanistin Ingeborg von Lips fragte sich, nach wem wohl die Lafontainestraße an der Diakonie benannt ist. So entstand die Idee zum Projekt Bildung im Vorübergehen. Vor genau zwei Jahren wurden an der Lafontainestraße die ersten Zusatzschilder aufgehängt, die auf die Namensgeber hinweise. Seit dem wurden insgesamt 70 Persönlichkeiten, nach denen Straßen in Halle benannt sind, auf diese Weise durch die Bürgerstiftung geehrt.

Zu seinem 233. Todestag erhielt am Dienstag nun auch der Naturforscher, Mathematiker, Physiker und Mediziner Johann Andreas Segner solch ein Zusatzschild am Straßennamen. Gespendet wurden die Schilder vom „Trothaer Kreis“ mit Prof. Dr. Egon Fanghänel, Prof. Dr. Wolfgang Fratzscher, Hartmut Koch, Prof. Dr. Ernst-Otto Reher und Prof. Dr. Rudolf Taube. Der Trothaer Kreis ist eine Runde von ehemaligen Hochschullehrern und interessierten Bürgern, die sich mit wissenschaftlichen Themen beschäftigen.

Einmal im Monat wird eine Straße in der Saalestadt – gelegentlich auch mal ein ganzes Bündel – mit Zusatzschildern versehen. Nächsten Monat in dann die Robert-Blum-Straße im Paulusviertel dran.

Einzelheiten zum heute geehrten Johann Andreas Segner lesen Sie auf Seite 2:
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Johann Andreas Segner
Im Oktober 1704 – in den Quellen findet sich sowohl der 4. als auch der 10. – wurde Johann Andreas Segner (ungarisch: Jànos Andràs Segner) in Pressburg (ungarisch: Pozsony, heute slowakisch: Bratislava) als Sohn des Stadtkämmerers geboren. Er wuchs dreisprachig auf und erlernte in der Schule Griechisch und Latein. 1725 begann er an der Universität Jena das Studium der Medizin, Philosophie und Mathematik. Nach seiner Dissertation arbeitete er zwei Jahre lang als praktischer Arzt in seiner Heimatstadt, ging aber schon 1732 wieder nach Jena, um dort ein Jahr später als Extraordinarius Mathematik und Physik zu lesen. 1735 folgte er dem Ruf der Universität Göttingen und wurde ordentlicher Professor für Naturlehre und Mathematik. Hier hielt er als einer der ersten Naturwissenschaftler Experimentalvorlesungen in Chemie und initiierte den Bau einer Sternwarte. Es entstanden Lehrbücher für Arithmetik und Geometrie, sowie die „Naturlehre“, die als Handbuch der Physik weite Verbreitung erfuhr. Unter anderem promovierte er hier Christian Polykarp Leporin, den Bruder von Dorothea Erxleben.

Als 1754 Christian Wolff in Halle starb, versuchte Segners Freund und Kollege Leonard Euler, denselben nach Halle zu verpflichten. Nachdem die Universität den recht hohen Forderungen Segners, die u. a. seine Besoldung, seine Ernennung zum Geheimrat sowie die Erneuerung seines ungarischen Adelsdiploms beinhalteten, stattgegeben hatte, begann 1755 Segners langjähriges Wirken in Halle. Er zog sich nun sich völlig aus seiner ärztlichen Tätigkeit zurück und konzentrierte sich auf die Mathematik und Physik, auch die Astronomie spielte eine zunehmende Rolle in seinen Forschungen. Zu seinen Studenten, die er in Halle promovierte, gehörte auch August Niemeyer (1777).

Ein besonderes Anliegen war Segner auch die populärwissenschaftliche Publikation. So veröffentlichte er etliche Aufsätze in den „Wöchentlichen Hallischen Anzeigen“, deren Leitung er in seinen letzten Amtsjahren übernahm. Hier behandelte er z. B. so praktische Dinge wie eine Tischleuchte mit Hilfe von Docht und Öl oder auch einen Korkgürtel zum Schutz vor Ertrinken. Wichtige Studien betrieb Segner zu Symmetrieachsen fester Körper, zum Luftdruck, zur Lichteinwirkung im Auge, zur Oberflächenspannung von Flüssigkeiten und zu Sonnenfinsternissen, um nur einige Themen zu nennen. Über seine bekannteste Erfindung, das Segnersche Wasserrad, welches in seiner ursprünglichen Form auch heute noch zum Beispiel bei rotierenden Rasensprengern Verwendung findet, sei am Ende noch ausführlicher berichtet. Er war Mitglied der Kaiserlichen Akademie zu St. Petersburg, der Königlichen Sozietät zu London und der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.

1759 hatte Segner das Bürgerrecht in Halle erworben, um ein Haus in der Gottesackergasse am Leipziger Turm kaufen zu können. Später erwarb er einen stattlichen Renaissancebau im damaligen Ulrichsviertel, der allerdings 1910 abgerissen wurde. 1777 starb Johann Andreas Segner und wurde in der Gruft 83 auf dem Stadtgottesacker in Halle bestattet, wo auch eine Gedenkplatte angebracht ist. 1964 wurde auf Vorschlag der . Medizinischen Universitätsklinik die Hedwigstraße in der Nähe des Steintors in Johann-Andreas-Segner-Straße umbenannt. Seit 1935 trägt auch ein Mondkrater seinen Namen.
Quellen:
Stadtarchiv Halle FA 4987
Wolfram Kaiser: Johann Andreas Segner, der „Vater der Turbine“, Leipzig 1977
Werner Piechocki: Hallesche Segner-Dokumentationen. In: Johann Andreas Segner und seine
Zeit. Hallesches Segner-Symposium 1977, Halle 1977

Das Segnersche Wasserrad
An dieser Stelle seien noch einige Ausführungen zum Segnerschen Wasserrad und dessen Einordnung in die technischen Wissenschaften gestattet. Die Segners besaßen in Pressburg nachweislich auch Wassermühlen, sodass Johann Andreas aus eigener Anschauung und Erfahrung das übliche Mühlenrad zum Antrieb der Mühlensteine von Kind auf bekannt war. Es lag deshalb nahe, dass er sich aus seinem physikalischen Interesse heraus mit dieser Antriebsart, im heutigen Sprachgebrauch mit der Nutzung von regenerativen Energien und deren möglichen Effizienzsteigerungen beschäftigte. 1750 konstruierte und baute er das nach ihm benannte Wasserrad. Es bestand aus einem drehbar gelagerten Behälter an dem unten ein Rohr befestigt ist, das eine seitliche Öffnung aufweist. Wird nun Wasser in den Behälter gegeben, so fließt es aus der Öffnung heraus und der Behälter beginnt sich zu drehen. Damit war das Grundprinzip der Reaktionsturbine gefunden. Da Segner zu dieser Zeit schon im ständigen Kontakt zu Euler stand, unterrichtete er diesen von der Erfindung. Euler nahm die Information offensichtlich begeistert auf und hielt darüber zwei Vorträge an der Berliner Akademie. Obwohl er selbst eigene Verbesserungen anbrachte, so gebogene Ausflussöffnungen – die Grundidee der späteren Leitschaufeln der Turbine – benannte er in seinen Vorträgen die Erfindung ausdrücklich als Segnersches Wasserrad. Das war wohl auch die Grundlage dafür, dass sich diese Bezeichnung bis heute erhalten hat. So war es sicher auch Eulers Einfluss zu danken, dass Segner in die Berliner Akademie berufen wurde und später, als Euler nach Russland gewechselt hatte, in die Petersburger Akademie.

Segner selbst beschäftigte sich mit der möglichen Berechnung seines Wasserrades und veröffentlichte eine Theorie der Turbinen. Auch Euler nahm die Auseinandersetzung mit der Erfindung zum Anlass, sich intensiv mit der Hydromechanik zu befassen. In diesem Zusammenhang formulierte er die Grundgleichungen dieser Disziplin, die auch heute noch in der von ihm geprägten Form gelten und angewandt werden. Damit waren die fundamentalen Gesetze einer Wissenschaft gefunden, die heute als Technische Strömungsmechanik bezeichnet wird. Sie ist die Grundlage der Auslegung aller Strömungsmaschinen, Pumpen sowohl als auch Turbinen. Im zwanzigsten Jahrhundert entwickelte sich diese Wissenschaft weiter als sich zeigte, dass ihre Gesetzmäßigkeiten auch die Grundlage für alle Bewegungsformen der fluiden Medien, d.h. der Flüssigkeiten wie auch der Gase, lieferten. Diese werden benötigt, um alle die Apparate auszulegen und zu berechnen, die in der Stoff- und Energiewirtschaft Verwendung finden wie Kolonnen, Reaktoren, Wärmeübertrager, Rohrleitungen u.v.a.m. Damit wurde die Strömungsmechanik zu einer Grundlagendisziplin für einen Ingenieurbereich, der heute als Verfahrenstechnik bezeichnet wird. Dieser Bereich war an der Technischen Hochschule Merseburg vertreten und wurde nach der Wende 1993 an die Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg angegliedert. Da an diesem Bereich aus den genannten Gründen auch die Strömungsmechanik vertreten war, entstand durch diese Zuordnung über zwei Jahrhunderte hinweg eine direkte fachliche Verbindung zu Segner an dieser Universität.
Prof. Dr. Wolfgang Fratzscher