Woher kommt die Allergie?

von 11. November 2015

In der Zuhörerschaft auf dem Platz stehen neuerdings Mitglieder der „Brigade Halle/Saale“, die sich auch selbst zur rechten Szene zählen und unter anderem in der Silberhöhe als „Bürgerwehr“ gegen zugereistes „fahrendes Volk“ (Sinti und Roma) aktiv wurden. Auf einer Internetseite mit dem Titel „Hosen Runter – Antifa-Infoportal“ sind die Mitglieder der „Brigade und ihr nahestehende Personen“ quasi im Steckbrief-Stil mit persönlichen Daten und Fotos erfasst. Zuletzt ebenfalls zu sehen waren Leute, die wahrscheinlich den HFC-Ultras „Saalefront“ zuzuordnen sind, einem HFC-Fanclub, den die HFC-Leitung erfolglos zu disziplinieren versuchte, was im Juli 2014 schließlich zum Verbot jeglicher Saalefront-Symbolik führte, mit folgender Begründung: „Der HFC tritt jeglicher Erscheinungsform von Gewalt, Extremismus und Rassismus offensiv und konsequent entgegen.“

Aufregung um ehemaliges Blood-and-Honour-Mitglied

Besonders heftig jedoch reagieren die Gegendemonstranten auf Sven Liebich, der als einziger aus dem thematisierten Teilnehmerkreis inzwischen mehrfach am Mikro der „Mahnwache für den Frieden“ stand und dort immer wieder für „Stimmung“ sorgte. Liebich hängt seine Vergangenheit an. Unter anderem im Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt vom Jahr 2002 tauchte er namentlich auf. Darin hieß es: „Als derzeitige Protagonisten der rechtsextremistischen Musikszene sind Sven Liebich (Halle) und … anzusehen. Dies unterstreichen vor allem die zahlreichen im Berichtszeitraum von ihnen initiierten Veranstaltungen. Beide Personen sind in der Lage, zu szeneintern bedeutsamen Anlässen wie Sonnenwendfeiern, Hitler-Geburtstag oder einschlägigen Musikveranstaltungen auch kurzfristig ein großes Personenpotenzial zu mobilisieren.“ Weiter hieß es: „Bei der Halleschen Szene handelt es sich um eine typische Mischszene, das heißt, sie setzt sich aus Neonazis und subkulturell geprägten Skinheads zusammen. Die Führungsriege um Sven Liebich ist jedoch eindeutig neonazistisch ausgerichtet.“ Im selben Bericht wird er als „Agitator und Aufstachler“ sowie als Mitersteller der Szenezeitung „Nationaler Beobachter“, die zunächst in Halle und im Saalekreis erschien, beschrieben. Liebich sei auf die Außenwirkung bedacht und bemühe sich um Sympathien in der Bevölkerung, „um auf diese Weise Gehör für rechtsextremistische Vorstellungen zu finden.“ Liebich wurde der Blood-and-Honour-Szene (B[&]H) zugerechnet, einer Organisation, die schon im Jahr 2000 in Deutschland verboten wurde, jedoch zu einem europaweiten Netzwerk gehörte, mit dem sich die Polizei noch 2008 in Dänemark und 2010 in Spanien beschäftigte. 2012 folgte das Verbot in Russland, während B[&]H-Ableger in Deutschland weiter immer aktiv waren, wie die „Thüringer Landeszeitung“ im Mai 2013 unter Bezug auf das Innenministerium von Thüringen berichtete.

Liebich sagt, dass er aus der Szene ausgestiegen ist und kein Nazi mehr ist. Weil er jedoch offenbar weiter verfolgt und beobachtet wurde, bemühte er sich jahrelang, seine Identität und seine Aufenthaltsorte zu verschleiern. Noch im April 2013, als er in der „Mitteldeutschen Zeitung“ über seinen aktiven Jahre und seinen Ausstieg aus der rechten Szene berichtete, trat er unter Psyeudonym auf. Während seiner B[&]H-Zeit war Liebich im CD-Versandhandel tätig, schließlich verband des Netzwerk die komplette Neonazi-Musikszene. Liebich ist nach wie vor im Versandhandel tätig, doch rechtsextreme Tonträger gehören nicht mehr dazu. Der „Kampf gegen das System“ und seine Exponenten ist geblieben, der propagandistische Stil und das Vernetzungsgeschick auch. Indes sorgt Liebich immer wieder für Verwirrung über die Frage, wo er nun politisch steht. 2014 enterte er die Partei „Die Linke“ in Sachsen mit einem Antrag auf Mitgliedschaft. Bald darauf trug er entsprechende T-Shirts. Auf der Montagsdemo am 9. November 2015 griff er jedoch gleich zwei Vertreter der Linkspartei gezielt verbal an: Den Stadtratsvorsitzenden Hendrik Lange und den ehemaligen Bundesvorsitzenden Gregor Gysi.

Bei den Friedensmahnwachen vor Halles Ratshof war Liebich von Anfang an dabei, hielt sich jedoch zunächst im Hintergrund, mit „Rücksicht auf den Ruf der Veranstaltung“, wie er selbst erklärte. Dann fand er seine Rolle als Guerilla-Aktivist, der als vermeintlicher Gegendemonstrant allen anderen Gegendemonstranten das Wasser abgrub und so der Mahnwache half, die gegen die „Verschwörungstheoretiker“ stichelnden und schreienden Studenten und Mitglieder von Jugendorganisationen hallescher Parteien loszuwerden. Auf der Mahnwache hat er seitdem seinen Einfluss und seine Präsenz schrittweise ausgebaut. Einfallsreich und smart trat er auf. Auf die technische und logistische Unterstützung sowie Tipps zur Verteidigungs- und Mobilisierungsstrategie folgten schließlich Auftritte am Mikrofon und aufrührerische Reden. In die Aktivitäten führender Mitglieder der Mahnwache in anderen deutschen Städten und in Österreich klinkte Liebich sich ein, so beim Protest gegen das Bilderberg-Treffen im Juni 2015 in Telfs-Buchen (Österreich) und gegen weltweiten Drohnen-Einsätze, die vom US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein aus koordiniert und gesteuert werden. Seine Angriffslust und Furchtlosigkeit brachten ihm Sympathien ein und wachsende Aufmerksamkeit. Mit seiner Seite halle-leaks.de , die sich namentlich im Fahrwasser der Aufklärertätigkeit von Julian Assange bewegt, sich davon jedoch deutlich unterscheidet, hat er für gemischte Gefühle gesorgt, vor allem seit seiner Aktivitäten zum Einzug von Flüchtlingen in das ehemalige Hotel „Maritim“.

Freiheit statt Zensur, aber wachsende Bauchschmerzen

Frank Geppert, der die Montagsmahnwache leitet, hat bisher die Freiheit über die Zensur gestellt, jedoch hier und da inhaltlich eingegriffen. So hat er die „Reichsbürger“ nach diversen Statements „als nicht anschlussfähig“ vom Mikrofon ferngehalten. Bei Liebich handelte er nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ und folgte dessen Erklärung, abgeschworen zu haben. Doch seine Bauchschmerzen scheinen zu wachsen.

Inzwischen wird Liebich offenbar aus den Reihen der Polizei oder deren Fürsprecher vorgeworfen, gegen den Einsatzleiter der Polizei eine Kampagne zu fahren. Richtig ist, dass sich Liebich und die Polizei zuletzt gegenseitig angingen oder mit Anzeigen überzogen. Bei den Anzeigen gegen den Einsatzleiter war Liebich jedoch nicht allein. Mehrere Teilnehmer der Mahnwache einschließlich ihres Orga-Chefs wehren sich mit juristischen Mitteln gegen die massive Beeinträchtigung ihrer Arbeit. Dabei geht es unter anderem um einen Böllerwurf mit zwei verletzten Demo-Teilnehmern, Falschaussagen gegenüber Passanten, die an der Montagsdemo teilnehmen wollten, und die gezielten Lärmattacken von „No Halgida“, welche die Ausübung der im Grundgesetz garantierten Meinungsfreiheit ad absurdum führen.

Erklärung des HFC zur „Saalefront“

http://www.hallescherfc.de/der-club/fans-und-fanszene/artikel/datum/2014/07/22/verbot-jeglicher-symbolik-der-gruppe-saalefront/

Hallescher FC e.V.: VERBOT JEGLICHER SYMBOLIK DER GRUPPE …

Der Hallesche Fußballclub reagiert auf die Vorkommnisse beim Landespokalfinale gegen den 1. FC Magdeburg am 14.05.2014 im ERDGAS Sportpark in Halle.

Weitere Informationen…

Verfassungsschutzbericht von 2002 (pdf)

http://www.inneres.sachsen-anhalt.de/min/r52/download/verfbe_02.pdf

Bericht von 2013 über Blood-and-Honour in Thüringen

http://www.tlz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Neonazi-Gruppe-Blood-Honour-weiter-in-Thueringen-aktiv-795013527

Bericht über den „rechten Aussteiger“ in der MZ

http://www.mz-web.de/halle-saalekreis/rechter-aussteiger-erzaehlt-als-halle-noch-nazi-hochburg-war,20640778,22379552.html

Wikileaks-Projekt von Julian Assange (englisch)

https://wikileaks.org/index.de.html

„Mahnwache für den Frieden“ in Halle

http://www.friedensbewegung-halle.de