Alte Reifen, der Müll und das Carbon

von 19. April 2010

Vergangene Woche hatte die Bürgerinitiative „Gesundes Trotha“ zu einer Informationsveranstaltung zur Ansiedlung der Pyrolyx GmbH eingeladen, die im Hafengebiet eine Anlage zur Herstellung von Carbon aus Gummigranulat errichten will.

„Carbon“, ja der Begriff sei falsch in der Presse rübergekommen, sagt Tobias Schnappinger, Geschäftsführer der Firma Pyrolyx, in einem kurzen Vorabgespräch mit HalleForum.de. Auch von „Carbonaten“ habe man nie gesprochen, das hätten alles die Medienvertreter durcheinander gebracht. Von „Industrieruߓ möge man aber auch nicht gerne reden, „wie klingt denn das !“. Gemeint ist „Carbon Black“, hochwertiger, standardisierter Ruß, der in der Industrie seit langer Zeit ein bedeutender Werkstoff ist. Als Füllstoff in Kunststoffen und Autoreifen, aber auch als „Pigment Black PBk7“, ein wichtiger schwarzen Farbkörper in Farben, Tuschen und Tinten. Schon seit der Antike. Und den will man aus Autoreifen wieder zurück gewinnen, nein, besser gesprochen, aus hochwertigem Gummigranulat.
Neben dem Pyrolyx-Geschäftsführer Tobias Schnappinger waren in der Grundschule „Hans Eisler“ Wilfried Klose Geschäftsführer (Stadtwerke GmbH) Dirk Lindemann (Geschäftsführer Hafen Halle GmbH) und Umweltamtsleiterin Kerstin Ruhl-Herpertz erschienen.

Zuerst wurde Herrn Schnappinger Gelegenheit gegeben, sein Projekt vorzustellen, bevor er sich den Fragen der Interessierten stellte. Dabei wies er ausdrücklich darauf hin, dass gewisse in Presse und Öffentlichkeit gestreute Zahlen und Bedenken haltlos seien. Pyrolyx nutze eine neue innovative, sehr ökonomische und ökologische Technologie. Er verwies auf namhafte Institute und Firmen wie Bayer Technologies Services und das Fraunhoferinstitut, die das in Technikumsanlagen erprobte Verfahren und die Produkte getestet haben. Einsatzstoff sei handelsübliches Gummigranulat, das eingekauft werden müsse. Es handele sich dabei keineswegs um Abfall oder Abfallgemische. Die Tatsache, dass das hochwertige Gummigranulat natürlich aus Altstoffen hergestellt wurde, umging er mit bewundernswert positiver Rhetorik. Man sei stolz darauf 20 Arbeitsplätze zu schaffen, auch die Zulieferfirmen aus der Region würden profitieren. Schnappinger beklagte in dem Zusammenhang, dass der Jugend, insbesondere
jungen Fachkräften, sonst kaum Perspektiven in der Region geboten würde, junge Menschen wanderen in Scharen ab. Die durchweg höher betagten Zuhörer schienen jedoch eher Beeinträchtigung ihres Schlafes und der Gesundheit zu fürchten. Diesen Sorgen begegnete Schnappinger mit wortreichem Verständnis. Das Genehmigungsverfahren sei rechtmäßig abgeschlossen worden und alle Richtwerte würden eingehalten.

Weniger rhetorisch geschickt, dafür aber mit sichtlich mehr Fachkenntnissen ausgestattet ist Dr.-Ing. Robin Sircar vom involvierten TIU Ingenieurbüro für Technik und Umweltschutz aus Wittenberg. Er nahm dazu umfassend Stellung und war auch im weiteren Verlauf ein gefragter Gesprächspartner. Selbst wenn man möglicherweise eine Altreifenschredderanlage hinzubauen würde, käme es zu keinen Lärmbeeinträchtigungen, führte Sircar aus, dessen Firma nach eigenen Angaben die Abfallwirtschaft als Hauptaufgabenfeld hat.
Das führte zu Irritationen, wollte man doch keine Abfallverwertungsanlage sein. Genau das stehe aber im Genehmigungsverfahren, meinte sachkundiger Einwohner Dr. Rürup aus dem Umweltausschuss. Ein anderer rechnete vor, dass die angegebene Anzahl von LKW nicht stimmen könne. Nach seinen Berechnungen würden eher 8 LKW pro Tag anrollen, statt der angegebenen 1 LKW pro Tag. Als nun doch jeder Anwesende verstanden hatte, dass das zu verarbeitende Gummigranulat nichts weiter als geschredderte Altreifen sind, wurden Fragen nach Problem- und Giftstoffen wie Schwefel oder Arsen laut. Zum Verfahren könne man aus wohl verständlichen Gründen keine Auskunft geben, meinte Schnappinger. Technologie und Konzept unterliegen dem Geschäftsgeheimnis. Man halte aber Grenzwerte ein, sonst werde die Anlage sofort geschlossen, versicherte er und lud die Anwesenden zu einem Tag der offenen Tür ein. Somit blieb bis zum Schluss offen was mit den 800 Tonnen Schwefeldioxid oder dem Arsen werden. Auf die Frage, ob er denn Chemiker sei, antwortete Schnappinger, er habe sich „mit der Materie beschäftigt.“ So beschwor er immer wieder das „Carbon“ und weder Ruß noch Schwefel trübten die Vision einer Hightechfirma im Halleschen Hafen. Und was macht ein zukunftsweisendes Unternehmen erst richtig rund? Ein Kompetenzzentrum, ebenfalls schon fest ins Auge gefasst. Dort spätestens wird man vielleicht auch wissenschaftlich genauer klären können, in welcher exakten Form der Schwefel denn nun in Pyrolyseöl und Pyrolysegas übergeht. Bis dahin ist nur soviel klar: Die unerwünschten Pyrolyseprodukte werden auf dem Weg vom schwelenden Gummi über mehrere Stufen irgendwo hängenbleiben, notfalls in den terminalen Filteranlagen. Jedenfalls im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften.

Die Leistungen zur Herstellung der Anlage seien schon in Auftrag gegeben. Und vor Ort sind für das geübte Auge Ansätze eines nachhaltigen Baubeginns zu erkennen. Ein Bauschild ist zu sehen, ein paar Erdhaufen auf denen sich erste Frühjahrsvegetation breit macht. Und drei, auf einem Schotterbett vergossene, kreisförmige Fundamente, die noch recht frisch wirken.