Kuh vom Eis, zweite Runde!

von 24. Mai 2016

Die Staatsanwaltschaft nahm den Ball gerne auf und beantragte Revision, nachdem sie sich zuvor bei der Verwertung der Indizien für grobe Rechtsverstöße in Halles Rathaus nicht besonders clever anstellte und so in ein Pokerspiel geriet, das der Gegenseite besser lag. So hatten es Wiegand und seine Anwälte relativ leicht, die paranoide Ansicht zu etablieren, der OB sei das Opfer einer Verschwörung. Hinter die Verschwörungstheorie traten am Ende die sehr wahrscheinliche Überbezahlung dreier Führungskräfte, Bestechungsversuche gegenüber Rathaus-Angestellten, die eigenwillige Praxis des Vertragsabschlusses und die strategische Verkürzung von Probezeiten ebenso zurück wie entsprechende Aussagen der Personalratschefin Simona König, die den Eindruck einer loyalen und gesetzestreuen, alles sorgfältig dokumentierenden Verwaltungsbeamtin hinterlassen hatte. Nicht zuletzt Finanzdezernent Egbert Geier, der im Zeugenstand äußert schwachbrüstig auftrat, bot der Verteidigung ein Einfallstor. Am Ende jedoch scheiterte die Staatsanwaltschaft mit ihrer Strategie, dem OB das vorsätzliche Herbeiführen eines fixierten Gesamtschadens nachzuweisen. Die aufgrund zahlreicher variabler Randbedingungen vage Rechnung hielt dem Abgleich mit der Praxis nicht stand und lieferte der Verteidigung Angriffspunkte, an dem sie systematisch arbeiten konnte. Für das Gericht war die Kuh am Ende nur noch mit einem Freispruch vom Eis zu holen, denn er verhinderte die bereits angekündigte Revision seitens der Verteidiger und ermöglichte zugleich der Staatsanwaltschaft einen neuen Anlauf. So gesehen war das Urteil des Landgerichts Halle vom Februar 2016 die aus Sicht des Rechtsstaates klügste Taktik.

Derweil sagt sich der kritische Beobachter: Wenn es „nur“ die Untreue wäre. Sicher: Halle wirkt unter dem neuen OB aufgeräumter, strukturierter und konzentrierter als zuvor. Die Haushaltseierei der Schuldenmeister ist zumindest formal beendet. Andererseits arbeitet die Rathausspitze zu oft wie ein Medienimperium und nicht wie eine rechenschaftspflichtige Verwaltung, deren primärer Aufgabe Service und nicht Agitation und Propaganda ist. Wiegands Egotrip im Stadtrat nervt inzwischen selbst Räte, die dem OB eher zugeneigt sind. Durch permanente Einsprüche versucht der OB seine Positionen durchzudrücken und spielt sich so als Dienstherr des Stadtrates auf, obgleich die Struktur genau andersherum gedacht ist. Aus dem Rathaus dringt indes aus verschiedenen Quellen, welcher enorme Druck unter Wiegands und seiner Führungsriege herrscht. Manche Beobachter sprechen von Machtergreifung und Regimentsführung. Wer meinte, die versprochene Transparenz würde – wie vom Wähler erwartet – von oben nach unten gelten, sieht sich getäuscht. In der Praxis wird das Gegenteil versucht. Nicht ohne Grund. Hinter den Kulissen nämlich scheint der gute alte Klügel etwa mit der stadtbekannten Baufirma und dem altbekannten Finanzberater munter weiter zu gedeihen. Das Theater um den Deichbau ist dazu die passende Realsatire.

Der Untreue-Prozess geht also in die zweite Runde. Nachdem bereits vom Juli 2014 bis zum Februar 2015 ergebnislos verhandelt worden ist, geht es nun von vorne los. Vor einem anderen Landgericht. Um Steuergeldverschwendung geht es, doch der Prozess selbst wuchs sich schon in der ersten Runde zur Steuergeldverschwendung aus. Doch es hilft nichts: Der am Ende völlig verkorkste Untreue-Prozess kann nur vom Nullpunkt verhandelt werden. Auch im zweiten Anlauf wird es nicht leicht sein, dem Alphatier von der Rathausspitze reinen Wein einzuschenken, wobei sich die Gesetzeshüter weiter fragen dürfen, ob der Beschuldigte nur eine Gesetzeslücke geschickt nutzte. So oder so darf man ihm gleich am Anfang den Zacken des Intrigenopfers aus der Krone brechen. Schließlich kamen Intrigen unter Amtsvorgängerin Dagmar Szabados aus einer ganz anderen Richtung. Wäre der Prozess also tatsächlich politisch motiviert, wie von der Anklagebank aus unterstellt, könnte der Untreue-Prozess die Rückrunde sein, die in Teilen des Verwaltungsapparats aufmerksam verfolgt werden dürfte. Immerhin sickerten aus den schweigenden Kulissen Kommentare durch, welche von Angst und der Erwartung sprachen, dass eine „Kugel“ schon treffen wird. Dieselben Insider erklärten, dass ein Freispruch für W. ein „Freibrief“ wäre. Wenn jetzt wieder überall von der Unschuldsvermutung die Rede ist, die vor dem Schuldbeweis zu gelten hat, dürften nicht alle mitgehen. Allein es bleibt allen Beteiligten nur die Feststellung, dass vor Gericht und auf hoher See alles in Gottes Hand liegt.