Das Menschliche im Blick

von 19. Januar 2012

„Den Blick schärfen für das, was das Menschsein ausmacht“, mit diesen Worten erklärte der stellvertretende Schulleiter des St. Elisabeth-GymnasiumsHalle, Thomas Dölle, die Einladung des Schriftstellers und einstigen DDR-Gegners Reiner Kunze. Der Autor sei ein begnadeter Beobachter des Menschen und stelle ihn – ebenso wie dasElisabeth-Gymnasium – in die Mitte seines Bemühens. Grund genug also, sich auch einmal im direkten, persönlichen Kontakt mit und von ihm anregen zu lassen.

Und offenbar hat die Schule mit diesem Geschenk an sich selbst auch den Nerv etlicher Hallenser getroffen: Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Lesung war die Aula es Gymnasiums gut gefüllt, so dass nicht alle der rund 300 Gäste einen Sitzplatz bekamen. Doch das Hören und Sehen Reiner Kunzes ließ das Stehen bald vergessen. Mit Gedichten und Tagebucheintragungen zog er die Hörer in seinen Bann und immer wieder erklang aus dem Auditorium der Wunsch „noch einmal, bitte“, worauf Kunze den einen oder anderen Text gerne wiederholt vorlas.

Im anschließenden Gespräch, von MZ-Literaturexperte Christian Eger immer wieder gekonnt angeregt, erzählte Kunze aus seinem Leben. Über seinen Wandel vom frühzeitigen SED-Mitglied zum DDR-Gegner und von seiner existentiellen Not, nachdem er bei den DDR-Oberen in Ungnade gefallen war. Launig schilderte er das Kennenlernen seiner Frau, deutlich Verfolgung und Unterdrückung durch die Staatssicherheit der DDR. „Meine glücklichsten Jahre“, bekannte Reiner Kunze, „habe ich nach der Zwangsausreise in die Bundesrepublik erlebt“. Aber auch dort stieß er über viele Jahre hinweg auf Widerstand und Unverständnis vieler Intellektueller, nachdem er sich kritisch zu den Verhältnissen in der DDR geäußert hatte.

Lyrik und Prosa von Reiner Kunze, der heute 78 Jahre alt ist, erschien im europäischen und außereuropäischen Ausland, unter anderem in Argentinien, Brasilien, Japan, Korea und den USA. Seine Werke wurden mittlerweile in 30 Sprachen übersetzt.