Mehr Rechts- und weniger Linksextremisten in Sachsen-Anhalt

von 13. Juli 2011

Die Zahl rechtsextremer Personen in Sachsen-Anhalt ist im vergangenen Jahr leicht gestiegen. Das geht aus dem Jahresbericht des Verfassungsschutzes hervor, den Innenminister Holger Stahlknecht am Mittwoch vorstellte. Demnach gab es 1.390 Rechtsextremisten (+10), darunter 800 gewaltbereite. Der Neonaziszene gehören in Sachsen-Anhalt etwa 240 Rechtsextremisten (Vorjahr: 230) an. Ihr sind auch die etwa 50 Mitglieder der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) zuzurechnen. 250 Personen (+20) waren im Landesverband Sachsen-Anhalt der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) organisiert. Diese leichte Erhöhung resultiert letztlich aus der im Berichtsjahr begonnenen, umfangreichen NPD-Werbekampagne für deren Antritt zur Landtagswahl 2011 in Sachsen-Anhalt, so Stahlknecht. Er vermutet, dass nach dem verpassten Landtagseinzug der NPD deren Bedeutung wieder zurückgehen wird.

Im Jahr 2010 wurden im Land Sachsen-Anhalt 1.176 politisch motivierte rechte Straftaten gezählt, das sind knapp 26 Prozent weniger als im Vorjahr (1.584). Bei etwa 76 Prozent der Straftaten handelt es sich um so genannte Propagandadelikte, also um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach Paragraph 86a Strafgesetzbuch (StGB). Die Zahl der politisch motivierten rechten Gewalttaten ging von 83 auf 80 leicht zurück. Im Berichtsjahr gab es deutlich weniger rechtsextremistische Musikveranstaltungen als im Vorjahr. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wurden in Sachsen-Anhalt 2010 sieben Konzerte (2009: 16) durchgeführt. Es handelt sich um die geringste Anzahl durchgeführter Konzerte seit dem Höchststand im Jahr 2003 (23). Mit acht (2009: neun) Liederabenden blieb deren Anzahl nahezu konstant. Ein leichter Anstieg ist im Bereich sonstiger rechtsextremistischer Veranstaltungen mit Musikdarbietungen festzustellen. Hiervon gab es 2010 insgesamt fünf (2009: drei).

In Sachsen-Anhalt boten im Berichtszeitraum acht (Vorjahr: sechs) Online-Vertriebe ihre rechtsextremistischen Szeneutensilien zum Kauf an.[5] Vier Internetseiten werden von ein und demselben Händler betrieben. Einem der genannten Vertriebe ist ein Szeneladen angeschlossen, der als beliebter Treffort von Rechtsextremisten gilt. Rechtsextremisten nutzten erneut allgemeine Gedenktage wie den 1. Mai, den 8. Mai, den 17. Juni und den Volkstrauertag sowie die Jahrestage von Bombardements deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, um diese im Sinne ihrer Propaganda umzudeuten und entsprechende Veranstaltungen durchzuführen. Sie entfalteten darüber hinaus wie in den Vorjahren Aktivitäten zu Geburts- und Todestagen von Nationalsozialisten.

Linksextremismus
Zudem gab es 480 Linksextremisten im Land, 30 weniger als im Jahr 2009. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt registrierte für das Berichtsjahr 262 politisch motivierte linksextreme Straftaten. Dies bedeutet gegenüber dem Vorjahr (336 Delikte) eine Abnahme um 22 Prozent. Im selben Zeitraum ging der Anteil der entsprechend politisch motivierten Gewalttaten um sieben Prozent zurück (2010: 55 Delikte, 2009: 59 Delikte).

Schwerpunktregion der etwa 220 Personen umfassenden Autonomenszene in Sachsen-Anhalt ist nach wie vor die Landeshauptstadt Magdeburg. Hauptaktionsfeld autonomer Zusammenschlüsse blieb auch im Berichtszeitraum der so genannte Antifaschismus. Eine wichtige Rolle spielen aber auch der Widerstand gegen den vermeintlich repressiven Staat und die vermeintliche Militarisierung der Gesellschaft. Als Ziele körperlicher Gewalt stehen vor allem Rechtsextremisten im Fokus. Gleichzeitig sank die Hemmschwelle für gewalttätige Angriffe auf Polizisten, die Autonomen als Vertreter des „Repressionsapparates“ gelten.

Im Bereich der linksextremistischen Parteien und sonstigen Gruppierungen waren in Sachsen-Anhalt im Berichtszeitraum die „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD), die „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP), die „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD/Ost) und die „Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten“ (KPD/ML) mit eigenen Strukturen aktiv. Sie alle setzen weiter auf traditionelle Konzepte eines langfristig betriebenen Klassenkampfes. Ihre Vertreter versuchen nach wie vor, sich in gesellschaftliche Protestkampagnen einzubringen.

Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern
Im Rahmen der Beobachtung sicherheitsgefährdender und extremistischer Bestrebungen von Ausländern kommt dem Komplex der Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terrorismus besondere Bedeutung zu. Die Bundesrepublik Deutschland ist als Teil des weltweiten Gefahrenraumes anzusehen und liegt im unmittelbaren Zielspektrum terroristischer Gruppierungen. In Sachsen-Anhalt wurden keine festgefügten Strukturen islamistischer Organisationen bekannt. Jedoch gab es zunehmend Hinweise auf Personen, die in Sachsen-Anhalt wohnen, aber islamistischen Gruppierungen in anderen Bundesländern zuzurechnen sind. Von den nichtislamistischen Organisationen, die sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen entfalten, war im Berichtsjahr in Sachsen-Anhalt lediglich die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) mit eigenen Organisationsstrukturen aktiv.

Reaktionen
Ziel müsse es sein, Extremisten wieder in den Kreis der Gesellschaft zu holen. Jeder solle seine zweite Chance erhalten, so Innenminister Stahlknecht. Er wiederholte noch einmal seine Forderung, dass Bewerber um einen Bürgermeisterposten nichts aus dem extremistischen Bereich kommen darf. Wer offensichtlich nicht hinter dem Grundgesetz stehe, dürfe nicht zur Wahl zugelassen werden.

Die innenpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Gudrun Tiedge, verwies unter anderem darauf, dass im vergangenen Jahr 2,84 rechtsextreme Gewalttaten je 100.000 Einwohner verübt worden seien. Damit liege das Land an der negativen Spitze im ganz Deutschland. “Eine traurige, aber vor allem besorgniserregende Bilanz für die Demokratie in unserem Bundesland”, so Tiedge. Die eigentliche Gefahr sei Braun, so die Politikerin, und gehe von rechts aus, “sie ist gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet, bedrängt immens die Menschenwürde und die Menschenrechte. So stieg die Anzahl rechtsextremistischer Gewalttaten in Sachsen-Anhalt im Jahr 2010 von 60 auf 67 Delikte an.” Die Linke spricht sich für den Ausbau von Bundesprogrammen für Demokratieförderung aus. Diese müssten erhalten und erweitert, nicht gestrichen und gekürzt werden, “um die Arbeit von Vereinen und Initiativen gegen Rechtsextremismus auf eine verlässliche finanzielle Grundlage zu stellen.” Daneben sagte Tiedge dürften die Akteure nicht an das Gängelband einer Extremismusklausel gefesselt werden, “sie gehört endlich abgeschafft. Auch ein so genannter Radikalenerlass, wie vom Innenminister vorgeschlagen, ist der falsche Weg und führt unweigerlich in eine Sackgasse.” Man werde sich als Linke weiterhin konsequent für ein Verbot der NPD einsetzen.

"Neonazis bedrohen in unserem Bundesland weiter die Demokratie”, sagte Sebastian Striegel, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt. Die Landesregierung tue weiterhin zu wenig gegen die neonazistische Bedrohung. Die Grünen sprechen sich gegen die Kürzung von Bundes- und Landesprogrammen gegen Rechts aus. “Wir streben ein Landesprogramm an, dass mehr Aktivitäten zur Demokratieförderung entfaltet und die bestehenden Projekte und Ansätze verstärkt”, so Striegel. Mit Blick auf rechtsextreme Musikveranstaltungen ergänzte Striegel: "Dass im Berichtsjahr 2010 die Zahl der Neonazi-Konzerte auf sieben nach unten gegangen ist, hat verschiedene Gründe. Die bislang sehr restriktive Haltung der sachsen-anhaltischen Sicherheitsbehörden hat hieran einen Anteil.” Wie auch die Linken sprach sich Striegel gegen einen Radikalenerlass aus. “Das Ausschöpfen der bestehenden gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen ist notwendig und hinreichend.”

“Der Rückgang bei den politisch motivierten Straftaten ist erfreulich”, erklärte Rüdiger Erben, innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. „Ein Grund zur Entwarnung ist das allerdings nicht.” Extremisten in Sachsen-Anhalt seien nahezu unverändert aktiv. “Wir dürfen daher in unseren Bemühungen im Kampf gegen die Feinde des demokratischen Rechtsstaates nicht nachlassen.” Erben verwies darauf, dass die rechtsextreme Szene verstärkt das Internet nutze. Wie Erben sagte, werde sich die SPD-Landtagsfraktion weiterhin vehement für einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD durch den Bundesrat einsetzen. “Die Erkenntnisse aus dem Verfassungsschutzbericht 2010 geben erneut Anlass dazu.“