Oberbürgermeister Dr. Bernd Wiegand zu den Äußerungen der Landes-Gesundheitsministerin

von 22. Februar 2021

Die zentrale Frage dabei ist: Ist die Impfverordnung mit der festgelegten Prioritäten- Reihenfolge bei der Verwendung der Impfstoffreste vor Ort stets umsetzbar?

Wir haben uns im Katastrophenschutz-Stab frühzeitig – vor Weihnachten – Expertenrat zu Fragen der Priorisierung geholt. Dabei wurde deutlich, dass neben den notwendigen Priorisierungen auch Fragen der Effektivität und Praktikabilität eine Rolle spielen. Genau dieser Aspekt kommt oft zum Tragen, wenn am Ende eines Impftages für die letzten übrig gebliebenen Spritzen die Zeit drängt und niemand mehr in der höchsten Priorität gefunden werden kann. In der Praxis ist es für die Impfteams unmittelbar vor Ende der Haltbarkeit der Spritze eben nicht so einfach, Menschen über 80 oder 90 Jahre zu bewegen, kurzfristig in ein Impfzentrum, in ein Krankenhaus oder an einen anderen Ort zu kommen. Diese Herausforderung stellt sich zunehmend weniger, weil mittlerweile viele Telefonnummern von Personen höchster Priorität vorliegen.

Wenn man nun von den vielen Fällen bundesweit hört, scheint diese Debatte dringend notwendig zu sein. Daran schließt sich selbstverständlich die Frage an, ob es Politiker bzw. Entscheidungsträger sein sollten, die für die letzte übrig gebliebene Spritze angerufen werden.

Diese Frage ist berechtigt. Wir haben sie diskutiert und sind der Meinung, dass es sachgerecht und mit der Corona-Impfverordnung vereinbar ist, dass Personen, die für die Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen eine Schlüsselstellungeinnehmen, ein Impfangebot erhalten, wenn es um die letzten übrig gebliebenen Spritzen geht und das jeweilige Impfteam niemand anderen mehr in der höchsten Priorität erreicht. Katastrophenschutz-Stab und Stadtrat müssen in der Pandemie funktionsfähig bleiben. In der Stadt Halle (Saale) erhielten insgesamt 29 Kat-Stab- Mitglieder und Stadträte ein solches Angebot.

Die Gesundheitsministerin des Landes Sachsen-Anhalt sieht hier nun plötzlich den „Verdacht erhärtet“, dass Dienstvergehen begangen und gegen die Impfverordnung verstoßen wurde. Ihre Äußerungen sind rechtsirrig. Denn sowohl die alte als auch die neue Corona-Impfverordnung sehen Ausnahmen im „atypischen Fall“ vor. Während in der alten Corona-Impfverordnung – bis 7. Februar 2021 – für die Impf-Reihenfolge eine „soll“-Bestimmung galt, heißt es in der neuen Verordnung jetzt ausdrücklich im § 1 Abs. 2 S. 3 CoronaImpfV: „Von der Reihenfolge nach Satz 1 kann in Einzelfällen abgewichen werden, wenn dies für eine effiziente Organisation der Schutzimpfungen, insbesondere bei einem Wechsel von einer der in Satz 1 genannten Gruppen zur nächsten, und zur kurzfristigen Vermeidung des Verwurfs von Impfstoffen notwendig ist.“

Die Impfärzte haben sich im Rahmen dieser Impfverordnung bewegt. Und das auch bei den erwähnten 585 Ad-hoc-Impfungen, die – entgegen der Darstellung der Gesundheitsministerin – bei Personen der höchsten Priorität erfolgten.

Wider besseres Wissen hat die Gesundheitsministerin Sachsen-Anhalts bis heute den Umgang mit Impfstoffresten nicht geregelt. Sie überlässt dies seit Beginn der Impfungen den Kommunen, um diese nun dienstrechtlich zu belangen. Zwei Monate lang wurden in den Impfteams auf der Grundlage der Impfverordnung Entscheidungen getroffen, um den Verwurf des nach wie vor knappen Impfstoffes zu vermeiden. Denn der Bundesgesundheitsminister hat uneingeschränkt recht, wenn er sagt: „Alles ist besser als wegwerfen.“ Unser Vorgehen jetzt für rechtswidrig zu erklären und öffentlich anzuprangern ist schlicht ein Wegducken, indem die Verantwortung auf andere geschoben wird. Dies wird auch deutlich angesichts vergleichbarer Fälle im Land. Die Corona-Schutzimpfungen sollten nicht als Thema des Landtagswahlkampfes instrumentalisiert werden.

Zudem weise ich die Vorwürfe des Landesverwaltungsamtes im Hinblick einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung wegen Verstoßes gegen die Corona- Impfverordnung entschieden zurück. Das gilt sowohl für die Ärzte in den Impfteams als auch für die Beamten im Katastrophenschutz-Stab.

Die Vorgänge im Impfzentrum und in den mobilen Impfteams sind in den Antworten zu den Anfragen der Stadtratsfraktionen dargestellt und auch auf der Internetseite der Stadt Halle abrufbar.

Mit den Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts zum Umgang mit Impfstoffresten innerhalb der Stadtverwaltung beauftragt der Beigeordnete Herr René Rebenstorf Herrn Matthias Thielicke-Bendix.