Wie Social Media die Bürgergesellschaft verändern kann

von 26. April 2012

Facebook ist derzeit in aller Munde. Für die Revolution im Nahen Osten, den Arabischen Frühling, wird dem sozialen Netzwerk eine wichtige Rolle zugeschrieben. Um die sozialen Medien ging es am Donnerstagabend auch im Stadtarchiv in Halle (Saale) bei der Podiumsdiskussion zum Thema “Internet und digitale Bürgergesellschaft – neue Chancen zur Beteiligung?” Wie Karen Leonhard von der Freiwilligenagentur in ihrem Eingangsstatement sagte, wolle man in der folgenden Diskussion Themen behandeln, was Social Media und Internet zur Unterstützung von Bürgerbeteiligung beitragen können und welche Herausforderungen bestehen. Möglicherweise können die sozialen Medien auch Organisationsform eines Vereins demokratisch ändern. Die Diskussion des Abends soll erst einmal nur der Anfang sein. Am 18. Juni wird es einen Praxisworkshop für Vereine geben, so Karen Leonhard. Im Kern der Diskussion stand eine Studie des Centrums für Corporate Citizenship Deutschland e.V. “Internet und digitale Bürgergesellschaft”, die im vergangenen Jahr erstellt wurde und von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert wurde. Nun wolle man in ganz Deutschland mit interessierten Akteuren der Bürgerwelt ins Gespräch kommen, sagte Serge Embacher, einer der Autoren. Eine der Ausgangsüberlegungen sei, dass es strukturelle Analogien zwischen der Bürgergesellschaft und Social Media gebe. Dazu zählen Selbstorganisation, Teilhabe, Eigenverantwortung, Partizipation. “Das scheint alles auch perfekt in die Welt des Social Media zu passen.” Bemerkt habe man, so Embacher, dass es einen Trend weg vom klassischen Ehrenamt hin zum projektförmigen Engagement gebe. Auch stehe die Nutzerorientierung mehr und mehr im Mittelpunkt. Früher hätten sich Ehrenamtler für die gute Sache engagiert, heute seien die Gründe viel bunter, oft stehe auch die Frage im Raum, was man selbst von diesem Engagement hat. Allerdings wurde in der Studie auch festgestellt, dass in der klassischen Bürgergesellschaft Social Media nur sporadisch genutzt wird. Viele Vereine verstehen laut Embacher Internet als Mittel zur Informationsbeschaffen, es gehe bei ihnen noch weniger um Beteiligung und Kommunikation. “Das Potential von Social Media wurde von den klassischen Organisationen noch nicht erkannt.” Zu den Details der Studie, zu der 22 Experten befragt wurden, äußerte sich Mitautorin Alexandra Härtel. Das Besondere an den sozialen Medien sei, dass jeder Empfänger auch zum Sender werden kann. Es gebe eine “one to many”-Kommunikation mehr, sondern “many to many”. Möglichkeiten für engagierte Bürger gebe es einige, wie die Vernetzung, Entdeckung neuer Handlungsspielräume, Kommunikation. Daneben werden Wissen und Erfahrungen zusammengetragen, die eigene Meinung kann eingebracht werden. Auch eigene Aktivitäten lassen sich starten,, wie beispielsweise über Greenaction. Daneben bieten die sozialen Netze für Bürger die Möglichkeit, Online auf Missstände aufmerksam zu machen und Peitionen zu unterzeichnen, sich dadurch aktiv in laufende politische Prozesse einzubringen. Auch Geldspenden und Fundraising seien mittlerweile wichtiger Bestandteil der sozialen Netzwerke. “Die Sozialen Netzwerke eröffnen neue Handlungsspielräume, neue Kommunikationsarten, neue Möglichkeiten wirkungsvollen Engagements”, so Alexandra Härtel.  Gerade für größere zivilgesellschaftliche Organisationen biete Social Media etliche Vorteile. So lassen sich einfacher eigene Netzwerke pflegen und erweitern. Daneben können Dialog, Offenheit und Transparenz das Vertrauen in Organisation fördern. Beispielhaft nannte Härtel das Projekt greenaction.de von Greenpeace, mit dessen Hilfe jeder eigene Kampagnen im Bereich Umwelt starten kann. Greenpeace betreibe das Projekt weil man festgestellt habe, dass Menschen sich immer weniger an große Organisationen binden wollen. Nun biete man die Infrastruktur zur Selbstorganisation.  Doch auf die Organisationskultur hat Social Media Auswirkungen. So findet die Interaktiv nicht hierarchisch statt. “Damit tun sich zivilgesellschaftliche Organisationen noch schwer”, so Härtel. Diese müssen ihre Organisationskultur anpassen. Mitgestaltung soll Teil davon werden.  Ein Beispiel für eine solche zivilgesellschaftliche Organisation ist die Bürgerstiftung Halle, die 2004 von 75 engagierten Hallensern gegründet wurde und heute mehr als 300 Stifter hat. Das Kapital wuchs in dieser Zeit von 39.000 auf mehr als 230.000 Euro, erläuterte Geschäftsführerin Ulrike Rühlmann. Projekte im Bereich Bildung für Kinder werden damit zum Beispiel finanziert. Doch wie geht man mit den sozialen Medien um? “Wir sind noch beim Suchen”, so Ulrike Rühlmann. Seit einem Jahr sei man bei Facebook, auch wenn es zunächst einige interne Diskussionen wegen der Datensammelwut gab. Entschieden habe man sich letztendlich doch dafür, weil es ein weit und breit genutzter Kommunikationskanal sei und erstmal die Möglichkeit zu schnellen und direkten Reaktionen auf Projekte der Bürgerstiftung biete. Gern würde man noch viel mehr über soziale Medien machen, doch Zeit und Ressourcen fehlen.  Ganz anders geht Radio Corax mit dem Thema um, wie Mark Westhusen erläuterte. Man habe keinen eigenen Facebook-Account, auch wegen der Art Profiling die bei Facebook laufe. Stattdessen nutze man zum Beispiel Twitter, eigene Wikis, Blogs … Social Media seit etwas, was man bei Corax, dessen Trägerverein 1993 gegründet wurde, ohnehin schon praktiziere. “Wir arbeiten bei uns bis heute basisdemokratisch.”  Möglicherweise könnten dadurch ja auch Leute kommen, die andere Ziele haben, halte Serge Embacher ein. Westhusen verwies auf das Redaktionsstatut. “Faschisten, Rassisten und Sexisten haben bei uns nichts zu suchen.” Bei Corax sei ein wichtiger Ansatz Leute zu Wort kommen zu lassen, die in den etablierten Medien keine Plattform haben.  Das Nichtkommerzielle Lokalradio Corax ist seit dem Jahr 2000 auf Sendung. Derzeit arbeiten dort 5 Halbtagsleute, daneben gebe es vier Arbeitsfördermaßnahmen und Helfer über FSJ und Bundesfreiwilligendienst, außerdem viele Ehrenamtliche. Finanziert wird der Sender aus kleinem Teil der GEZ-Gebühren. Hinzu kommen Spenden, ein Förderkreis und die Mitgliedsbeiträge. Das Equipment hat die Medienanstalt finanziert.  Seit 1999 aktiv im bürgerschaftlichen Sektor in Halle ist die Freiwilligenagentur. Dort informiert man engagementorientierte Bürger über Einsatzmöglichkeiten, sagte Karen Leonhard. Man vermittele in Engagementfelder, beraten Organisatione, die mit Ehrenamtichen zusammenarbeiten wollen. Es gebe auch kostenfreie Fortbildungen, man Hele außerdem bei der Projektentwicklung. “Wird sind eher ein Spezialist fürs Allgemeine beim bürgerschaftlichen Engagement”, so Leonhard. Man versuche Freiwillige und Engagierte zu unterstützen. Die Idee sei aufgrund von Studien der 90er entstanden. Demnach würden sich 30 Prozent der Bevölkerung gern engagieren, wenn sie denn wüssten wo.  Mau sieht es bei der Freiwilligenagentur noch mit den soziale Medien aus. Das liege vielleicht auch etwas an der Altersstruktur der Organisation, gab Leonhard zu. Man nutze das Internet bislang nicht strategisch, es gebe noch einige Vorbehalte. Viele Helfer in der Freiwilligenagentur hätten auch Berühungsängste. “Warum soll man die Zeit mit was Neuem vergeuden, was man in direkter Kommunikation besser machen könnte”, sei der Tenor, meinte Karen Leonhard. Immerhin, bei Facebook ist die Freiwilligenagentur. Diesen Schritt sei man gegangen weil man gemerkt habe, dass bestimmte Gruppe wie die der 14 bis 19jährigen sonst nicht erreicht werden. Derzeit schaue man interessiert zur Freiwilligenagentur Magdeburg, die bereits ein Projekt für Engagierte im Internet gestartet haben.  Facebook ist auch beim DRK ein Thema, wie Steffen Busch erläuterte. So versuche man Bildungsseminargruppen über Facebook zu organisieren. “Da sammeln wir gerade erste Erfahrungen. Allerdings sei er erschrocken über den Umgang vieler Menschen mit sozialen Medien, vor allem über deren Postings. “Da ist noch ein großes Stück Bildungsarbeit nötig. Wir müssen da Medienerzieherisch tätig werden.” Dem schloss sich sein Kollege Herr Fromm an. “Alles was man über Facebook schreibt, sollte man auch über den Marktplatz von Halle schreien können.” Er berichtete, dass man die eigene Organisationssturktur im Facebook fortgesetzt habe. Eine reine und freie Selbstorganisation sei nicht gegeben und auch nicht gewollt. Man biete den Teilnehmern eine Basis und Plattform, wo der Austausch über besondere Form bürgerschaftlichen Engagements stattfinden kann.  Ulrike Rühlmann sieht in den sozialen Medien auch eine Herausforderung. Als Beispiel nannte sie Diskussionen in Foren. Ihr sei nicht ganz klar wie man die Offenheit bewahren und die Diskussion gleichzeitig auf einer konstruktiven Art belassen kann. Oft würden sich in Foren Meinungsführer zu Wort melden, darunter leide dann das Niveau. Ein Problem, dass Serge Embacher kennt und auch schon bei anderen Diskussionen zu hören bekam. Eine Möglichkeit sei eine neutrale Moderation. Auf der anderen Seite stehe dann aber die Frage, ob das nicht auch schon eine Art Meinungseinschränkung ist. Allerdings gab er zu bedenken, dass es solche “Störer” auch immer wieder bei Podiumsdiskussionen gebe. Da melden sich Menschen zu Wort, die die ganze Diskussion totquatschen. Ins Gespräch brachte Embacher auch das Thema “Pseudoengagement”, also den Like-Button gegen die Abholzung des Regenwalds drücken. Das diene aber nur der Gewissensberuhigung. “Slagtivism” ist der Fachbegriff. “Es gibt Menschen, die online einen Klick machen und das schon als bürgerschaftliches Engagement ansehen”, sagte Alexandra Härtel. Mark Westhusen gab zu Bedenken, dass es sowas auch außerhalb des Internets gibt. “Nicht jeder der sich an einer Unterschriftenaktion beteiligt engagiert sich danach auch politisch”, sagte er. Auch wenn die Politik in der Studie nicht explizit untersucht wurde, gibt es doch Parallelen. Stadträtin Ute Haupt (Linke), selbst noch nicht bei sozialen Netzwerken angemeldet, sieht in den neuen Medien einen wichtigen Ansatz für mehr Bürgerbeteiligung. Sie berichtete von der Forderung nach einem Bürgerhaushalt, den die Verwaltung bislang noch nicht umgesetzt habe. Doch auch außerhalb des Internets müsse mehr für die Bürgerbeteiligung getan werden, zum Beispiel durch Stadtteilparlamente.  Wenig mit Facebook & Co hatte bislang auch der 52jährige Hans Joachim Music. Doch für seine Spendenaktion “Händelstadt Halle hilft” hat er sich mit Hilfe seiner Tochter doch einen Facebook-Account zugelegt. Toll sei dabei gewesen, dass er Stadträte darüber für eine Teilnahme an der Spendenaktion bewegen konnte. Sorgen macht ihm aber die Datensammelwut.  Danach kam noch einmal der Schlenker in Richtung Politik, zur Piratenpartei. Mehrere Mitglieder waren anwesend, darunter auch der Landesvorsitzende Henning Lübbers. Er ging zunächst darauf ein, dass die Möglichkeiten des Social Media durch die klassischen Strukturen der Vereine nicht vollständig ausgeschöpft werde. Wer die Potentiale komplett nutzen wolle, müsse seine Verbandsstrukturen anpassen, das gelte auch für Parteien. Kurz ging er auf die Diskussion um das Niveau in Online-Diskussionen ein. Hier gebe es noch einen Entwicklungsprozess. Das sei wie damals bei der Einführung des Privatfernsehens, als erstmal viel nackte Haut im Mittelpunkt stand.  Mark Westhusen sagte man sei an einem Punkt, an dem sich die Gesellschaft noch einmal komplett ändern werde. Wahlen würden von vielen nicht mehr wahrgenommen als eine Möglichkeit etwas zu ändern. Bei den Piraten finde er Partizipation toll.  Serge Embacher konnte Henning Lübbers beipflichten. “Wenn ich die Möglichkeiten voll ausschöpfen will, kann ich nicht in klassischen Hierarchiestrukturen weitermachen”, sagte er. Das gelte auch für Parteien. In deren Vorständen herrsche noch das klassische Denken, den Diskurs eng zu führen, weil ein bestimmte Botschaft rüberkommen muss. In einigen Jahren werde sich Social Media in der Gesellschaft etabliert haben, meinte er. So sei es auch bei anderen Entwicklungen gewesen. Als die ersten Romane aufkamen hätte es Meinungen gegeben, die Frauen wegen ihres Gemüts doch davon fernzuhalten. Skepsis habe es auch bei der Einführung von Fernsehen und Telefon gegeben.