Wille zum Sieg ist ungebrochen

von 7. Januar 2016

Ihre Gesichter sind betreten, aber ihre Herzen heiß, auf der Pressekonferenz im Indienzimmer des Historischen Waisenhauses.

Rücknahme des Erstantrags ermöglicht zweiten Anlauf

Grund des Auftritts vor Journalisten ist die seit November 2015 offene Frage, wie die Stiftungen umgehen wollen mit der Ablehnung durch den Weltdenkmalrat ICOMOS. Das Kuratorium der Franckeschen Stiftungen hat gerade beraten. Ergebnis: Der Antrag wird zurückgezogen, um der totalen Niederlage beim Endausscheid im Sommer in Istanbul (Türkei) und einer damit verbundenen Sperre für weitere Bewerbungen zu entgehen. In Rücksprache mit dem Kultusministerium und dem Auswärtigen Amt hat man die Bewerbung zurückgenommen, verkündet Obst. Damit bleibe der Weg auf die Welterbeliste weiter offen. Seit 2012 wurde der Antrag konkret erarbeitet, erklärt Müller-Bahlke. Er dankt allen, beim Bewerbungsmarathon mitgewirkt haben, nicht zuletzt dem Land für die „Expertise“ und die finanzielle Unterstützung. Das Kuratorium sei seinem Vorschlag gefolgt. „So konnte Schaden von den Stiftungen abgehalten werden.“ Welcher Schaden? Im Falle einer Ablehnung durch die UNESCO wäre ein neuer Antrag nicht mehr möglich. Es gebe zwar Beispiele, wo das Welterbe-Komitee der UNESCO von der Einschätzung des Weltdenkmalrates abwich, aber das sei selten. Das Ziel, auf den renommierten Titel zu kommen, bestehe weiter. Für einen zweiten Anlauf wolle man aber Ruhe und Zeit.

„Die Argumente sind für uns nicht akzeptabel“

Es geht in dem nicht nur fachlichen, sondern zudem politischen Entscheidungsprozess auch um Strategie und Taktik. Auf der Grundlage des ICOMOS-Urteils ist im Moment keine fachliche Diskussion möglich, meint Müller-Bahlke. „Die Argumente sind für uns nicht akzeptabel.“ Sie seien einfach zu pauschal und zeugten von einem hohen Maß an Unkenntnis. Angesichts der Frage nach den Hintergründen des Negativvotums von ICOMOS verweist Dorgerloh auf zwei laufenden Diskussionen bei der UNESCO: Erstens ist angesichts der bereits großen Zahl an Welterbestätten der Status des Titels gefährdet. Zweitens befinden sich viele UNESCO-Welterbestätten in Deutschland, Frankreich und Europa, weswegen bei der Titelvergabe in diese Regionen nun Zurückhaltung besteht.

Sehen sich die Stiftungen nun in der Opferrolle?, will ein Journalist wissen. „Die Opferrolle liegt uns nicht“, so Müller-Bahlke. Jetzt gehe es an die Fehleranalyse, ehe der neue Anlauf in Ruhe vorbereitet werde. Trotzdem die Bewerber nach dem positiven Votum von ICOMOS Deutschland von der vernichtenden Kritik durch ICOMOS international überrumpelt wurden, wollen sie im Kern bei ihrem Bewerbungsthema bleiben. „Wir haben von Anfang an auf die Qualität unserer Argumente gesetzt“, sagt der Stiftungsdirektor und verweist dabei auch auf das Urteil internationaler Wissenschaftskollegen. Die Stiftungen haben durch das ganze Bewerbungsverfahren viel gewonnen, sieht Obst das halbvolle Glas, auch wenn in seinem Gesicht gut lesbar das Wort „Enttäuschung“ geschrieben steht. Es gebe neue wissenschaftliche Erkenntnisse, vor allem in der Baugeschichte. Durch die Kampagnen „Wer, wenn nicht wir“ und „tief verwurzelt – hoch hinaus“ wurde eine breite Öffentlichkeit erreicht. Der Bekanntheitsgrad der Stiftungen ist gestiegen.

Dissens über internationale Bedeutung der Stiftungen

Seit 1998 standen die Stiftungen auf der Welterbe-Bewerberliste. Nun ist ihnen, möglicherweise, der hintere Platz in der Warteschlange zum Verhängnis geworden. Zunächst sah alles ganz gut aus. ICOMOS nahm den Antrag im Februar 2015 an und kam im September nach Halle. Ende November 2015 dann kam es zu einem Treffen in Paris (Frankreich). Dort teilte der Weltdenkmalrat der deutschen Delegation, bestehend aus Vertretern der Franckeschen Stiftungen, die Ablehnung mit. Dabei rieben sich die Räte nicht an der von einer Bürgerinitiative in Halle immer wieder thematisierten Hochstraße, sondern an der fehlenden Exklusivität des Stiftungsensembles selbst und dem im Weltmaßstab zu geringem Wirken der Bildungseinrichtung. Ein herber Schlag für die Bewerber aus Halle, die in Erinnerung an die Dänisch-Hallesche Mission in Tranquebar (Indien) sowohl mit dem Dänischen Königshaus, als auch mit den Indern Kontakt aufnahmen, gegenseitige Treffen organisierten und in den wissenschaftlichen Diskurs gingen.

Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegend wollte sich dem vernichtenden Urteil nicht beugen und weiter kämpfen. In der letzten Stadtratssitzung 2015 hatte er zu dem Thema eine Aktuelle Stunde beantragt. Am Donnerstag blieb er der Pressekonferenz fern, obwohl er Kuratoriumsmitglied ist. Seine Stimme war nicht maßgeblich.

Hintergrund zum Rat für Denkmalpflege (ICOMOS)

1965 wurde der Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) in Warschau und das deutsche Nationalkomitee in Mainz gegründet. 1978 kam der Dom zu Aachen als erster deutscher Ort auf die UNESCO-Welterbeliste. Die Luthergedenkstätten können im Jahr 2016 feiern, seit 20 Jahren auf der Liste zu stehen. Derweil befasst sich der Denkmalpflegerat nicht nur mit den Bewerbern, sondern schaltet sich auch aktiv in die Denkmalschutz-Diskussion ein. So meldete sich ICOMOS im März 2015 in einem Offenen Brief zum geplanten Umbau der Hauptpost in Leipzig, „eines Schlüsselbaus der Moderne in der DDR von 1961 bis 1964“, zu Wort. Im September 2015 nutzten die Denkmalfachleute den Tag des offenen Denkmals für die Forderung, das Internationale Congress Centrum in Berlin (ufo-artiger Bau neben Funkturm und Messe-Gelände in Westberlin) „aufgrund seiner international anerkannten architektonischen Qualität unter Denkmalschutz zu stellen“.

Als Welterbestätten in Sachsen-Anhalt anerkannt sind das Gartenreich Dessau-Wörlitz, die Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg, Stiftskirche, Schloss und Altstadt von Quedlinburg sowie das Bauhaus in Dessau. Auf die UNESCO-Liste „Memory of the World”, die besonders schutzwürdige Menschheitsgüter auf dem Gebiet von Information und Kommunikation erfasst, hat es indes auch die Händelstadt Halle schon geschafft. Im Jahr 2013 bekam die Himmelsscheibe von Nebra, die im Landesmuseum für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt in Halle aufbewahrt wird, den Welterinnerungstitel.

Informationen der Franckeschen Stiftungen zum Welterbeantrag

http://www.francke-halle.de/welterbeantrag.html

Auf dem Weg zum UNESCO-Welterbe | Franckesche Stiftungen

www.francke-halle.de

Auf dem Weg zum UNESCO-Welterbe | Franckesche Stiftungen

die UNESCO-Welterbestätten auf einen Klick

http://www.unesco-welterbe.de/de/unesco-welterbestaetten

der Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) im Internet

http://www.icomos.de/

deutsche Welterbeliste

http://www.icomos.de/deutsches-welterbe.php