Quo vadis, Thalia Theater?

von 9. Januar 2011

Am 8. Oktober 2010 beschloss der Aufsichtsrat der Theater, Oper und Orchester GmbH (TOO) die Schließung der Sparte Thalia Theater. Die GmbH, mit der gerade knapp zwei Jahre zuvor alle Bühnen der Stadt unter einem Dach fusioniert worden waren, um unheimliche Mengen an Geld zu sparen und die – so die freudige Botschaft der Oberbürgermeisterin seinerzeit – auf finanziell überaus sicherem Boden stand, war nun doch vor die Hunde geraten. Daran waren in gewisser Weise die MitarbeiterInnen selbst schuld, weil ihnen nämlich nach den üblichen Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes Erhöhungen der Bezüge zustanden und der Ost-West-Angleich für die Mitglieder der Staatskapelle anstand. Bei der Gründung der GmbH waren diese Tariferhöhungen unberücksichtigt geblieben, und so stimmte die Geldrechnung schon nach 19 Monaten nicht mehr. Die angeblich solide Finanzierung der GmbH war im Eimer und das böse Wort Insolvenz machte ganz schnell die Runde. Selbstverständlich war das Thalia Theater nicht zufällig das gewählte Opfer, ganz im Gegenteil, endlich bot sich hier eine Möglichkeit zu vollenden, was bislang irgendwie immer nicht geklappt hatte: Es sollte die Liquidation eines unbequemen Theaters über die Bühne gehen, an dem schon zu lange eine nicht still zu kriegende Intendantin agierte, die am laufenden Band Skandale machte. Sie heimste zwar den einen oder anderen Preis ein, aber insgesamt störte sie doch laufend den Burgfrieden der so satt dastehenden GmbH. Außerdem passte die Summe der Ausgaben für die Sparte Kinder- und Jugendtheater genau auf das Finanzloch der GmbH – so musste auch nicht viel gerechnet werden.

Damit die Schließung des Thalias aber nicht ganz alternativlos daherkommt, wurde noch ein kleines Ass im Ärmel behalten: Den MitarbeiterInnen der gesamten GmbH wurde der Abschluss eines Haustarifvertrages schmackhaft gemacht, mit dem sie all das solidarisch verhindern könnten, wenn sie erhebliche Einbußen ihrer Gehälter hinnehmen würden. Die Verhandlungen liefen an, während die Thalia-MitarbeiterInnen schon mal ihre Kündigungen erhielten. Sicher ist sicher. Jede Medienäußerung der politisch und geschäftlich für die Schließung Verantwortlichen in den darauf folgenden Wochen kam dann, man kennt das ja, unter Aufbringung der üblichen Phrasen daher: Die Entscheidung sei überaus schwer gefallen, die finanzielle Situation der GmbH aufgrund der Tariferhöhungen habe keine Alternativen zugelassen, es müsse ein Teil der GmbH geopfert werden, um das Ganze zu retten – Sachzwänge, wohin das Auge blickt. Gähn.

Der sich darauf hin formierende Protest war bei den Akteuren in GmbH und der Stadt nicht vorhergesehen worden. Die Initiative thalia21 schaltete eine Online-Petition, die innerhalb kürzester Zeit tausende Menschen aus dem ganzen Land unterschrieben. Es wurden Werbespots produziert, Plakate geklebt und zahlreiche Briefe namhafter Institutionen sowie protestierender Menschen gingen im Rathaus ein. Die Bürgerfragestunde der Stadtratssitzung am 27. Oktober 2010 wurde zur offenen Protestbühne für Kinder und Jugendliche. Die Reaktionen der Stadtoberhäupter sorgten für weiteren Unmut in der Stadt, fast legendär ist inzwischen der hilflos-lächerliche Schlachtruf des Sitzungsvorsitzenden: Kinder, ihr werdet doch alle nur missbraucht! Spätestens nach den massiven Protesten gegen die fristlose Kündigung des dienstältesten Thalia-Schauspielers wegen dessen Protest im Stadtrat konnten die Akteure in Stadt und GmbH nicht mehr umhin zu erkennen, dass ihr Plan nicht aufging. Zu groß war offensichtlich die öffentliche Wertschätzung der Arbeit dieses Theaters. Also wurde der mögliche Haustarifvertrag in den Ring geworfen, die Verhandlungen begannen. Am 19. November 2010 wurde Vollzug gemeldet und allerorts war fortan zu hören und lesen, dass sich die Tarifparteien auf entscheidende Eckpunkte des Vertrages mit einer Laufzeit bis 2016 geeinigt hätten.

Flugs machten Lobeshymnen auf eine gelungene »Rettung« des Thalia Theaters die Runde, und bis heute ist das einhellige Wiederkäuen des Märchens vom beispiellosen Akt der Solidarität aller TOO-MitarbeiterInnen unerklärlich. Natürlich muss man schon einem recht merkwürdigen Begriffsverständnis anhängen, um sich die Erpressung von ArbeitnehmerInnen als solidarischen Akt einleuchtend zu machen. Inzwischen war von der Geschäftsführung den aufständischen Untertanen am Thalia Theater mitgeteilt worden, dass jede Teilnahme an weiteren Protestaktionen im Zusammenhang mit der Schließung künftig verboten sei. Warum? Man hatte am Thalia Theater nicht die Hände in den Schoß gelegt, sondern war mit konzeptionellen Überlegungen für eine Herauslösung des Hauses aus der städtischen GmbH und seine Weiterführung unter Landeshoheit an das Kultus- und das Wirtschaftsministerium herangetreten. Beide verantwortlichen Minister hatten sich im Vorfeld gegen eine Schließung ausgesprochen und waren von Halles Oberbürgermeisterin dafür scharf attackiert worden. Der Geschäftsführer der TOO-GmbH ließ über die Presse mitteilen, dass es eine Herauslösung des Thalias nicht geben werde, schließlich habe man seinerzeit mit Bedacht die Fusion der verschiedenen Bühnen Halles betrieben. Dass er mit dem gleichen Argument wenige Wochen vorher die alternativlose Schließung des Thalias ins Recht gesetzt hatte, entging dem umtriebigen Manne, der auch gleich noch den künftigen Auftrag an Thalia-Intendantin Hahn bekannt gab: Sie habe ihren Vertrag zu erfüllen und sich in Zukunft auf Angebote für Kinder und Jugendliche zu beschränken. Die ebenso umtriebige Oberbürgermeisterin ließ noch schnell gen Landeshauptstadt ausrichten, dass sie verbindliche Zusagen des Landes verlange, dass die Theaterfinanzierung auch nach den Neuverhandlungen in gleicher Höhe beibehalten werde.

Kurz vor Weihnachten entschied dann aber die Regie des hübsch inszenierten Märchens von der Rettung eines kleinen widerständigen Theaters, das Happy End zu streichen. Entgegen aller vorschnellen Erfolgsmeldungen und öffentlichen Lobeshymnen verdichten sich die Hinweise darauf, dass der so hoch gelobte Haustarifvertrag doch nicht zustande kommt, womit dann wenigstens die Erpressung der MitarbeiterInnen letztlich nicht funktioniert hat. Nun stehen wir also am Ende des Jahres genau da, wo wir in der Mitte des Jahres gestartet waren: Die Schließung des Thalias steht weiter im Raum und die Verantwortlichen befinden, dafür seien andere zuständig.

Soweit, so schlecht. Zwar pfeifen schon seit der Gründung der GmbH vor knapp zwei Jahren viele hallesche Spatzen von den Dächern, dass die Zerschlagung des Thalia Theaters das eigentliche Ziel der Fusion der halleschen Bühnen unter dem Dach der TOO GmbH gewesen und der Geschäftsführer für diesen Job aus der Rente geholt worden sei. Dafür spricht einiges, und trotzdem ist es nicht der Kern des Problems. Um Theater, also die Frage des Wertes von kultureller Bildung gerade für Kinder und Jugendliche, ging es in den Debatten des vergangenen Jahres an keiner Stelle. Dies liegt in der Funktionalität der ökonomischen Sachzwanglogik, die planierraupengleich noch den letzten Widerspruch einebnen soll, und die vor allem so schön simpel einleuchtend ist: Wir (!) haben kein Geld, also müssen wir (!) ein Theater schließen.

Theoretisch ist dieser Sachzwanglogik unter Aufbringung einiger Gehirnzellen zu entkommen, wie zuletzt etwa in der von der ufo-Universität veranstalteten Diskussionsrunde "Die Stadt als Konzern" im Thalia Theater deutlich wurde. Ganz praktisch allerdings hinterlässt diese Sachzwanglogik in der halleschen Kultur eine Ödnis, wie sie durch die mit großer Sicherheit letztlich nicht zu verhindernde Schließung des Thalias noch lange nicht zu Ende ist. Und was wird jetzt aus dem Thalia? Vielleicht ja was ganz praktisches, zum Beispiel eine Probebühne für die nächste große Opernproduktion.

Quelle: Anett Krause und Kathrin Westphal von thalia21 im Programmheft von Radio Corax