Halles Juden besorgt wegen Gauland und Co

von 21. Oktober 2015

Nun bittet die Jüdische Gemeinde in Halle ihre Mitglieder, während Montagsdemos und Auftritten der AfD vom Gemeindezentrum in der Großen Märkerstraße fernzubleiben. Der Vorstand unter Max Privorozki ließ einen entsprechenden Beitrag auf die Gemeindeseite jghalle.de setzen. Die nächste Stunde der Angst ist am 21. Oktober 2015, ab 19 Uhr der Auftritt von AfD-Vize Alexander Gauland auf Halles Marktplatz unter der Losung „Demo gegen Politikversagen! Asylchaos beenden! Grenzen sichern!“. In Erfurt hatte die AfD zuletzt 8000 Menschen auf die Straße gebracht.

Im Warnruf der Jüdischen Gemeinde heißt es wörtlich: „Ein Land hat nur dann eine Zukunft, wenn es in die Zukunft schaut und an dieser Zukunft arbeitet. Wenn es mit dem Zukunftsbau aufhört und sein Kopf – und später auch den gesamten Körper – in die Vergangenheit umkehrt, riskiert es auch, diese Vergangenheit zu wiederholen. Man sollte daher klar zwischen der Meinungsfreiheit bei Politikgestaltung und der Nostalgie nach einer harten Hand – wie vor 80 Jahren – klar unterscheiden. Leider gerade letztere füllt den Inhalt von Protestkundgebungen der AfD auf. Es ist schade, dass viele anständige Menschen diesen Unterton hinter der angeblich aufrechten Fassade nicht merken. Unsere Erfahrung mit diversen Diktaturen – die fast immer von judenfeindlich bis extrem antisemitisch gewesen sind – macht uns angesichts der vielen ‚freien Meinungsäußerungen’ bei AfD-Demos sehr unruhig. Dasselbe betrifft auch die so genannten ‚Montagdemos’, die hinter der USA- und Israel-Kritik die wahren Ziele zu verstecken versuchen. Angesichts der für den 21.10.2015 angekündigten AfD-Demonstration in der Innenstadt, sowie für die Zeiten der Montagdemos am halleschen Marktplatz und in Anbetracht der Tatsache, dass das Gemeindezentrum in unmittelbarer Nähe zu den Demonstrationsorten sich befindet, bitte ich die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Halle aus Sicherheitsgründen vom Gemeindehaus in der Großen Märkerstraße zu dieser Zeiten fern zu halten. Das Gemeindehaus während dieser Kundgebungen bleibt geschlossen.“

Der Chef-Organisator der Montagsdemos in Halle, Frank Geppert, gehört zu denen, die den Warnruf für überzogen halten, zumindest in Hinblick auf die Friedensbewegung Halle. Er werde sich persönlich vor Juden stellen, wenn sie angegriffen würden. Von den Gegendemonstranten war am Montag, 19. Oktober 2015, erneut der Antisemitismus-Vorwurf gegen die Montagsdemo-Teilnehmer geschleudert worden. Der pauschale Vorwurf, dass die Versammlung vor Halles Ratshof ein Nazi-Aufmarsch war, wurde schließlich durch ein in Grüppchen innerhalb der Kundgebung befeuert, die eine schwarze Fahne schwangen mit der Aufschrift Halle/Saale in der zu NS-Zeiten beliebten Frakturschrift. Gegenüber Hallelife erklärte Geppert dazu, dass diese Leute hier erstmals in Erscheinung getreten sind. Sven Liebich, nach eigenem Bekunden seit zehn Jahren kein Rechter mehr, aber Haupthass-Objekt radikaler Gegendemonstranten, wehrte sich gegen den Vorwurf, alte Kameraden mitgebracht zu haben. Er kenne die schwarzen Fahnenschwenker nicht. Für die „No Halgida“-Teilnehmer war die Fahne ein weiterer Beweis für ihre Sicht, die auf einem ihrer Schilder zu lesen war: „Friedensbewegung Halle = Wolf im Schafspelz“.

Doch wenn sich die Verdächtigten von der vermeintlichen Feindschaft gegen Juden distanzieren, warum macht sich die Jüdische Gemeinde dann solche Sorgen? Hallelife hakte telefonisch und per Email nach. Darauf ergänzte Privorozki, dass niemand sagt, die Juden müssen in Halle um ihre Gesundheit fürchten oder könnten ihren Glauben nicht ausüben. Für ihn handelt es sich um eine Vorsichtsmaßnahme. Denn aus schriftlichen Dokumenten und Aussagen von Teilnehmern auf Montagsdemo und AfD-Veranstaltungen zieht er folgendes Fazit: „Populismus pur mit rechtsradikalem Beigeschmack. Plus Missbrauch von ursprünglichen Montagdemos die gegen eine Diktatur gerichtet waren und nicht für eine neue, wie jetzt. Auch antisemitische Verschwörungsäußerungen wie ‚jüdisches Kapital und amerikanische Imperialisten’ sind dabei. Es ist nicht so, dass alle Teilnehmer Antisemiten sind. Es ist aber so, dass alle Teilnehmer – wie damals – Mitläufer sind. Ohne diese Mitläufer könnten Nazis auch damals kaum was erreichen.“ In der Tat hatten Teilnehmer der Montagsdemo in der Anfangsphase mehrfach von der Finanzmacht der Rothschilds gesprochen. Ob die Gemeinde möglicherweise überreagiert, zeigt sich in einer weiteren Erläuterung Privorotzkis. Gemäß dem Motto Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste sagte er: „Angesichts der aggressiven Haltung von einigen Teilnehmern und bereits geschehenen Zwischenfälle, zum Beispiel in der Rannischen Straße, ist bei uns auch Vorsicht geboten. Außerdem reagieren viele Juden, insbesondere ältere Menschen, auf solchen Märsche sehr empfindlich. die Ereignisse aus der Vergangenheit sind nicht verschwunden.“ Der Gemeinde-Vorsitzende stellt zudem fest, dass „das Gesamtniveau von Antisemitismus in den letzten Jahren und insbesondere seit Anfang 2014 rapid gestiegen ist“. Dabei meine er vor allem den religionsneutralen Antisemitismus.

Beitrag „Das Klima ist vergiftet“ in der „Jüdischen Allgemeine“

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/23566

AfD Sachsen-Anhalt kündigt Alexander Gauland an

http://www.afd-lsa.de/start/2015/10/08/afd-demo-gegen-politikversagen-asyl-chaos-beenden-grenzen-sichern/#comment-27

AfD in Sachsen-Anhalt gilt als besonders rechts und wird vom Verfassungsschutz beobachtet: http://publikative.org/2015/10/16/afd-sachsen-anhalt-wird-vom-verfassungsschutz-beobachtet/

Beitrag zum Thema Antisemitismus

http://www.netz-gegen-nazis.de/lexikontext/was-ist-antisemitismus