Kultur als Pflichtaufgabe?

von 7. März 2011

In ganz Deutschland stehen Theater auf dem Prüfstand. Grund sind die angeschlagenen Haushalte vieler Kommunen. „Keine Kultur bei klammen Kassen?“, fragten deshalb die Grünen und hatten dazu ihre Bundesvorsitzende Claudia Roth sowie Thalia-Intendantin Annegret Hahn zu einer Diskussionsrunde ins Thalia Theater nach Halle (Saale) eingeladen.

Nicht zuletzt aufgrund aktueller Entwicklungen wurde es dann hauptsächlich doch eine Diskussion über das von der Schließung bedrohte Thalia Theater. „Die Stadt müsste stolz sein auf so ein Theater“, meinte Claudia Roth. Sie kommt gewissermaßen auch vom Fach, hat zunächst zwei Semester Theaterwissenschaften studiert, ging dann aber lieber gleich in die Praxis. Zunächst war sie Dramaturgin an den städtischen Bühnen Dortmund und wechselte dann zum Kinder- und Jugendtheater. Deshalb weiß auch Roth: „Das ist mehr als nur das klassische Weihnachtsmärchen.“ Sie habe hier gelernt, welche Bedeutung und Chancen das Kinder- und Jugendtheater hat, Menschen zu prägen.

Das Thalia Theater hat immer wieder mit besonderen Inszenierungen von sich Reden gemacht, wie zum Beispiel das prämierte Stück „Opferpopp“, in dem Jugendliche vom Rand einbezogen wurden. „Solche Stücke brauchen einen Grundboden, damit Jugendliche es auch annehmen“, meinte Annegret Hahn. „Wir konnten immer wieder Themen der Stadt aufgreifen, die über die Grenzen der Stadt hinaus relevant sind.“ Möglicherweise war es die seit zehn Jahren immer wieder drohende Schließung, die die Kreativität befeuert hat. „Das kann auch befruchten“, meinte Hahn. „Not macht erfinderisch.“ Auch deshalb habe man immer wieder andere Wege beschritten „um den Nachweis zu erbringen, das man uns braucht.“ Überhaupt sei man nur mit einer kleinen Gruppe von Schauspielern ausgekommen, sonst waren es hauptsächlich Absolventen. Und wegen der interessanten Ideen habe man sehr oft auch Drittmittel bekommen. Tendenziell gehe es in der Theaterszene „unglaublich selbstausbeuterisch“ zu, meinte deshalb auch Claudia Roth. „Je ärmer umso kreativer.“ Überall herrsche die Meinung Künstler leben von Luft, Liebe und Kreativität. „Das darf nicht zum System werden.“

Annegret Hahn berichtete in der Diskussion von der Kinderstadt, die ein ganzes Jahr lang vorbereitet wird. Sechs Wochen im Sommer haben die halleschen Kinder dann ihre eigene Stadt, wählen dort ihren Bürgermeister (und lernen damit etwas über Demokratie), gehen in Baufirmen oder Bäckereien „arbeiten“ und bekommen dabei als Lohn die eigene Kinderstadt-Währung Hallörchen und lernen so auch den Wert der Arbeit kennen.

Gibt es eine finanzielle Krise, dann stehen schnell die sogenannten „Freiwilligen Leistungen“ zur Disposition. Banken würden als systemrelevant geschützt, auch der Wirtschaft werde geholfen. Für Claudia Roth ist aber auch die Kultur wichtig. „Dort einzusparen wäre der größte Fehler.“ Schließlich erfülle die Kultur in weit gefasster Form einen Bildungsauftrag. Sie könne helfen selbstbewusst denkende Bürger heranzuziehen, soll der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, der unbequeme Stachel sein, provozieren. Daneben zähle das Angebot an Kultur zu den sanften Standortfaktoren. „Kultur zahlt sich höchst ökonomisch aus.“ Deutschland habe mit Abstand die meisten Theater und werde dafür überall auf der Welt beneidet. „Es wäre Vergeudung, das alles kaputt gehen zu lassen.“ Wenn man der Stadt und der Region eine Zukunft geben wolle, dass wäre es falsch an der Kultur zu sparen, weil man ihr sonst die Kreativität nehme.

Für Diskussionen sorgten Anmerkungen von Kultusministerin Birgitta Wolff zu einem zuschauergerechten Theater. Da laufe es wohl auf Dschungelcamp und Musikantenstadl hinaus, so Roth. Es gehe auch um den Erhalt des kulturellen Erbes. Inés Brock brachte noch einen zweiten Punkt aus dem Interview mit der Kultusministerin ein, die Verteilung der Zuschüsse nach Zuschauerzahlen. „Ich bin fassungslos, wenn Sie das wirklich gesagt hat“, so Annegret Hahn. Damit ignoriere sie den gesellschaftlichen Auftrag des Theaters. Zuschauergerecht sei das Gegenteil von künstlerischer Freiheit, ergänzte Claudia Roth. Sie sei erschrocken, dass es nur noch um Quote, Quote, Quote gehen soll. „Das ist das Ende von Innovation, Schrägheit und gegen den Strom.“

Und dann ging es noch um die aktuellen Entwicklungen. Am Freitag tagte der Aufsichtsrat der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle. Hahn erzählte von einem Gespräch mit Oberbürgermeisterin Szabados, die vom Scheitern der Haustarifverhandlungen erzählte, aber auch die Hoffnung nicht aufgeben, dass es doch noch eine Einigung gebe. In den letzten Wochen las man in den Zeitungen immer wieder davon, das Thalia sei gerettet. Immer wieder sei sie deshalb beglückwünscht worden, erzählte Hahn. „Das war schwer zu erklären, dass es nicht so ist.“ Die frühere Thalia-Mitarbeiterin Kathrin Westphal fragte angesichts 4.000 Unterschriften und 18.000 Teilnehmern einer Internetpetition, welchen Wert eine Bürgerstimme überhaupt noch habe. Inés Brock als Stadträtin sagte, der Protest dürfe nicht verstummen. „Kinder- und Jugendtheater muss eine Pflichtaufgabe werden“, erklärte die Grünen-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl Claudia Dalbert. Eine Schließungsentscheidung dürfe nicht in den Aufsichtsrat ausgelagert werden, sondern müsse vom Rat getroffen werden.

Zu lesen war in der Zeitung, das Thalia Theater möge doch Kinder- und Jugendtheater machen. „Das hat mich verwundert“, sagte Hahn. Schließlich tue man genau das, jeden Morgen in den 10-Uhr-Vorstellungen. Doch darüber gebe es so gut wie keine Rezensionen mehr. Sie habe das Gefühl, die MZ habe lieber Negativschlagzeilen über das Theater produzieren wollen. Wenn es keine Öffentlichkeit gebe, dann könne man über dieses umfangreiche Programm auch nicht Bescheid wissen. Ob die Schließung des Kleinen Thalia nicht der Anfang vom Ende war und ob man nicht damals schon hätte aktiv werden müssen, fragte ein Besucher. „Wir hatten Haushalts-Konsolidierungsbeiträge ohne Ende. Vielleicht waren wir so dumm und haben die ernst genommen.“

Eine Kostenbeteiligung durch den „Speckgürtel“ regte ein weiterer Besucher an. Ein Kulturraumgesetz wie in Sachsen wäre die Lösung, meinte Claudia Dalbert. Es sei ein Irrglauben, dass das Umland in die Theater komme, meinte Herr Starke. „Die Kirchgemeinden im Umland machen Konzerte, das deckt den Bedarf“, sagte er. Er verwies auf eine schrumpfende Stadt und prozentual hohe Kulturausgaben, einen schlechten Kostendeckungsgrad.

Am Ende gingen alle auseinander. So wirklich beantwortet wurde die Eingangsfrage nicht. Doch die Debatte solle nach der Landtagswahl fortgesetzt werden, erklärte Inés Brock.