Spuk und Verführbarkeit, Liebe kontra Fluch

von 9. Juli 2011

Schon was von Dracula gehört? – „Klar!“ – Musical? – „Ja, na, TANZ DER VAMPIRE“! – Nein. „Dracula“ des tschechischen Komponisten Karel Svoboda und der Librettisten Zdenek Borovec und Richard Hes ist ins Opernhaus Halle eingeflogen, doch, Achtung, die obligate Fledermaus findet sich fast nur auf dem Plakat. Saallicht aus. Ein Kind kommt, lässt einen Jo-Jo fallen, der schlägt auf die Bühne, Einsatz des Orchesters, Vorhang auf und Vollgas. Soll sich doch der Gast einschwingen, einlesen, wo er kann. Uppss! Das ist ein Senkrechtstart!

Zum Leben verdammt

Von blutrünstigen Klischees muss man sich verabschieden, grausam ist die eingangs gezeigte Spätmittelalter-Vorgeschichte, wenn Draculas Mutter als Hexe hingerichtet wird, er selbst zum Mörder wird und – aus Rache – zu ewigem Leben verdammt wird. Im 19. und im 21. Jahrhundert begegnen wir ihm wieder. Worum es geht, wer dahintersteckt wird auf dem Programm-Blatt beschrieben. Erstaunlich, was man auf der Rückseite eine Großfotos alles unterbringen kann, Redaktion: Susanne Holfter.

Was an Text zu verstehen ist, wenn nicht, hat das tontechnisch-überlaute Ursachen, ist sprachsicher und flott gereimt, wie von Musical-Dauerübersetzer Michael Kunze nicht anders zu erwarten.

Regisseur ist Matthias Brenner, ab Herbst Schauspielchef in Halle, bisher Schauspielregisseur, und zuvor selbst Schauspieler. Sein Vollblutmensch von einem Baal in Brechts BAAL wird unvergesslich bleiben.

Säulen, Treppen und Licht bauen ein Schloss

Im Mittelalter gibt es in Nicolaus-Johannes Heyses Bühnenbild nur ein stilisiertes Kreuz, das Schloss symbolisieren schwarze Treppen mit Kanzeln, die ab und zu gedreht werden. In der Gegenwart dann sorgt die Motorrad-Gang im Lederoutfit für Moderne. Vier dunkle Säulen stehen vor dem weißen Prospekt der, farbig beleuchtet, reflektiert und Räume schafft, etwas Qualm im Scheinwerferlicht reicht aus für Düsternis mit Durchblick. Es ist völlig normal, aus der Versenkung aufzutauchen, nur wenige Akteure kommen über die Treppe. Gerd Vogel macht als Dracula in Statur, Spiel und Stimme Eindruck, umrankt von Nadine Eisenhardt als Adriana und Sandra, Kerstin Ibald als Lorraine. Drei Nymphen geistern immer wieder durch die Szene und zeigen am Ende die Raffzähne.

Gelungener Effekt ist, die einfühlsam-sentimalen Passagen zu doubeln: den Sänger/Spielern werden gleich kostümierte Tänzer zugesellt. Mit Solisten, Ballett Rossa, Extra-Ballett, Chor, Statisterie und Motorrad-Crew, Choreographie Alexandre Tourinho, wirbelt ein großes Ensemble über die Bühne.

Großer Abend für Kostümbildnerin Jenny Schall

Was im Bühnenbild angedeutet, mehr durch Licht behauptet als in Hardware gebaut ist, wird in Jenny Schalls Kostümen bis zum Detail ausgearbeitet und zur großen Show, von Draculas Super-Geist-Outfit mit Widderhörnern und Pferdeschwanz im Auftaktbild, den Renaissance-Gewändern über Seiden- bis zum Lederfetisch. Wave Gothic vom feinsten sind sogar noch die Roben der vier Umbau-Geister.

Drive & Sound vor Text

Michael Fuchs leitet die Staatskapelle Halle, die Brass-Stärke wird durch die Michael-Fuchs-Band aufgerockt.

Allerdings misstraute bei der gesehenen dritten Vorstellung der vollgas-fahrende DJ am Soundpult der Raumakustik und den Nuancen und Differenzierungen auf der Bühne, wie zwischen Rampe und Orchester.

Ungeachtet möglicher Veränderung, sollte man immer etwas Gehörschutzwatte einstecken haben. Lautstärken können zwar anders, aber eben auch beißen wie Dracula-Zähne.

Halles Opernhaus gelingt ein erstaunlicher Abend, sage da noch einer, die große Zeit der Musical und Ihrer Vermarktung wären vorbei. Im Publikum saßen an einem Sonntagabend drei Zuschauer-Generationen.

Karsten Pietsch

Nächste Vorstellung:
3. September 2011, 19.30 Uhr, Oper Halle