„Eine neue Ostpolitik für Frieden in Europa“

von 8. Juni 2015

Zum Auftakt der Diskussion erklärt die SPD-Landesvorsitzende Katrin Budde, Vorstandsmitglied des Forums Ostdeutschland:

„Ich habe in diesen Tagen den Satz gelesen: Wir brauchen Russland, aber Russland braucht uns nicht. Es genügt schon ein sehr oberflächlicher Blick, um zu erkennen, dass es keine falschere Aussage über das Zusammenleben auf unserem Kontinent geben kann.

Der Satz ist falsch, weil heute alle Volkswirtschaften so eng miteinander verwoben sind, dass sie ihren Wohlstand aufs Spiel setzen, wenn die Welt durch neue Mauern – ob reale oder virtuelle Mauern – geteilt würde. Wir werden keine Herausforderung der Zukunft meistern können, wenn wir gegeneinander handeln, ob es um Energiesicherheit, Klimaschutz oder die Beziehungen zum Nahen Osten geht.

Und der Satz ist unhistorisch, weil er ausblendet, welche Bedeutung gerade die deutsch-russischen Beziehungen seit Jahrhunderten nicht nur für diese beiden Länder, sondern für den ganzen Kontinent haben. Schwarze Nacht war über Europa, als Hitlerdeutschland seinen rassistisch motivierten Vernichtungskrieg gegen die Völker Osteuropas und der Sowjetunion führte – ein Krieg, der sich besonders gegen Russen und Ukrainer richtete.

Deshalb ist es im Interesse des ganzen Kontinents, wenn unsere beiden Nationen miteinander in Frieden und Einvernehmen leben.

Soweit die Theorie. Und dann gibt es noch die Praxis.

In dieser Praxis ist das Verhältnis zwischen beiden Ländern schwersten Belastungen ausgesetzt. Das betrifft in erster Linie, aber nicht nur die völkerrechtswidrige und durch nichts zu rechtfertigende Annexion der Krim durch Russland und die andauernde Destabilisierung der Ostukraine. Es betrifft genauso das Feld der Zivilgesellschaft. Wir erleben derzeit, dass sich Russland in der Gesellschaftspolitik, in Fragen der Diskriminierung von Andersdenkenden, anders Lebenden und anders Liebenden, in Fragen von Demokratie, Teilhabe und Pressefreiheit in eine völlig andere Richtung entwickelt als der Rest Europas. Leider entfernt sich Russland damit auch von den Werten und Freiheiten, für die wir hier in Ostdeutschland, für die auch ich 1989 auf die Straße gegangen bin.

Das sind teilweise noch sehr neue Entwicklungen, auf die sich Europa erst allmählich einzustellen beginnt. Ich kann deshalb eine gewisse Skepsis nicht verbergen, ob ‚eine neue Ostpolitik für Frieden in Europa‘ heute schon inhaltlich skizziert werden kann. An einem Punkt aber kann kein Zweifel bestehen: Wir brauchen diese neue Politik unbedingt.

Die Sanktionen der Europäischen Union halte ich für richtig, weil sie ein unmissverständliches Signal sind. Wir wissen aber alle, dass eine Sanktionspolitik kein nachhaltiger Ansatz ist und dass Sanktionen selten erreichen, was sie beabsichtigen. Die amerikanischen Sanktionen gegen Kuba gehen nun nach 55 Jahren allmählich zu Ende, nachdem nicht nur die kubanische Bevölkerung, sondern auch die amerikanische Wirtschaft jahrzehntelang einen hohen Preis bezahlt hat.

Auch den ökonomischen Preis für die gegenwärtige Situation in Europa zahlt keineswegs nur Russland, sondern ebenso deutsche und nicht zuletzt sachsen-anhaltische Unternehmen. Wir haben mit unserer traditionellen Verflechtung mit osteuropäischen Märkten auch ein deutliches wirtschaftliches Interesse daran, dass es eine Perspektive zur Überwindung von Krise, Sanktionen und Feindseligkeiten gibt.

Ich bin davon überzeugt, dass uns nur das kontinuierliche Gespräch weiterbringen kann. Und wir müssen es auf jeden Fall vermeiden, dass ein Automatismus der Sprachlosigkeit und gegenseitigen Beschuldigung eintritt, der uns in eine Sackgasse führt. Ich finde, Frank-Walter Steinmeier hat Recht, wenn er sagt: Kooperation ist besser als Konfrontation. Denn eins steht fest: Für die heute bestehenden Krisen und Konflikte auf unserem Kontinent verbietet sich jede militärische Lösung.“