Die Geschichte einer Katastrophe

von 10. Januar 2012

Stellen Sie Sich einmal folgende Situation vor: Es ist 10:00 Uhr an einem Donnerstagmorgen. Das Wetter ist schön. Sie haben frei und sind gerade dabei, die Blumen vor Ihrem Haus zu gießen. Plötzlich bemerken Sie, dass die Blüten der neulich angepflanzten Stiefmütterchen zu vibrieren beginnen. Unversehens gehen die Schwingungen auch auf den Boden über und werden immer stärker. Was denken Sie? Hätten Sie vor 1993 Jahren in Pompeji gelebt, wäre Ihre erste Erwägung wahrscheinlich gewesen: „Oh Nein! Nicht schon wieder! Seit 17 Jahren arbeiten wir daran, alles wieder aufzubauen! Das darf nicht umsonst gewesen …“ Nun könnte man meinen, dass die Leute damals wussten, was zu tun ist, da sie mit einer solchen Situation ja mittlerweile vertraut waren. Doch intuitiv brach Panik aus. Der nächste Blick wandert unverzüglich zur Spitze des Vesuvs, der nur etwa 10 km entfernt zu brodeln beginnt. Und augenblicklich geht es los. Dächer stürzen ein, panische Angstschreie aus allen Richtungen, das Beben wird immer schlimmer! Was tun? Wie bringe ich meine Kinder in Sicherheit? Wie bringe ich mich in Sicherheit? Dramatische Szenen und Verzweiflung überall, die Momente des Grauens reihen sich unmittelbar aneinander. Mit einem schlagartig eintretendem Knall, der so laut ist, dass alles für einen Moment stillzustehen scheint, tritt das unverhoffte Ende ein. Bevor auch nur einer der Bewohner es schafft, sich in Sicherheit zu bringen, prasselt ein giftiger Ascheregen auf die einst umwerfend schöne Stadt. Einige sterben durch das Einatmen der toxischen Phosphorwolke, bevor sie überhaupt ansatzweise verstehen, was gerade passiert ist, den Sekundentod. Andere schaffen es immerhin noch, schützend die Arme über sich zu heben, bevor sie von Lavabrocken oder Bimssteinen erschlagen werden, die auf die Stadt niederregnen und alles zerstören. Und die, die selbst davon noch verschont geblieben ist, wurden schließlich unter der dicken Schlamm- und Lavaschicht, die die nahegelegene Stadt Herculaneum bereits erfasst hatte, lebendig begraben. Als nach drei Tagen endlich wieder die Sonne zum Vorschein kam, war der seinerzeit malerische Ort von einer etwa 7 Meter dicken Gesteinsschicht bedeckt. Eine Geschichte, die nicht nur Forscher und historisch Interessierte durch ihre Unbarmherzigkeit in den Bann zieht. Ich selbst wurde damals durch den Lateinunterricht auf dieses horrende Geschehnis aufmerksam und war seither von der Vergangenheit der Stadt fasziniert. In der Oberstufe war es dann endlich soweit, die lang versprochene Kursreise nach Italien stand an, zu der auch ein Besuch des ehemaligen Pompejis auf dem Programm stand. Endlich durfte auch ich dieses steinerne Monument betreten, welches seit 1860 ausgegraben wird. Während der Freilegung des Mahnmals wurde eine besondere Technik entwickelt. Dabei wird Gips in die Hohlräume gespritzt, die durch die zersetzen Leichen in dem erstarrten Gestein entstanden sind. Auf diese Weise konnten Abgüsse ganzer Familien hergestellt und in jenen rekonstruierten Posituren für die Nachwelt festgehalten werden, in welchen sie vor fast 2000 Jahren den sofortigen Tod gefunden hatten. Unter der glühenden Hitze Italiens dann tatsächlich vor diesen Abdrücken versteinerter Personen, die durch eine der wohl grausamsten Katastrophe der Natur in den Tod gerissen wurden, zu stehen, ist ein solch beeindruckendes Gefühl dass manchem Betrachter die Worte fehlen. Man wandert durch die nur noch aus Grundmauern bestehende Stadt und blickt hinüber auf den eindrucksvollen Vulkan, dessen Schönheit etwa 2000 Menschenleben gekostet haben soll. Gebäude, Gegenstände, Wandmalereien – es ist unglaublich wie gut manche Dinge nach so langer Zeit und so gravierenden Ereignissen noch erhalten sind. Unvorstellbar, dass genau jene Menschen, die all dies mit ihren eigenen Händen geschaffen hatten, der Naturgewalt erlagen. Seit Dezember 2011 sind einige Impressionen dieses imposanten Artefakts nun auch bei uns in Halle (Saale) zu bestaunen. Im Landesmuseum für Vorgeschichte zog die Ausstellung „Katastrophen am Vesuv“ bereits über 20.000 Besucher an. Im Gegensatz zu anderen museumstypischen Expositionen fasziniert diese aber ein breit gefächerteres Publikum. Der eigentliche „Charme“ einer geschichtlichen Sammlung lockt diesmal mit einer gehörigen Prise Tragik, und auch den schaurigen Gänsehaut-Effekt gibt es zur Eintrittskarte dazu. Auch für diejenigen, die Museen prinzipiell ablehnen, ist diese durchaus spektakuläre und garantiert überzeugende Ausstellung einen Wochenend-Ausflug wert.