Von Moskau, Margarita und Büchern die dümmer machen

von 27. Februar 2009

(tof) Gewalt und Globalisierung – zwei Schlagwörter die spätestens seit Beginn der europäischen Kolonialgeschichte und den damit einhergehenden Großmannsträumen europäischer Staaten, Hand in Hand gehen und bis zum heutigen Tage, im Zeichen des anherrschenden „Kriegs gegen den Terror“, nicht an Aktualität verloren haben.

Kein Wunder also, dass sich das "Historische Quartett", am Mittwochabend diesem Themenkomplex widmete. Vor rund 30 Zuschauern diskutierte die Runde um Prof. Dr. Manfred Hettling von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, vier neu erschienene Bücher, die sich mit den Themen Globalisierung und Terror auseinandersetzen. Dabei fiel die Bewertung der Bücher in der Gesprächsrunde, komplettiert durch den Historiker Prof. Dr. Hans Ulrich-Wehler sowie die Journalisten Dr. Katja Wildermuth und Dr. Jens Bisky, durchaus unterschiedlich aus, sodass den Besuchern ein spannender, intellektuell anspruchsvoller und unterhaltsamer Abend geboten wurde.

Dies lag unter anderem auch an der sehr unterschiedlichen Thematik und Machart der ausgewählten Lektüre. Unter dem Themenbereich „Gewalt“ wurden das Buch "Terror und Traum. Moskau 1937" von Karl Schlögel sowie die Biographie Heinrich Himmlers von Peter Longerich besprochen. Während sich das Buch Schlögels den Verhältnissen in Moskau im Jahre 1937 auf eine höchst „anregende, erlebnisreiche und nachfühlbare Weise“ (O-Ton Bisky) nähert, verfolgt Longerichs Biographie über SS-Führer Heinrich Himmler eine strukturgeschichtliche und am Positivismus orientierte Aufarbeitung einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des Dritten Reiches. Dabei steht im Mittelpunkt der Biographie, die Frage wie aus dem blassen Pedanten Himmler der mächtige Organisator von Terror, Tod und Umsiedlung im Dritten Reich werden konnte. Die Biographie zeige sehr eindrücklich die unheilvolle Rolle Heinrich Himmlers und seine organisatorischen Exzesse bezüglich Osteuropa und der Judenvernichtung, so Historiker Wehler. Was jedoch zu bemängeln sei, dass Schlögel nicht über eine berichtende Erzählweise hinauskommt und kaum tiefere Darstellung zu Gründen und Motivationen des Verhalten Himmlers sowie den Beziehungen zu seinem Umfeld liefert. Dennoch handele es ich im Gesamtpaket um eine lesenswerte Biographie über die „Schaltzentrale des Nazi-Terrors“, wie Katja Wildermuth abschließend konstatiert.

Von fehlender historisch adäquate Narrativität und wenig ausgeprägtem Gefühl für eindrucksvolle Bilder kann in „Terror und Traum. Moskau 1937“ nach Bekunden Biskys nicht die Rede sein. Eingekleidet in die Vorstellung, dass die Figur Magarita aus Bulgakows Roman „Der Meister und Magarita“ nicht mit dem Besen Moskau für immer verlässt, sondern kehrt macht und sich die Stadt der „Selbstgetriebenen“ etwas näher anschaut, versucht Schlögel episodenhaft den Absturz der sowjetischen Revolution in die Realität des Terrors, greifbar zu machen. Mit einem Mosaik von Stimmen entwirft er ein Bild der 1930er Jahre und versucht die Einheit von Utopie und Brutalität, von imaginierter Weltverbesserung und Selbstzerstörung zu vermitteln. In Sprachbildern, die an die literarischen Vorbilder der Epoche selber anknüpfen, konzentriert auf Moskau als Ort, verbindet er Analyse und dichte Beschreibung. Diese besonderen historischen Darstellung, die sich im Sinne der alten Geschichtsschreibung, als narrative Form der Darstellung historischer Prozesse versteht, sei viel abzugewinnen, auch wenn Systematik und analytische Schärfe der Faktoren für die wahnwitzigen Verhältnisse in Moskau, dabei auf der Strecke bleiben.

Im zweiten Teil des Abends widmeten sich die Diskutanten einer global orientierten Perspektive. Sebastian Conrads "Deutsche Kolonialgeschichte" und Klaus Naumann "Einsatz ohne Ziel? Die Politikbedürftigkeit des Militärischen" befassen sich dabei mit Deutschlands unterschiedlichen Versuchen, sich in einer globalen Welt zu verorten und politisch zu handeln. Gut gemeint, aber dennoch ein Buch zum wegglegen sei dabei, Conrads „Deutsche Kolonialgeschichte“. „Dieses Buch macht einen dümmer“, so der bitterböse Kommentar Jens Biskys. Anstatt die Gründe für das Aufrechterhalten der deutschen Kolonien, die weder ökonomisch noch politisch wertvollen Nutzen für das deutsche Kaisserreich hatten zu erklären, beschränkt sich der Autor auf intensionale Verweise des globalen Kontextes von Kolonialisierung. Dabei versandet das Buch in Querverweisen und selbstreferentiellen Darstellungen über das eigene Vorgehen. Weder inhaltlich noch strukturell sei das Buch überzeugend, wie Katja Wildemuth meint. Diesem Urteil hatte auch der Rest der Runde dann nicht mehr viel hinzuzufügen.

Für weitaus mehr Gesprächsstoff sorgte Klaus Naumanns "Einsatz ohne Ziel? Die Politikbedürftigkeit des Militärischen". In diesem Buch zeigt Naumann auf, dass weder die deutsche Politik, noch die Gesellschaft oder das Militär im sicherheitspolitischen Denken des 21. Jahrhunderts angekommen seien und welche Folgen für Außen- und Innenpolitik der BRD dies hat.
Deutschland lähme sich sicherheitspolitisch selber, da die aktuelle Debatte um die Bundeswehr und deutsche Auslandeinsätze nur populistisch und ohne jegliche strategische Konzeption geführt wird. Die großen Fragen des Buches lauten daher „Was wollen wir?“, „Wieso wollen wir?“ und „Wie kommen wir dorthin?“. Im Angesicht der Auslandseinsätze in Afghanistan und dem Kongo, den Schwierigkeiten militärischer Bündnisse (NATO) und dem Bestreben Deutschlands sich als Mittelmacht zu etablieren, stehen politische Elite, militärische Führung und zivile Gesellschaft Deutschlands gleichermaßen vor Herausforderungen denen sie sich stellen müssen, wenn deutsche Soldaten im globalen Rahmen im Einsatz sind. „Ein Buch, dass schon Gewusstes gut aufarbeitet und leicht nachvollziehbar skizziert und darüber hinaus den Finger in eine klaffende Wunde deutscher Nachkriegsdebatten legt“, wie Historiker Wehler resümiert.

Im Anschluss an die rege geführte Podiumsdiskussion hatte das Publikum die Möglichkeit weitere Fragen an die Experten zu stellen. In kleinerer Runde konnte dann bei einem Bier die ein oder andere Meinungsverschiedenheit ausgetauscht werden. Schade, dass eine solch renommierte Veranstaltung nicht auf mehr bürgerliche Resonanz stößt. Dabei hat die Geschichte doch schon so oft gezeigt, wozu Desinteresse führen kann.