Liebelei mit dem Tod und quietsch-bunte Show

von 14. Mai 2012

Es ist einer von den Ballett-Abenden geworden, die für jeden Geschmack etwas bieten wollen. Was im Grunde jenseits der großen klassischen Erzählballette sinnvoll ist und in der Regel funktioniert. Wie soll das auch anders gehen, wenn man Franz Schubert mit Freddie Mercury und Co zusammenspannt. Für den ersten Teil des Abends hatte Anna Vita ihre Würzburger Choreografie „Der Tod und das Mädchen“ zu Schuberts Streichquartett Nr. 14. neu einstudiert und gemeinsam mit ihrer Ausstatterin Verena Hemmerlein vom ursprünglichen Kammerbühnenformat auf die große Bühne des Opernhauses in Halle übertragen.Im zweiten Teil steuert der heimische Ballettchef Ralf Rossa dann einem Mix aus 11 vertanzten Queen-Titeln bei. Von „The show must go on“ über „Who wants to live forever“ bis zur „Bohemian rhapsody“ war da alles dabei was der mittlerweile in die Jahre gekommene Queen-Fan braucht, um in nostalgischer Anwandlung mit zu summen. Dass es hier auf einem ganz anderen emotionalen Niveau weitergeht, wäre natürlich auch so gewesen, wenn, wie ursprünglich geplant, die musikalische Vorlage von den Beatles gekommen wäre. Anders als bei Schubert können bei den Beatles eben noch Rechte-Inhaber dazwischen funken. „The show must go on“ darf man also durchaus doppeldeutig verstehen. Es ist auch ein Kommentar zu den Fährnissen des Künstleralltags und ein eigenwilliger Beitrag zur Debatte um Urheber- und Verwertungsrechte.Am Ende dieses Doppelabends war der Jubel der eingeschworenen Gemeinde, die das Rossa Ballett in Halle hat, einhellig und überschwänglich. Dennoch war nicht zu übersehen, dass der erste Teil, nicht nur wegen des Themas und der Musik, die  ernsthaftere Kunstanstrengung bot.In Anna Vitas hochmusikalischer Choreografie zu dem Streichquartett, das seinen Beinamen von einem Schubertlied aus dem Jahre 1817 bekommen hat, ist Kaori Morito das Mädchen. Es wird von der Strenge, vielleicht auch nur der Fürsorge ihrer Eltern, Johan Plaitano und Markéta Šlapotová, bei den Pas des Trois vielsagend und variantenreich in die Mitte genommen, geführt, auf jeden Fall aber eingeengt. Der abstrakte, dunkle Raum mit den angedeuteten Wänden und Fenstern könnte das Elternhaus sein. Hinter dem Fenster erscheint dem Mädchen immer wieder ein magisch leuchtender Baum. Und immer öfter eine verführerisch schöne, dunkle Gestalt. Ein Traumprinz aus dem Reich der Nacht. Was heute cineastisch als Sexappeal verführerischer Vampire die Kinokasse klingeln lässt und die Einschaltquoten nach oben treibt, darf sich als klassische Vorlage auf diese Liebelei des Mädchens mit dem Tod berufen. Es sind hochpoetische Momente, wenn die Visionen hinter den Fenstern, die die Eltern natürlich nicht sehen, kurz aufscheinen und wieder verschwinden. Michael Sedláček ist der nächtliche Verführer im barockstilisierten schwarzen Mantel, der ihr – bald mit nacktem Oberkörper – immer näher kommt. Die Geschichte, die genauso gut eine erträumte Selbstfindung des Mädchens sein könnte, weitet sich. Zu Ensembleszenen, in denen sich das seltsame Paar vervierfacht, zu einer Art schwarzen Hochzeit wird, bei der die Mädchen im Brautkleid den dunklen Herren die Hand reichen. Bis hin zu der bedrückenden Erfahrung des Aufenthalts in einer Anstalt mit besorgtem Personal in weißen Kitteln. Am Ende ist das Mädchen wieder allein. Hinter dem Fenster erscheint ihr jetzt nur noch der nächtliche Baum. Ihren Traumprinzen wird sie woanders suchen müssen. Vitas Choreografie und der ausdruckstarke Tanz der beiden Solisten und des Ensembles überzeugen, weil sie mit Präzision und tänzerischer Fantasie Schuberts bewegender Musik abgelauscht sind und mit traumwandlerischer Sicherheit die Balance zwischen erzählter Geschichte und abschweifender Assoziation halten.Beim zweiten Teil dann, kann man sich nicht so ganz sicher sein, ob es mehr die Lust an der Parodie oder ironische Distanz zu eigenen musikalischen Vorlieben war, die Ralf Rossa bewegten. Zumindest in den großen Ensembleszenen scheucht er seine Truppe in knallengen und quietschbunten Trikots, die aussehen als wollte man der Einführung des Farbfernsehens Tribut zollen, über die Bühne. Das wirkt ziemlich albern bzw. unfreiwillig komisch. Danach freilich, wenn es eine Nummer kleiner zur Sache geht, gelingen den Solisten auch Momente von Intensität. Hinzu kommt, dass die Titel von Freddie Mercury und Co ziemlich softig eingespielt wurden. Irgendwie dachte man mehr an Abba oder das Fernsehballett. Wobei auch dieser Link natürlich seine eigene Professionalität einschließt. Das Ensemble macht dabei nicht nur grinsende Miene zum albernen Spiel, sondern legt auch sportiven Eifer an den Tag, wobei die Herren sogar eine Stripp-Einlage riskieren. Nach dem Motto ganz oder gar nicht. Wenn man aber in diesem Rahmen Freddie Mercurys Posen zitiert, macht das doch eher den Abstand zum Original deutlich.Dabei vertragen sich Rockklassiker und Ballett durchaus. Man kann zurzeit viel gegen die Leipziger Oper sagen. Aber an den Kreationen, mit denen sich der dortige Ballettchef Mario Schröder Jim Morrison oder Nick Cave angenähert hat, lässt sich beispielhaft studieren, wie so was geht. Ohne (freiwillig oder unfreiwillig) vor allem albern und komisch zu wirken. Fazit: der Besuch des neuen Ballett-Abends lohnt sich allemal. Die Geschmäcker sind halt verschieden – doch die Truppe ist mit Eifer bei der Sache und gut in Form!Weitere Vorstellungen finden am 19. Mai und 28. Mai 2012 statt. Informationen dazu finden Sie unter [url=http://www.buehnen-halle.de]www.buehnen-halle.de[/url].